scher und finanzieller Machbarkeit für archi-
tektonische Umständlichkeiten plädiert, die
die bloße Zweckmäßigkeit erst erträglich ge-
stalteten. Eine nicht den kürzesten, sondern
sozusagen den schönsten Weg einschlagende
Erschließung, eine die Annäherung an das
Wohnhaus gestaltende, statt bloß verein-
fachende architektonische Organisation des
Übergangs vom öffentlichen Straßenraum
zum privaten Wohnraum, das durch Mauern
abgeschirmte „Höfchen, das die Heimat um-
schließt“?} - ins solchen Architekturmerkma-
len, die dem rationellen und rationalen Neuen
Bauen zwecklos oder unzweckmäßig erschei-
nen mochten und die Schmitthenner eine
zweckmäßige oder zweckfreie Veredelung des
Wohnraumes darstellten und die dem von
Zersetzungstendenzen bedrohten bürgerli-
chen Familienleben und seiner Wohnkultur
stabilisierende Geborgenheit versprachen, in
solchen Merkmalen deuten sich möglicher-
weise vernachlässigte Aspekte der funk-
tionalistischen Architekturdoktrin an, auf de-
ren Mängel die Stuttgarter Schule und die
konservative Architekturkritik der Weimarer
Republik hinwiesen, die vielleicht breiter
empfunden und von den NS-Architektur-
ideologen weidlich ausgeschlachtet werden
konnte.
Neben dem von der ’Wohnmaschine’ be-
fürchteten Zwang zu einer - in der Regel als
familienfeindlich - abgelehnten baulichen
Zwangsorganisation der Lebensvorgänge in
der privaten Wohnsphäre, den für Schmitt-
henner der von Scharoun mit Nachdruck
demonstrierte Bewegungsablauf in der Trep-
penausbildung zum Ausdruck zu bringen
schien, galt die Kritik vor allem einem mit der
Anwendung neuer Materialien und Kon-
struktionen und mit veränderten formalen
Leitbildern einhergehenden Verlust der her-
kömmlichen konstruktiven Anschaulichkeit
der Wohnbauten. Das mit dem Andauern der
Weltwirtschaftskrise an Überzeugungskraft
gewinnende Plädoyer Schmitthenners für die
Verwendung preiswerter, am Ort zur Ver-
fügung stehender Baumaterialien gegen Be-
ton, Stahl und Glas, seine mit industriekriti-
schen, ja antimonopolistischen Wendungen
durchsetzte leidenschaftliche Kritik am Ein-
satz moderner Bautechnologien, denen er
eine werkgerechte Verarbeitung lokaler Ma-
terialien bei sparsamem Maschineneinsatz
vorzog, entzündete sich an der unter Aus-
nutzung der neuen bauindustriellen Mög-
lichkeiten erzielten Gestaltwirkung des Neuen
Bauens, das handwerklich geprägte Seh-
gewohnheiten verblüffen mußte, angefangen
von der sterilen Maschinenglätte der Ober-
flächenbehandlung der Außenhaut bis zur
kaum mehr gebundenen Bemessung und
Verteilung der Wandöffnungen des Stahl-
betons und der Eisenskelettkonstruktionen.
„Wohnhäuser aus Stahlplatten und Glas zu
bauen, um sie dann mit allem möglichen
Aufwand gegen Schall, Wärme und Kälte zu
isolieren“2, das war Schmitthenner der
Endpunkt einer Akademisierung der Archi-
tektur und des Architekten, deren Loslösung
von der Baupraxis sie zu einem willfährigen
Instrument in den Händen der zu Syndikaten
vereinten Bauwirtschaft gemacht hätte. Daß
die Not beten und bauen gelehrt habe und daß
Baukunst von Menschengeist durchdrungene
und von Menschenhand überformte Natur-
notwendigkeit repräsentiere, war Schmitt-
henners Architektur-Credo, das unkompli-
zierte geschlossene Baukörperformen und wie
unwillkürlich sich zu Walm- oder Sattel-
dächern neigende Hauswände als Ausdruck
einer gekonnten Analogie zu natürlichen
Wachstumsprozessen verstand und sich bis in
die unkaschierten Spuren der Materialbe-
handlung auf die Bindung des Bauprozesses
und seines Produkts an natürliche Werkstoff-
eigenschaften und ablesbare Bearbeitungs-
spuren berufen konnte. Die Flächenauftei-
lung von Loch und Wand sowie deren Relief
spiegelten demnach die durch Materialwahl
und Konstruktion und Verarbeitung unter-
scheidbaren Bedingungen und Möglichkeiten
kaum industrialisierter Massiv- und Fach-
werkbauweisen.
Eine volkstümliche und populäre
Architektursprache
Die verlangte Rücksichtnahme auf das
Vorrecht der älteren Natur und Baukultur
sowie der Rückgriff auf bewährte Konstruk-
tions- und Gestaltungsmöglichkeiten zog eine
vertraute Formensprache nach sich, eine
Gegenwartsarchitektur, die sich in die Umge-
bung gleichermaßen unprätentiös einzurei-
hen schien wie in die Überlieferung.
Aus der Einsicht, „daß es volksnähere
Quellen gäbe als Vitruv‘“2?5, hatte sich vor dem
1. Weltkrieg bereits Theodor Fischer, der
Begründer der Stuttgarter Bauschule - dem
Bonatz, Schmitthenner und Wetzel ebenso
wichtige Anregungen verdanken wie Taut,
Oud oder Häring - für eine nachempfindende
Erneuerung anonymer regionaler Architek-
turtraditionen eingesetzt. Das hieraus ent-
wickelte Modell volkstümlicher Bauformen
und -traditionen, die sich gleichsam or-
ganisch fortpflanzten und in jeder Bau-
generation der vorhergehenden bzw. um-
gebenden verbunden blieben, bot nicht nur
dem von sozialen, wirtschaftlichen und tech-
nischen Umwälzungen erschütterten Selbst-
verständnis der Baukünstler eine architektur-
ideologische Orientierung, sondern sicherte
den Ergebnissen ihrer praktischen Bautätig-
keit einen Interpretationsrahmen mit einer
Vielzahl allgemein verständlicher, wenn nicht
sogar beliebter Zugänge zur architektoni-
schen Form. Schmitthenners Unterscheidung
zwischen „täglicher Sprache“ und „Dichtung“
oder zwischen „Volkslied“ und „unsterblicher
Symphonie“? entsprach seine Betonung eineı
von menschlichen Maßstäben geprägten un-
scheinbaren Architektur, in deren Umfeld die
erhabene Monumentalbaukunst der Antike,
des Mittelalters oder der faschistischen
Gegenwart erst zum Tragen komme.
Wie verbreitet und vermutlich populär die
Auffassungen der Stuttgarter Schule nicht
nur in bürgerlichen Kreisen gewesen sein
dürften, erhellt sich schlaglichtartig in der
Bautätigkeit der aus Kreisen der Gewerk-
schaften, der SPD sowie der KPD initiierten
Arbeiterbaugenossenschaften im Raum
Stuttgart.?” Bruno Taut trifft im Auftrag der
Architektenvereinigung ’Der Ring’ in seinem
Rundumschlag gegen die traditionalistische
Wohnhausarchitektur auch die Miethaus-
anlage auf dem Botnanger Sattel in Stutt-
gart?® und damit das Selbstverständnis des
Bau- und Sparvereins Kornwestheim, der
ältesten aus den Reihen der Sozialdemokra-
tie hervorgegangenen Baugenossenschaft der
Region, um deren stolzes Aushängeschild es
sich hierbei handelte?*. Als gebaute Gegen-
demonstration konnte schließlich auch lange
vor der Kochenhofausstellung die Siedlung
des Bau- und Heimstättenvereins Stuttgart
gelten, dessen Putzbauten unter Walm- und
Satteldächern vor allem von und für Gewerk-
schafter ‚erbaut worden waren und die
unterhalb der avantgardistischen Stadtkrone
der Weißenhofsiedlung sozusagen als tradi-
tionsbewußte Untertanensiedlung ein städte-
bauliches und architektonisches Kontrast-
programm abgaben.?°
Auf der Suche nach ’gesunden’ Vorbildern
für das Programm des nationalsozialistischen
Siedlungswesens spielte aber die bereits vor
dem 1. Weltkrieg von Mitgliedern des
Deutschen Metallarbeiter-Verbandes und
Daimler-Arbeitern gegründete Gartenstadt
Luginsland auf der Höhe über dem Neckartal
eine entscheidende Rolle. Das gängigen
Heimstättenidealen verpflichtete Erschei-
nungsbild der Wohnhäuser und Gärten sowie
das geschlossene, ringsum von Grün umgebe-
ne Siedlungsbild des Arbeiterstadtteils, der
dem Weingärtner- und Industriedorf als
Satellit ebenso zugeordnet scheint wie der
Neckarvorort selbst der Kernstadt Stuttgart
verkörperte idealtypische Züge der von den
Nationalsozialisten propagierten Umsetzung
von Arbeiterschichten in ländliche Ansied-
lungen auf den Höhen außerhalb der Stadt -
trotz der hervorragenden Bedeutung, die
Luginsland für den antifaschistischen Wider-
stand in Stuttgart zukam.?!
Faschistoider Tendenzen aber gänzlich
unverdächtige Stuttgart-Besucher äußerten
angesichts der Weißenhofsiedlung Bedenken,
die den Argumenten der konservativen
Kritiker nicht unähnlich waren. „Hier durfte
sich die Bauphantasie der besten Architekten
Europas austoben“, berichtet Sergej Tret-
jakow angesichts der „Kollektion von Häu-
sern“ auf dem Weißenhof und witzelt über
den „weißen Betonkasten Le Corbusiers“ mit
den Stuttgartern: „wie kalt es die Bewohner
dieses Pfahlbaus der Epoche der Elektrizität
und des Aluminiums im Winter haben“. Und
seine Bemerkung zum Taut-Haus kommt wie
eine Vorwegnahme der Bonatz-Polemik
einher: „Die Wände orange, blau, grau und
braun als ob das kein Haus wäre, sondern ein
Spielzeug für Riesenkinder“3. Für Ilja
Ehrenburg aber verkörpern die weißen
Würfel auf der Anhöhe „die ganze doppelte
Krankenhaussauberkeit unseres syphiliti-
schen und mißtrauischen Jahrhunderts ...
Über der alten Stadt ... erheben sich die
Baracken der Zukunft. Es erscheint sogar
sonderbar, daß darin lebendige Menschen
wohnen ... Wer weiß, ob dieser Gegensatz
natürlich ist, wie es mit dem seelischen Drama
all dieser Maximalisten der ’weißen’ und der
°Dachziegel’-Stadt bestellt ist ...?“22
Spätestens heute in ihrem eingewachsenen
Zustand erscheint die Kochenhofsiedlung
geradezu unaufdringlich attraktiv. Ute Peltz-
Dreckmann hat der unscheinbaren Kochen-
hofsiedlung noch ein vernichtendes antifa-
schistisches Geschmacksurteil ausgestellt: sie
sei im Vergleich zur Weißenhofsiedlung
ausgesprochen „langweilig“, Sie ahnte ver-
mutlich kaum, wie sehr sie mit diesem Urteil
die Planungsabsichten der Stuttgarter Schule
für eine Architektur der Selbstverständlich-
keiten bestätigt hätte. Eine sozusagen auf-
fällig unauffällige Normalität, fern aller
innovatorischen Ansprüche, vertrug sich mit
dem alltäglichen Faschismus des NS-Sied-
lungsbaus ebenso wie offenkundig ideolo-
gisch belastete Konzepte einer disziplinie-
renden Ordnungsarchitektur oder rustikali-
sierender Heimatschutzarchitektur.
Auf dem Killesberg 1939:
Natürliche Holzhäuser und propagan-
distische Kriegspsychose
Das eher mittelständische und kleinbürger-
liche Programm der Holzsiedlung auf dem
Kochenhof, das auch staatliche Zuschuß-
gremien des NS-Regimes bereits als über-
trieben aufwendig kritisiert hatten, ging 1939
in der Reichsgartenschau auf dem Stuttgarter
Killesberg schließlich eine Symbiose ein mit
der von den Nationalsozialisten in der Praxis
favorisierten Fortsetzung des bereits in der
Weimarer Republik aufgenommenen Baus
von Nebenerwerbs- und Stadtrandsiedlun-
gen in Form des sogenannten „Stuttgarter
Kleineigenheim nfit Landzulage“.
Der durch Teilungssitten weitgestreute
Grund- und Hausbesitz sowie das durch
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