Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

den. Vielmehr hat Architektur die Aufgabe, 
die Masse in Bann zu schlagen, ja diese selbst 
zu einem integrierenden Bestandteil der Ar- 
chitektur erstarren zu lassen. Somit wird die 
Masse gleichsam zu einem Symbol, zu einem 
Ornament degradiert. 
Das enthüllt schlaglichtartig Albert Speers 
Erfindung des Lichtdoms für das Zeppelinfeld 
im Nürnberger Reichsparteigelände.’ Aus 
Sorge, die Physiognomien der Amtswalter der 
Partei, die, wie man wußte, in der Mehrzahl 
nicht dem propagierten Rasseideal des „nor- 
dischen Menschen“ entsprachen, könnten die 
Würde der Parteifeier beeinträchtigen, ließ 
der Architekt sie als „dunkle Gemeinschaft“, 
die als solche auch in der Dichtung gefeiert 
wurde, in das Stadion einmarschieren, indem 
die Scheinwerfer nur die Fahnen und Standar- 
ten in gleißendes Flutlicht tauchten. 
Die formierte-uniformierte Masse, die 
durch das „Wort aus Stein“ um ihr Recht auf 
Sprache gebracht, sich höchstens in Sprechge- 
sängen, Hymnen und Akklamationen kollek- 
tiv äußern durfte, unterlag denselben Gliede- 
rungsgesetzen wie die Architektur, Gliede- 
rungsgesetzen, deren Muster, wie es Ernst 
Jünger® in seinem „Arbeiter“ formuliert hat, 
nicht der Gesellschaftsvertrag, sondern die 
Heeresordnung zu sein hat. Sie zu einer opfer- 
und kriegsbereiten „Volksgemeinschaft“ zu 
formen, war also Aufgabe der mit allen Form- 
qualitäten einer Memorial- und Fortifika- 
tionsarchitektur ausgestatteten NS-Bauten. 
Ihre Protagonisten, so der Kunsthistoriker 
Hubert Schrade?, haben das auch nicht an- 
ders verstanden: „Auf sie (die Architektur) 
blicken die politischen Soldaten(!). Alle von 
einer Haltung(!) im gleichen Kleide(!), auf ein 
Ziel(!) ausgerichtet, müssen sie die Strenge(!) 
der Pfeiler als Wesensausdruck der Ord- 
nung(!) empfinden, der sie sich unterstellt ha- 
ben, am Stein des gleichen Gestaltungswil- 
lens(!) inne werden, der sie selbst, die leben- 
den Menschen ergriffen hat, zwischen sich und 
der. Architektur einen vollkommenen Ein- 
klang fühlen“. 
Wenn eben davon die Rede war, daß diese 
NS-Bauten die Physiognomie einer Memo- 
rialarchitektur aufweisen, so hatte das 
Münchner Parteiforum, zu dem zwischen 
1933 und 1935 der von Leo von Klenze gestal- 
tete Königsplatz vergewaltigt wurde, auch die 
Funktion eines Memorialbaues, denn es hatte 
nicht nur die Masse der „toten“ Lebenden auf- 
zunehmen, sondern auch die 16 Toten des No- 
vemberputsches vom Jahre 1923. Diese Toten, 
analog zu christlichen Märtyrern zu solchen 
der Partei erhoben, wurden nicht dunklen, un- 
zugänglichen Krypten oder Mausoleum über- 
lassen, sondern ihre metallenen Sarkophage 
waren, allen sichtbar, in zwei offenen Ehren-- 
tempeln aufgestellt, die ähnlich wie das 1924 
errichtete Kant-Grabmal am Dom zu Königs- 
berg als Pfeilerhalle konzipiert - doch im Un- 
terschied zu ihm im Sinne einer germanischen 
Kultstätte als um einen freien Platz gruppierte 
Steinsetzung abgewandelt!® - gleich Wach- 
häusern den Eingang von der Stadt zum Fo- 
rum flankierten. Somit waren diese „Blutzeu- 
gen“ als „lebende“ Tote („Auch Tote sind in 
unsren Reihn ...“ von Schirach) den „toten Le- 
benden zum Vorbild gegeben. „Ihre (der 
Ehrentempel) Offenheit“ - so heißt es bei 
Hubert Schrade - „macht das, woran sie er- 
innern, zu einer ständig wirkenden Wirklich- 
keit des Lebens. Diese Wirklichkeit aber heißt 
Opfer. Das Opfer gehört zum Leben. Es ist 
eine Macht des Lebens und das bindendste 
Geheimnis der Gemeinschaft“. !! 
Auch sei daraufhingewiesen, daß selbst das 
von Werner March gestaltete Reichssport- 
feld in Berlin nicht nur den Sportproduzen- 
ten und -konsumenten zu dienen hatte, 
sondern mit dem in’ die Stadionachse hinein- 
gestellten 75 m hohen Glockenturm, der eine 
Gedächtnishalle für die Kriegsopfer von 
Langemarck barg, zugleich eine Memorial- 
funktion besaß. Ja es scheint, als sei die Archi- 
tekturform des Olympiastadions eigens auf 
ein am Eröffnungstage der Olympiade aufge- 
führtes Spiel mit dem Titel: Olympische Ju- 
gend zugeschnitten worden, das von dem 
späteren Repräsentanten des bundesdeut- 
schen Sports Carl Diem verfaßt worden ist 
und dessen Schlußbild den verräterischen Ti- 
tel: Heldenkampf und Totenklage besaß. Ein 
Sprecher trug dazu die Verse vor: Allen Spiels 
heil’ger Sinn/ Vaterlandes Hochgewinn/ Va- 
terlandes höchst Gebot/ in der Not/ Opfer- 
tod!!2 
NS-Architektur hat also wie eine Festungs- 
architektur die Macht der Herrschenden und 
die Ohnmacht der Beherrschten zur An- 
schauung zu bringen. Die höchsten Prädikate, 
die ihr und zu dieser Zeit auch allen histori- 
schen Bauwerken von Rang gegeben wurden, 
waren: gewaltig, beherrschend, wichtig, 
machtvoll, monumental, Epitheta also, durch 
die Architektur einen bestimmten politischen 
Herrschaftsanspruch reflektiert. Die so be- 
schriebene Architektur, die sich also durch 
ihre Formensprache als eine „architectura 
militans“ gebärdet, eine Formensprache, die 
sie befähigt, Zwang auszuüben, schafft sich so 
eine Aura von Wesenhaftigkeit und ist geeig- 
net ein etabliertes Herrschaftssystem ideolo- 
gisch zu festigen. 
Unmißverständlich hat dies der bekannte 
Brückenarchitekt und spätere Düsseldorfer 
Stadtbaudirektor Friedrich Tamms zum Aus- 
druck ‚gebracht.!? Im vorletzt erschienenen 
Heft der Zeitschrift: Die Baukunst heißt es 
wörtlich: Das harte Gesetz der Baukunst muß 
streng sein, von knapper, klarer, ja klassischer 
Formgebung. Es muß einfach sein. Es muß 
den Maßstab des „an den Himmel Reichen- 
den“ in sich tragen. Es muß über das übliche, 
dem Nutzen entlehnte Maß hinausgehen. Es 
muß aus dem Vollen gebildet sein, fest ge- 
fügt und nach den besten Regeln des Hand- 
werks wie für die Ewigkeit gebaut. Es muß im 
praktischen Sinne zwecklos (sic!), dafür aber 
Träger einer Idee sein. Es muß etwas Unnah- 
bares in sich tragen (sic!), das die Menschen 
mit Bewunderung, aber auch mit Scheu er- 
füllt. Es muß unpersönlich sein, weil es nicht 
das Werk eines einzelnen ist, sondern Sinn- 
bild einer durch ein gemeinsames Ideal ver- 
bundenen Gemeinschaft. 
Es wird daher immer am ehesten in Erschei- 
nung treten, wenn diese Gemeinschaft jung ist 
(wie der NS-Staat! Anmerkung von H.J.K.) 
und mit noch heißem Herzen neuentdecktes 
Land zu erobern sich anschickt (sic!). ... Aber 
es ist hart und stark, rücksichtslos und zu- 
kunftsträchtig, nicht immer feinfühlend, aber 
vital, stets großartig, schwungvoll und lebens- 
voll. Es ist Inbegriff der Zukunft, Ausdruck 
einer starken Jugend. 
Mit diesen Sätzen ist die NS-Architektur 
voll auf den Begriff gebracht. 
Architektur, die dem NS-Regime ständige 
Anerkennung sichern soll, muß also ganz be- 
stimmte Formqualitäten aufweisen, aufgrund 
derer sie wie das zu repräsentierende System in 
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