den. Vielmehr hat Architektur die Aufgabe,
die Masse in Bann zu schlagen, ja diese selbst
zu einem integrierenden Bestandteil der Ar-
chitektur erstarren zu lassen. Somit wird die
Masse gleichsam zu einem Symbol, zu einem
Ornament degradiert.
Das enthüllt schlaglichtartig Albert Speers
Erfindung des Lichtdoms für das Zeppelinfeld
im Nürnberger Reichsparteigelände.’ Aus
Sorge, die Physiognomien der Amtswalter der
Partei, die, wie man wußte, in der Mehrzahl
nicht dem propagierten Rasseideal des „nor-
dischen Menschen“ entsprachen, könnten die
Würde der Parteifeier beeinträchtigen, ließ
der Architekt sie als „dunkle Gemeinschaft“,
die als solche auch in der Dichtung gefeiert
wurde, in das Stadion einmarschieren, indem
die Scheinwerfer nur die Fahnen und Standar-
ten in gleißendes Flutlicht tauchten.
Die formierte-uniformierte Masse, die
durch das „Wort aus Stein“ um ihr Recht auf
Sprache gebracht, sich höchstens in Sprechge-
sängen, Hymnen und Akklamationen kollek-
tiv äußern durfte, unterlag denselben Gliede-
rungsgesetzen wie die Architektur, Gliede-
rungsgesetzen, deren Muster, wie es Ernst
Jünger® in seinem „Arbeiter“ formuliert hat,
nicht der Gesellschaftsvertrag, sondern die
Heeresordnung zu sein hat. Sie zu einer opfer-
und kriegsbereiten „Volksgemeinschaft“ zu
formen, war also Aufgabe der mit allen Form-
qualitäten einer Memorial- und Fortifika-
tionsarchitektur ausgestatteten NS-Bauten.
Ihre Protagonisten, so der Kunsthistoriker
Hubert Schrade?, haben das auch nicht an-
ders verstanden: „Auf sie (die Architektur)
blicken die politischen Soldaten(!). Alle von
einer Haltung(!) im gleichen Kleide(!), auf ein
Ziel(!) ausgerichtet, müssen sie die Strenge(!)
der Pfeiler als Wesensausdruck der Ord-
nung(!) empfinden, der sie sich unterstellt ha-
ben, am Stein des gleichen Gestaltungswil-
lens(!) inne werden, der sie selbst, die leben-
den Menschen ergriffen hat, zwischen sich und
der. Architektur einen vollkommenen Ein-
klang fühlen“.
Wenn eben davon die Rede war, daß diese
NS-Bauten die Physiognomie einer Memo-
rialarchitektur aufweisen, so hatte das
Münchner Parteiforum, zu dem zwischen
1933 und 1935 der von Leo von Klenze gestal-
tete Königsplatz vergewaltigt wurde, auch die
Funktion eines Memorialbaues, denn es hatte
nicht nur die Masse der „toten“ Lebenden auf-
zunehmen, sondern auch die 16 Toten des No-
vemberputsches vom Jahre 1923. Diese Toten,
analog zu christlichen Märtyrern zu solchen
der Partei erhoben, wurden nicht dunklen, un-
zugänglichen Krypten oder Mausoleum über-
lassen, sondern ihre metallenen Sarkophage
waren, allen sichtbar, in zwei offenen Ehren--
tempeln aufgestellt, die ähnlich wie das 1924
errichtete Kant-Grabmal am Dom zu Königs-
berg als Pfeilerhalle konzipiert - doch im Un-
terschied zu ihm im Sinne einer germanischen
Kultstätte als um einen freien Platz gruppierte
Steinsetzung abgewandelt!® - gleich Wach-
häusern den Eingang von der Stadt zum Fo-
rum flankierten. Somit waren diese „Blutzeu-
gen“ als „lebende“ Tote („Auch Tote sind in
unsren Reihn ...“ von Schirach) den „toten Le-
benden zum Vorbild gegeben. „Ihre (der
Ehrentempel) Offenheit“ - so heißt es bei
Hubert Schrade - „macht das, woran sie er-
innern, zu einer ständig wirkenden Wirklich-
keit des Lebens. Diese Wirklichkeit aber heißt
Opfer. Das Opfer gehört zum Leben. Es ist
eine Macht des Lebens und das bindendste
Geheimnis der Gemeinschaft“. !!
Auch sei daraufhingewiesen, daß selbst das
von Werner March gestaltete Reichssport-
feld in Berlin nicht nur den Sportproduzen-
ten und -konsumenten zu dienen hatte,
sondern mit dem in’ die Stadionachse hinein-
gestellten 75 m hohen Glockenturm, der eine
Gedächtnishalle für die Kriegsopfer von
Langemarck barg, zugleich eine Memorial-
funktion besaß. Ja es scheint, als sei die Archi-
tekturform des Olympiastadions eigens auf
ein am Eröffnungstage der Olympiade aufge-
führtes Spiel mit dem Titel: Olympische Ju-
gend zugeschnitten worden, das von dem
späteren Repräsentanten des bundesdeut-
schen Sports Carl Diem verfaßt worden ist
und dessen Schlußbild den verräterischen Ti-
tel: Heldenkampf und Totenklage besaß. Ein
Sprecher trug dazu die Verse vor: Allen Spiels
heil’ger Sinn/ Vaterlandes Hochgewinn/ Va-
terlandes höchst Gebot/ in der Not/ Opfer-
tod!!2
NS-Architektur hat also wie eine Festungs-
architektur die Macht der Herrschenden und
die Ohnmacht der Beherrschten zur An-
schauung zu bringen. Die höchsten Prädikate,
die ihr und zu dieser Zeit auch allen histori-
schen Bauwerken von Rang gegeben wurden,
waren: gewaltig, beherrschend, wichtig,
machtvoll, monumental, Epitheta also, durch
die Architektur einen bestimmten politischen
Herrschaftsanspruch reflektiert. Die so be-
schriebene Architektur, die sich also durch
ihre Formensprache als eine „architectura
militans“ gebärdet, eine Formensprache, die
sie befähigt, Zwang auszuüben, schafft sich so
eine Aura von Wesenhaftigkeit und ist geeig-
net ein etabliertes Herrschaftssystem ideolo-
gisch zu festigen.
Unmißverständlich hat dies der bekannte
Brückenarchitekt und spätere Düsseldorfer
Stadtbaudirektor Friedrich Tamms zum Aus-
druck ‚gebracht.!? Im vorletzt erschienenen
Heft der Zeitschrift: Die Baukunst heißt es
wörtlich: Das harte Gesetz der Baukunst muß
streng sein, von knapper, klarer, ja klassischer
Formgebung. Es muß einfach sein. Es muß
den Maßstab des „an den Himmel Reichen-
den“ in sich tragen. Es muß über das übliche,
dem Nutzen entlehnte Maß hinausgehen. Es
muß aus dem Vollen gebildet sein, fest ge-
fügt und nach den besten Regeln des Hand-
werks wie für die Ewigkeit gebaut. Es muß im
praktischen Sinne zwecklos (sic!), dafür aber
Träger einer Idee sein. Es muß etwas Unnah-
bares in sich tragen (sic!), das die Menschen
mit Bewunderung, aber auch mit Scheu er-
füllt. Es muß unpersönlich sein, weil es nicht
das Werk eines einzelnen ist, sondern Sinn-
bild einer durch ein gemeinsames Ideal ver-
bundenen Gemeinschaft.
Es wird daher immer am ehesten in Erschei-
nung treten, wenn diese Gemeinschaft jung ist
(wie der NS-Staat! Anmerkung von H.J.K.)
und mit noch heißem Herzen neuentdecktes
Land zu erobern sich anschickt (sic!). ... Aber
es ist hart und stark, rücksichtslos und zu-
kunftsträchtig, nicht immer feinfühlend, aber
vital, stets großartig, schwungvoll und lebens-
voll. Es ist Inbegriff der Zukunft, Ausdruck
einer starken Jugend.
Mit diesen Sätzen ist die NS-Architektur
voll auf den Begriff gebracht.
Architektur, die dem NS-Regime ständige
Anerkennung sichern soll, muß also ganz be-
stimmte Formqualitäten aufweisen, aufgrund
derer sie wie das zu repräsentierende System in
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