Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Bernhard Strecker 
Grün 
ist 
die 
Heide 
E iner der wirklich regionalen Baumeister 
ist für mich Gaudi. Er war von tiefer 
Begeisterung für den kulturellen Raum, in 
dem er lebte, erfüllt und träumte von einer 
geistigen und sehr sinnlichen Antwort im 
menschlichen Bauen auf den Charakter seiner 
Region. Er war und blieb in dieser Land- 
schaft buchstäblich verwurzelt, lebte und 
arbeitete an diesem einen Ort - ähnlich wie 
Cezanne, der seinen Berg ein Leben lang auf 
der Leinwand zu erfassen suchte. Gaudi 
erträumte eine mittelmeerische Gotik, gebo- 
ren aus dem Licht, dem Äther dieser Region 
und aus den Pflanzen und Gesteinen dieses 
Küstenstreifens Barcelona, und er war nicht 
allein in dieser Mission. Seine Handwerker 
und wilden Ingenieure wurden von der 
gleichen Idee getrieben, waren Vagabunden 
der Berge, Tänzer und Sänger des örtlichen 
Kultraumes und Kosmopoliten zugleich. 
Wind, Sand und Sterne - regionales Bauen 
und kosmopolitisches Denken können gute 
Brüder sein. Weit spannt sich das Firmament 
über dem Plateau im Park Güell, nun heute 
allzu oft eingehüllt in den Dunst und Smog 
der Großstadt. 
Können wir nicht auch wie Gaudi und seine 
Barden Heimat-Mutter-Erde singen, sagen? 
Rühren nicht jeden bestimmte Landstriche 
bis tief ins Innerste an? Kulturlandschaften ... 
in die eine gehöre ich, will selbst zum 
Bestandteil ihrer Bestimmung werden? Ich 
z.B. begreife und verwirkliche mich im 
nördlichen friesischen Küstenraum. Die 
Visionen sind holzlattig, hüftig und durch- 
tränkt von sprödem Protestantismus, auf der 
Suche nach einer sensibel ostfriesischen 
Mischung mit einem Hauch südlicher Sehn- 
sucht unterm weiten nördlichen Himmel 
(Projekte Atelier Kuckei - Strecker). Ist nicht 
im Norden der Schatten Bote des Lichtes? 
Durch die Schatten kommt das Licht selbst 
zur Geltung, wir wollen sie gewissermaßen als 
Träger des Lichtes. Am Beispiel von Farbe 
und Licht läßt sich unsere Verhaltensweise 
erläutern. Wir suchen nach Einbindung in die 
vorhandene Natur- und Kulturlandschaft 
und finden sie u.a. im Verhältnis von 
Farbgebung zu Farbträger und im Umgang 
mit dem Licht. Wir malen mit dem Material 
und zeichnen mit dem Schatten. Schwarz und 
Weiß bilden Zeichen und Verstärker. Im 
holländisch friesischen Bauen hat das Weiß 
eine Bedeutung wie das Weiß der Zähne, des 
Augapfels im menschlichen Gesicht. Es sind 
nicht Flächen und zusammenhängende Kör- 
per in Weiß, sondern empfindliche Zonen, 
Merkmale ... weiß hervorgehoben. Das Weiß 
bedeutet das Frische, das Geputzte. Im 
Frühjahr wird an einigen Punkten weiß 
lackiert, und das Gebäude ist wieder frisch. 
Der farbige Reichtum der Materialien selbst 
liegt vor allem ım ständigen Wechsel des 
Lichtes und der Atmosphäre. Farbe und 
Material sind eins. Bei Regen dunkelt der 
sonst trocken mürbe zinnoberrote Ton der 
Pfannen ins Violett. Beim Abendrot erglüht 
die schwärzliche Bretterwand in goldenem 
Schimmer, im fahlen Nebellicht dünsten die 
Reitdächer dunklen, nußbraunen Klang. Das 
Sinnliche, Lebendige der Materialien, ihre 
Modulation und Veränderung in Licht und 
Luftfeuchtigkeit bewirken die Verschmel- 
zung der Architektur mit der Landschaft und 
Natur. 
Solche und ähnliche Beschreibungen wer- 
den mir heute gerne abgenommen. Regional 
formal zu argumentieren, ist guter Ton. Der 
politische Markt und der Baumarkt verein- 
nahmen, verwerten schon wieder, und 
schwarzbraun ist die Haselnuß ... dächelnd, 
giebelnd, fensterInd wird Regionalismus zur 
neuen Tarnkappe. 
An der Niederelbe findet man Gehöfte, die 
sind über und über bemalt - wie mit Sommer- 
sprossen - mit weißen runden Tupfen. Diese 
Tupfen ziehen sich frei über die Holzkon- 
struktion und die Gefache - tanzend wie 
Schneeflocken oder ... wie „Blütenblätter“? 
Dieses Bild enthält viel von dem, was es über 
regionales Bauen zu sagen gibt. Im Alten 
Land hinter den Elbdeichen leben die Bauern 
vom Glück weniger Tage der Apfel- und 
Kirschblüte. Ihre Existenz liegt in diesem 
weißen Blütenmeer. Betritt man die in feiner 
Holzarbeit gehobelten und verzapften Ein- 
gänge und Veranden, strahlen einem lackier- 
te pausbäckige, rot-grüne Profile entgegen 
und erzählen von gereiften Früchten. Aber 
auch andere Botschaften mischen sich in die 
Detailausstattungen und den Innenausbau ... 
Mitteilungen von jenseits des Deiches - Mes- 
singprofile - Porzellan, Sonderstücke aus 
irgendwo hinter den grauen Meeren: christ- 
liche Seefahrt ist hier eine weitere Existenz- 
bedingung und für uns ein weiterer Hinweis 
auf das, was es zum „Regionalen“ zu sagen 
gibt: Hier und anderswo! Das Regionale ist 
doch immer Teil eines universalen Ganzen 
und wenn dies auch nur in der schwarzen 
Kaffeebohne und dem indischen Pfeffer zum 
Ausdruck kommen mag. Das Regionale ist
	        

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