‚Das Leben des Architekten Friedhelm König verlief
anders, ...
Während Friedhelm bereits kubistische Gebilde entwarf,
in denen sein Vater die Weißenhof-Siedlung wiederzu-
erkennen glaubte, malten die Klassenkameraden im
Kunstunterricht Satteldachhäuser, die Tür in der Mitte,
rechts wie links ein Fenster, und der Schornstein rauchte.
Im Garten blühten die Obstbäume. Friedhelms Häuser
waren grünlos “'
E igentlich schaut sie ausgesprochen bo-
denständig aus, die Kochenhofsiedlung
auf den Höhen des Stuttgarter Killesbergs.
Ihre eingewachsenen Gärten und die roten
Steildächer auf den hellen Häuschen strahlen
Wärme und Gemütlichkeit aus. Das geschlos-
sene, aber abwechslungsreiche Straßenbild
könnte den vom Wirtschaftswunderwoh-
nungsbau nicht gerade verwöhnten Zeitge-
nossen fast neidisch werden lassen, so
anheimelnd mutet die reinliche Siedlung hier
oben an. Tatsächlich sieht man ihr die
nationalsozialistischen Absichtserklärungen,
die vor fünfzig Jahren ihre feierliche
Eröffnung begleitet hatten, kaum mehr an.
„Im Jahre der nationalen Revolution - da
Adolf Hitler die Macht übernommen - da
Wilhelm Murr Reichsstatthalter von Würt-
temberg - und Dr. Karl Strölin Oberbürger-
meister von Stuttgart war - wurde diese
Siedlung aus deutschem Holz erbaut.“ So
verkündete eine programmatische Gedenk-
tafel an dem heute völlig neugebauten
Eckhaus am Siedlungseingang. Und die
Redner hoben zur Eröffnung der Ausstel-
lungssiedlung immer wieder vor der ver-
sammelten lokalen NS- und Architekten-
prominenz Stuttgarts die zukunftsweisende
Bedeutung hervor, die dem Quartier als
Leitbild des neuen Siedlungs- und Wohn-
ideals im Dritten Reich zugedacht war. Mit
einem dreifachen Sieg-Heil auf Hindenburg
und. Hitler und mit dem gemeinsamen
Absingen des Deutschlandliedes und des
Horst-Wessel-Liedes fanden die Eröffnungs-
feierlichkeiten schließlich einen, wie die
Lokalpresse befand, „würdigen Abschluß“.?
Nach Maßgabe des von den Stuttgarter
Architekten Paul Schmitthenner und Heinz
Wetzel entwickelten Bebauungsplanes hatten
23 lokale Architekten Entwürfe für 25 Ein-,
Zwei- und Mehrfamilienhäuser auf einem
sanft nach Norden abfallenden Gelände des
Killesbergs realisiert. Das Bild des Siedlungs-
einganges auf der südlichen Anhöhe rahmen
die Baumassen der Mehrfamilienmiethäuser
von Bonatz & Scholer sowie von Tiedje und
Gonser, zwischen denen die drei Einfamilien-
häuser von Schmitthenner eine besondere
Lagegunst genießen. Die sich nach Norden
anschließende Bebauung mit hangparallel
angeordneten Einfamilienhäusern wird am
Siedlungsrand von einer massierten Reihe
von Zweifamilienhäusern und Doppelhäu-
sern aufgefangen. Die zugunsten zusammen-
hängender Gartenflächen geschickt auf den
Grundstücken situierten Fachwerkhäuser
sind überwiegend verputzt oder in Holz
verschalt und mit stark geneigten Sattel-
dächern versehen.
Idee und Programm der Holzsiedlung
waren allerdings keineswegs auf dem faschi-
stischen Mist gewachsen, auf dem sie
schließlich eröffnet wurde. Vielmehr hatten
die Württembergische Arbeitsgemeinschaft
des Deutschen Werkbundes und der für seine
avantgardistische Bauauffassung bekannte
Stuttgarter Architekt Richard Döcker bereits
Anfang der dreißiger Jahre als Reaktion auf
die Weltwirtschaftskrise den Vorschlag ent-
wickelt, eine Mustersiedlung mit Holzhäu-
sern zu erbauen, um Möglichkeiten für eine
Verbilligung des trotz Massenwohnungsnot
fast zum Erliegen gekommenen Massenwoh-
Nnungsbaus aufzuzeigen und gleichzeitig Ar-
beitsplätze in der einheimischen Bau- und
Holzwirtschaft sicherer zu machen. So war es
Jörg Haspel, Jürgen Zänker
Die Holzsiedlung auf dem
Stuttgarter Kochenhof 1933
— ein Lehrstück zur Wende
gegen die moderne Architektur?
oben: Die Siedlung am Kochenhof, Stuttgart
mitte: Die Weißenhofsiedlung, Stuttgart
unten: Die Weißenhofsiedlung als Araberdorf
Karikatur