Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

‚Das Leben des Architekten Friedhelm König verlief 
anders, ... 
Während Friedhelm bereits kubistische Gebilde entwarf, 
in denen sein Vater die Weißenhof-Siedlung wiederzu- 
erkennen glaubte, malten die Klassenkameraden im 
Kunstunterricht Satteldachhäuser, die Tür in der Mitte, 
rechts wie links ein Fenster, und der Schornstein rauchte. 
Im Garten blühten die Obstbäume. Friedhelms Häuser 
waren grünlos “' 
E igentlich schaut sie ausgesprochen bo- 
denständig aus, die Kochenhofsiedlung 
auf den Höhen des Stuttgarter Killesbergs. 
Ihre eingewachsenen Gärten und die roten 
Steildächer auf den hellen Häuschen strahlen 
Wärme und Gemütlichkeit aus. Das geschlos- 
sene, aber abwechslungsreiche Straßenbild 
könnte den vom Wirtschaftswunderwoh- 
nungsbau nicht gerade verwöhnten Zeitge- 
nossen fast neidisch werden lassen, so 
anheimelnd mutet die reinliche Siedlung hier 
oben an. Tatsächlich sieht man ihr die 
nationalsozialistischen Absichtserklärungen, 
die vor fünfzig Jahren ihre feierliche 
Eröffnung begleitet hatten, kaum mehr an. 
„Im Jahre der nationalen Revolution - da 
Adolf Hitler die Macht übernommen - da 
Wilhelm Murr Reichsstatthalter von Würt- 
temberg - und Dr. Karl Strölin Oberbürger- 
meister von Stuttgart war - wurde diese 
Siedlung aus deutschem Holz erbaut.“ So 
verkündete eine programmatische Gedenk- 
tafel an dem heute völlig neugebauten 
Eckhaus am Siedlungseingang. Und die 
Redner hoben zur Eröffnung der Ausstel- 
lungssiedlung immer wieder vor der ver- 
sammelten lokalen NS- und Architekten- 
prominenz Stuttgarts die zukunftsweisende 
Bedeutung hervor, die dem Quartier als 
Leitbild des neuen Siedlungs- und Wohn- 
ideals im Dritten Reich zugedacht war. Mit 
einem dreifachen Sieg-Heil auf Hindenburg 
und. Hitler und mit dem gemeinsamen 
Absingen des Deutschlandliedes und des 
Horst-Wessel-Liedes fanden die Eröffnungs- 
feierlichkeiten schließlich einen, wie die 
Lokalpresse befand, „würdigen Abschluß“.? 
Nach Maßgabe des von den Stuttgarter 
Architekten Paul Schmitthenner und Heinz 
Wetzel entwickelten Bebauungsplanes hatten 
23 lokale Architekten Entwürfe für 25 Ein-, 
Zwei- und Mehrfamilienhäuser auf einem 
sanft nach Norden abfallenden Gelände des 
Killesbergs realisiert. Das Bild des Siedlungs- 
einganges auf der südlichen Anhöhe rahmen 
die Baumassen der Mehrfamilienmiethäuser 
von Bonatz & Scholer sowie von Tiedje und 
Gonser, zwischen denen die drei Einfamilien- 
häuser von Schmitthenner eine besondere 
Lagegunst genießen. Die sich nach Norden 
anschließende Bebauung mit hangparallel 
angeordneten Einfamilienhäusern wird am 
Siedlungsrand von einer massierten Reihe 
von Zweifamilienhäusern und Doppelhäu- 
sern aufgefangen. Die zugunsten zusammen- 
hängender Gartenflächen geschickt auf den 
Grundstücken situierten Fachwerkhäuser 
sind überwiegend verputzt oder in Holz 
verschalt und mit stark geneigten Sattel- 
dächern versehen. 
Idee und Programm der Holzsiedlung 
waren allerdings keineswegs auf dem faschi- 
stischen Mist gewachsen, auf dem sie 
schließlich eröffnet wurde. Vielmehr hatten 
die Württembergische Arbeitsgemeinschaft 
des Deutschen Werkbundes und der für seine 
avantgardistische Bauauffassung bekannte 
Stuttgarter Architekt Richard Döcker bereits 
Anfang der dreißiger Jahre als Reaktion auf 
die Weltwirtschaftskrise den Vorschlag ent- 
wickelt, eine Mustersiedlung mit Holzhäu- 
sern zu erbauen, um Möglichkeiten für eine 
Verbilligung des trotz Massenwohnungsnot 
fast zum Erliegen gekommenen Massenwoh- 
Nnungsbaus aufzuzeigen und gleichzeitig Ar- 
beitsplätze in der einheimischen Bau- und 
Holzwirtschaft sicherer zu machen. So war es 
Jörg Haspel, Jürgen Zänker 
Die Holzsiedlung auf dem 
Stuttgarter Kochenhof 1933 
— ein Lehrstück zur Wende 
gegen die moderne Architektur? 
oben: Die Siedlung am Kochenhof, Stuttgart 
mitte: Die Weißenhofsiedlung, Stuttgart 
unten: Die Weißenhofsiedlung als Araberdorf 
Karikatur
	        

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