Einleitung
Ein umfassendes Bauprogramm, welches das Gesicht unserer Heimat
weitgehend bestimmen wird, ist nur mit Hilfe des Einsatzes aller techni-
schen Mittel durchführbar. Die Behebung einer so gewaltigen
Wohnungsnot zwingt zur maschinellen Herstellung der Bauteile, zur
Normierung der Grundrisse, zur Rationalisierung.
Diesem Vorgang entspricht eine Wandlung des Lebens, denn Bauen
ist nichts anderes als ein sichtbares Nachvollziehen von Entschei-
dungen, die im Leben fallen.
Als unsere Vorfahren sich vor etwa 100 Jahren zuerst einem mecha-
nischen Fortbewegungswerkzeug, der Eisenbahn anvertrauten, da er-
innerten die Wagen an eine Reihe hintereinandergehängter Equipagen.
Ihre Insassen wollten die Furcht vergessen, denn es schien ihnen
unvorstellbar, daß kein Kutscher auf dem Bock des Gefährtes saß und
sie sich auf ganz neuartige, unheimliche Weise fortbewegten. Diese
Furcht unserer Vorväter war nicht unbegründet, vertrauten sie sich
doch als erste einem mechanischen Gefährt an, welches die ganze
Menschheit in ungeahnte Fernen tragen sollte und aus dem es kein
Aussteigen mehr gab.
Die Technik hat seit damals Fortschritte gemacht und mit der Zeit
fast alle Gebiete unseres Lebens erfaßt. Wir wollen uns nicht verhehlen,
daß auch wir Menschen von heute uns noch fürchten, den letzten und
nächsten Teil unseres Selbst, unser eigenes Haus, mechanisierter
Massenherstellung anzuvertrauen.
Die Welt der Technik und des technischen Bauens hat ihr eigenes
Gesicht. Zwar läßt es sich verdecken. Nicht nur unsere Vorväter
versuchten dies, sondern auch wir kennen Eisenbahnbrücken mit
Renaissanceornamentik und Gußbetongroßsiedlungen in heimeligem
Biedermeierstil. Aber solche tarnenden Verkleidungen haften nicht.
Die technische Form stößt handwerklichen Zierrat von sich ab. Eins
will das andere nicht, will keine Ehe mit ihm eingehen. Diese
vergeblichen Versuche, die von damals wie die von heute, zeigen, daß
der Mensch sich scheut, die Technik so zu nehmen, wie sie ist, ihr ohne
Verkleidung ins Gesicht zu sehen.
Verfechter einer durchgreifend vollständigen Rationalisierung des
gesamten Bauwesens sind versucht, Bemühungen handwerklich
bodenständigen Bauens nicht ganz ernst zu nehmen. Sie sehen darin
eine Ausflucht vor den Forderungen unserer Zeit.
Beobachtet man den Verfall alten, bodenständigen Handwerks und
sieht man, wie mehr und mehr an die Stelle des Handwerkers der
Monteur rückt, so scheint die fortschreitende Entwicklung vom
Handwerk zur Maschine bestätigt.
Eine Baufibel, welche diese entscheidende Wandlung nicht beachtet,
setzt sich der Gefahr aus, als ein etwas abseitiges Büchlein musealer
Liebhaberei gewertet zu werden. Das würde uns leid tun, denn unsere
Absicht ist es nicht.
Zwar sind wir uns bewußt, daß die Technik weitgehend das Gesicht
der Landschaft bestimmen wird, aber wir glauben nicht an die
allumfassende Rationalisierung, aus dem einfachen Grunde, weil dem
Menschen mit ihr nicht gedient ist.
„Die Technik verheißt Gewalt und Größe, der Mensch aber ist an ein
Maß gebunden“ beginnt Rudolf Schwarz sein Buch von der Weg-
weisung der Technik“.
Was ein Mensch in wörtlichem Sinn begreifen, was er mit Auge und
Hand wirken kann, das ist sein Maß: sein Handwerk.
Emil Steffann
Baufibel für
Lothringen
Erstdruck nach dem
1943 entstandenen
Manuskript
Diese Burg
liegt als ein Zeugnis
namenloser Kämpfe
im Lothringer Land