Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Einleitung 
Ein umfassendes Bauprogramm, welches das Gesicht unserer Heimat 
weitgehend bestimmen wird, ist nur mit Hilfe des Einsatzes aller techni- 
schen Mittel durchführbar. Die Behebung einer so gewaltigen 
Wohnungsnot zwingt zur maschinellen Herstellung der Bauteile, zur 
Normierung der Grundrisse, zur Rationalisierung. 
Diesem Vorgang entspricht eine Wandlung des Lebens, denn Bauen 
ist nichts anderes als ein sichtbares Nachvollziehen von Entschei- 
dungen, die im Leben fallen. 
Als unsere Vorfahren sich vor etwa 100 Jahren zuerst einem mecha- 
nischen Fortbewegungswerkzeug, der Eisenbahn anvertrauten, da er- 
innerten die Wagen an eine Reihe hintereinandergehängter Equipagen. 
Ihre Insassen wollten die Furcht vergessen, denn es schien ihnen 
unvorstellbar, daß kein Kutscher auf dem Bock des Gefährtes saß und 
sie sich auf ganz neuartige, unheimliche Weise fortbewegten. Diese 
Furcht unserer Vorväter war nicht unbegründet, vertrauten sie sich 
doch als erste einem mechanischen Gefährt an, welches die ganze 
Menschheit in ungeahnte Fernen tragen sollte und aus dem es kein 
Aussteigen mehr gab. 
Die Technik hat seit damals Fortschritte gemacht und mit der Zeit 
fast alle Gebiete unseres Lebens erfaßt. Wir wollen uns nicht verhehlen, 
daß auch wir Menschen von heute uns noch fürchten, den letzten und 
nächsten Teil unseres Selbst, unser eigenes Haus, mechanisierter 
Massenherstellung anzuvertrauen. 
Die Welt der Technik und des technischen Bauens hat ihr eigenes 
Gesicht. Zwar läßt es sich verdecken. Nicht nur unsere Vorväter 
versuchten dies, sondern auch wir kennen Eisenbahnbrücken mit 
Renaissanceornamentik und Gußbetongroßsiedlungen in heimeligem 
Biedermeierstil. Aber solche tarnenden Verkleidungen haften nicht. 
Die technische Form stößt handwerklichen Zierrat von sich ab. Eins 
will das andere nicht, will keine Ehe mit ihm eingehen. Diese 
vergeblichen Versuche, die von damals wie die von heute, zeigen, daß 
der Mensch sich scheut, die Technik so zu nehmen, wie sie ist, ihr ohne 
Verkleidung ins Gesicht zu sehen. 
Verfechter einer durchgreifend vollständigen Rationalisierung des 
gesamten Bauwesens sind versucht, Bemühungen handwerklich 
bodenständigen Bauens nicht ganz ernst zu nehmen. Sie sehen darin 
eine Ausflucht vor den Forderungen unserer Zeit. 
Beobachtet man den Verfall alten, bodenständigen Handwerks und 
sieht man, wie mehr und mehr an die Stelle des Handwerkers der 
Monteur rückt, so scheint die fortschreitende Entwicklung vom 
Handwerk zur Maschine bestätigt. 
Eine Baufibel, welche diese entscheidende Wandlung nicht beachtet, 
setzt sich der Gefahr aus, als ein etwas abseitiges Büchlein musealer 
Liebhaberei gewertet zu werden. Das würde uns leid tun, denn unsere 
Absicht ist es nicht. 
Zwar sind wir uns bewußt, daß die Technik weitgehend das Gesicht 
der Landschaft bestimmen wird, aber wir glauben nicht an die 
allumfassende Rationalisierung, aus dem einfachen Grunde, weil dem 
Menschen mit ihr nicht gedient ist. 
„Die Technik verheißt Gewalt und Größe, der Mensch aber ist an ein 
Maß gebunden“ beginnt Rudolf Schwarz sein Buch von der Weg- 
weisung der Technik“. 
Was ein Mensch in wörtlichem Sinn begreifen, was er mit Auge und 
Hand wirken kann, das ist sein Maß: sein Handwerk. 
Emil Steffann 
Baufibel für 
Lothringen 
Erstdruck nach dem 
1943 entstandenen 
Manuskript 
Diese Burg 
liegt als ein Zeugnis 
namenloser Kämpfe 
im Lothringer Land
	        
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