Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

macher und Literaten, vorweg den Architek- 
ten. War es nicht bislang auch so? 
Dabei ist der Rotschlamm die Folge der 
Produktion eines allseits verbreiteten Bau- 
stoffs - Aluminium. Die Wächter der Region 
bauen weniger mit Aluminium. Sie erstellen 
Gutachten und organisieren die Bürger der 
Gesamtgemeinde, sich für ihre Orte und 
„lebenswerte Umwelt und ihre und ihrer 
Kinder Gesundheit“ einzusetzen. 
Heimat denken, empfinden, sagen fiel den 
Deutschen lange Zeit ja zu Recht schwer, 
heute wird es aus neuen Gründen nicht 
leichter. Blut und Boden schimmert im heuch- 
lerischen Regionalismus schnell wieder 
durch, und wenn es ernst wird im regionalen 
Engagement, dann kKnallt’s. Dachgauben 
mögen erlaubt sein. Aber wieviel schwerer 
wird es, eine alte Dorfstraße vor dem 
Kahlschlag der Bäume durch den übergeord- 
neten Verkehr zu bewahren! Noch selten 
gelingt es. In Deutschland wurde die Heimat 
durch Film und Literatur nur langsam wieder 
scheu ertastet. Die Musikboxen bliesen 
amerikanische Texte. Stolz und Schicksals- 
verbundenheit mit der eigenen Region war 
nur über Fremdschilderung erlaubt. „Grün ist 
die Heide“, der Wildererfilm mit dem 
Witzbold Wolfgang Neuss, blieb eine Anbie- 
derung an die echten Gefühle zur Landschaft 
... Dann doch lieber die Originaltexte von 
Hermann Löns oder, wie wenige, Arno 
Schmidts Pocahontas oder Brands Heide und 
Kühe in Halbtrauer. Das waren Texte eines 
Heidefauns, die Standorte, Landschaft, In- 
nen- und Außenwelten in der Heideregion 
neu entstehen ließen und vielen ein neues 
Heimatpotential aufbauten. Lange vor den 
Pop-artisten, die in den frühen 60ern die hohl 
gewordene Herrschaft und Doktrin der infor- 
mellen Asthetik niederrissen, hatten der 
Wortmetz in Bargfeld seine Holzhütte 
bezogen und meißelte an Gegenwarts-Ge- 
schichten, die sarkastisch und innig die 
kulturellen, sozialen und sprachlichen Böden 
der Region umgruben. Nach diesem Um- 
graben konnte man wieder leben, weiter- 
machen. Auch dieser lokale Heide-Wanderer- 
dichter hatte seine universalen Freundes- 
beziehungen. James Fenimore Cooper. Die 
Heide wird zur Prärie - „Flachland und 
Nachschlagwerke - da bekommt man Luft!“ 
Blut & Boden heißester Natur mit natio- 
nalem Ethos waren damals nur erlaubt als 
B.Strecker 
Strandhalle an der Wesermündung 
links: Mittelschiff der Strandhalle 
Strandhalle als Teil der Umgebung 
unten: Winteransicht vom Wasser 1980 
a. 
Fremdschilderung aus entferntesten Breiten- 
graden, wie etwa über den legendären Film 
„O Cangancero“ - brasilianisches Erwachen, 
wo der keusche, wunderbare Held dem Tode 
geweiht mit seinem Blut und seinen Tränen 
den Boden tränkt und seine feine starke Hand 
im Staub der Mutter Erde erstirbt. Deutsche 
Liedersprache probten zäh zuerst die Lieder- 
macher aus der DDR, die sich, vielen nicht 
bekannt, den westdeutschen Liedermarkt 
früh erschlossen. Schrittweise über milieu- 
kritische Studien hat sich in den 60ern ein 
neues Landschaftspuzzle herausgebildet. 
„Jagdszenen in Niederbayern“ mit der jungen 
Angela gehört zu den Filmen, über die eine 
Region beleuchtet wurde. Das sind nicht 
mehr Rainer Maria Rilke und Emil Nolde 
allein, die unsere Vorstellung neben dem 
eigenen Erleben prägen, das sind auch diese 
neuen reflektierenden Filmimpulse. Wim 
Wenders „Im Laufe der Zeit“ treibt uns dann 
gleich durch’s ganze bundesrepublikanische 
Land, durch eine neue Ssoziographische 
Landschaft. Regionbezogenes Wissen und 
Handeln erweitert und komprimiert den 
Spielraum auf dieser Erde zugleich. Unsere 
Situation ist ähnlich der jenes kleinen Prinzen 
auf einem Planeten, der nur wenig hat, das in 
umso gefährdender grundlegender Beziehung 
und Bedeutung zueinander steht. 
In dem Film „Im Zeichen des Kreuzes“ 
wird 1983 über eine Region die wirkliche, 
mögliche, schleichende Gefährdung der Le- 
benszusammenhänge gewagt auszuspielen - 
wir sind immer noch in der Heide „Gorleben“. 
Die Autoren Bolt und Minow meinen, „dem 
Fernsehen muß erlaubt sein, die Gefahren 
unserer wissenschaftlich-technischen Welt an 
die Wand zu malen, damit das Ungewisse aus 
dem Reich der Alpträume ins Bewußtsein 
tritt“. Der Film „Im Zeichen des Kreuzes“, so 
benannt nach den kreuzähnlichen schwarzen 
Flügelrädern des Strahlenwarnsymbols auf 
gelbem Grund, der fiktiv die Katastrophe 
eines atomaren Unfalles durch den Zu- 
sammenprall eines Tankwagens mit einem 
mit radioaktivem Material beladenen Trans- 
porter schildert, handelt in einem Dorf in der 
Lüneburger Heide. Laien aus der Umgebung 
spielen mit. Inhalt und Produktion werden 
zum Gegenstand öffentlichen Interesses. Und 
dann ... wird der Streifen aus dem 1. 
Programm abgesetzt, warum? Zuletzt kommt 
er doch noch ins 3. Programm und wird von 
der Kritik verrissen. 
„. „In einer Zeit weitverbreiteter irrationaler 
Angste sei es verantwortungslos, wenn man 
zur unbegründeten Verunsicherung der Men- 
schen noch beitrüge“. Der „Spiegel“ beendete 
seinen Bericht im März dieses Jahres: „In der 
Woche, in der sich die ARD das ’Zeichen des 
Kreuzes’ vom Halse geschafft hat, sind die 
Giftfässer von Seveso noch nicht aufgetaucht 
- auch dies theoretisch ausgeschlossen und 
praktisch undenkbar“. Ich weiß, daß es schon 
Zeiten gegeben hat, wo Schlimmes von vielen 
gewußt, aber doch verdrängt, nicht für wahr 
gehalten wurde. Was ist es, was wir heute 
wissen und doch nicht wahrhaben wollen? 
Baumeisterinnen und Baumeister können 
im regionalen Engagement für sich und das 
Ganze vieles erreichen. Es liegt im ständig 
präsent sein, am Ort sein, die Lebensbedin- 
gungen und Systemzusammenhänge kennen. 
Hier liegen auch die Antworten auf das 
„Regionale“ in den Großstädten und Stadt- 
quartieren. Auch hier ist die regionale 
Baukultur die Frucht örtlichen ständigen 
Engagements. Allerdings blüht in den Städ- 
ten viel selbstverständlicher die auch im 
ländlichen Regio gestattete wundersame Stil- 
mischung. Denn es gehen ja in eine Stadt die 
Erfahrungen aus vielen Städten ein, und es 
schleppen die Generationen der Bewohner 
ihre Erfahrungen und Bilder von der einen in 
die andere Stadt. 
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