Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Manfred Speidel 
Der 
Wiederaufbau 
von 
Freudenstadt 
1949-54 
Idealplan 
einer 
Renaissance 
stadt von 
A. Dürer 
Freuden- 
stadt 
Erster 
Entwurf 
von H. 
Schickhardt 
/um 1596‘ 
Schick- 
hardts Plan 
mit fünf 
Zeilen 
Zustand 
Freuden: 
stadts 
im 19. 
JIhr. 
Dad im Schwarzwald, um 1599 
von Herzog Friedrich von Württemberg 
und seinem Baumeister Heinrich Schickhardt 
als Kolonistenstadt? konzipiert und begonnen 
in der Form einer Idealstadtanlage, hat in der 
Stadtbauliteratur keinen allzu hohen Stellen- 
wert erhalten. J. Stübben in „Der Städtebau“ 
spricht zwar von einem „besonders bemer- 
kenswerten Grundriß“ der Stadt in der „Form 
eines Mühlbretts“, aber beschreibt sie ohne 
jede weitere Wertung?. Als eine der wenigen 
gebauten Idealstädte spricht Lewis Mumford 
dieser Form keine Beziehung zu einem 
sozialen Inhalte zu*, Wolfgang Braunfels ist 
noch ablehnender gegenüber dieser „aufer- 
legten Form“, deren Einfall dem Herzog beim 
Brettspiel des Mühlespiels kam, also aus einer 
willkürlichen Laune eines Fürsten entsprang 
und dann so viele Ungeschicklichkeiten barg 
wie die Forderung der geschlossenen Ecken 
nach Winkelbauten für die Eckkirche und das 
Rathaus. „Als Architekturereignis schön war 
diese Stadt zu keinem Zeitpunkt, bestenfalls 
kurios ...“5. 
Nun ist die Brettspiellegende kaum zu 
halten, wenn man die Vorentwürfe Schick- 
hardts miteinander vergleicht. Denn aus einer 
ursprünglichen Quadratform mit dem Schloß 
in einer Ecke des Quadrats ist im Anschluß an 
eine Reise nach Italien und Paris der 
endgültige Plan entstanden, der den neuesten 
Stand des Befestigungs- und Verteidigungs- 
baus darstellen sollte, nämlich eine quadra- 
tische Form mit einem großen Platz in der 
Mitte, in dem diagonal das Schloß stehen 
sollte, von dessen 4 Ecktürmen aus vier 
Ausfallstraßen in der Mitte jeder Seite 
kontrolliert werden konnten.® Dieser Plan ist 
Dürers Idealstadtentwurf von 1527 mit einem 
300 m im Quadrat messenden Platz, einem 
Schloß in der Mitte und um den Platz rings- 
um laufenden Lauben sehr ähnlich. 
Als westliche Bastion des Herzogtums 
Württemberg auf der Höhe des Schwarzwal- 
des mit Silbergruben in unmittelbarer Nähe 
sollte die Stadt ein strategisches Zwischen- 
glied bilden zwischen Stuttgart und dem 
württembergischen Besitz in Mömpelgard 
(Monbeliard), sie sollte sowohl Bergwerks- 
wie Militärstadt sein. 
Das Schloß wurde nie begonnen, wohl aber 
der zentrale Platz mit 220 auf 220 m und 
umlaufenden Arkaden, sowie die Kirche und 
drei bis vier Häuserzeilen auf jeder Seite. 1632 
ist die Stadt bis auf die Kirche vollkommen 
abgebrannt und wieder aufgebaut worden. 
Aber die Bergwerke waren nicht ertragreich 
genug, so daß die Stadt bis zur Umbildung in 
eine Kurstadt im 19. Jahrhundert „nicht leben 
und nicht sterben konnte“. Um noch einmal 
auf die Bewertung Freudenstadts “in der 
Literatur zu kommen: lediglich bei Paul 
Zucker in „Town and Square“ findet man eine 
lobende Erwähnung. „Dieses war die einzige 
Stadt in Deutschland, wo der Platz einen 
dreidimensionalen Eindruck gab. Unglück- 
licherweise ist diese Wirkung heute zerstört 
durch Baumpflanzungen und wildverteilte 
Häuser.‘“8 Die letztere Bemerkung dürfte sich 
wohl auf den Vorkriegszustand bezogen 
haben. 
Professor Ludwig Schweizer, der von 1949 
bis 1956 Stadtbaumeister von Freuden- 
stadt war und die 1945.noch nach Kriegsende 
vollkommen zerstörte Innenstadt entwarf 
und ihren Wiederaufbau leitete, sagt: „Vor 
dem Krieg war Freudenstadt eine Lausestadt 
mit großenteils häßlichen Häusern und einem 
vollgestellten Platz. Wenn wir sie so wieder 
hätten erstehen lassen, womöglich mit Bau- 
freiheiten, dann wäre es nach dem Kriege eine 
Ruinenstadt geworden, und niemand wäre 
mehr zu Besuch gekommen.“ 
Betrachtet man das Schema der Militär- 
stadt, ein Gebilde ohne Gärten, nur aus 
Mauern, so wäre das in der Tat keine 
bewohnbare Stadt, keine Architektur. Aber, 
so sieht es Ludwig Schweizer, Schickhardt, 
ein hervorragendser Renaissancearchitekt, 
hat das Schema nicht gebaut, es war nur Basis 
einer dreidimensionalen, auf einer indivi- 
duellen topografischen Situation erbauten 
Stadt. Er hat das Quadrat auf die Berghöhe so 
gesetzt, daß die starre Form lebendig wurde, 
indem ein Höhenunterschied von 12 m 
zwischen der hochliegenden NO-Ecke mit 
Rathaus und der tiefliegenden SW-Ecke mit 
Kirche entstand, so daß der Platz einen Hang 
bildet und die Häuserzeilen sich abstaffeln. In 
der gebauten Stadtanlage ist weder der Platz 
genau ein Quadrat, noch liegen die Durch- 
gangsstraßen ganz exakt in der Mitte der 
Platzseiten, die Übereck-Kirche hat ungleiche 
Schifflängen, ungleiche Türme und ungleiche 
Arkadenseiten. Das Schema ist so überspielt, 
daß keine exakten Symmetrien, keine lang- 
weiligen Reihungen oder gar sture Wieder- 
holungen zustandegekommen sind. 
Ludwig Schweizer, der Anfang der dreißi- 
ger Jahre an der Stuttgarter Technischen 
Hochschule unter Heinz Wetzel, dem Städte- 
bauer, und Paul Schmitthenner studiert 
hatte, fertigte als Stadtbaurat von Freuden- 
stadt einen völlig neuen Stadtentwurf, für den 
er die von Schickhardt abgelauschten und mit 
Wetzelschen Augen gesehenen Prinzipien der 
Stadtbaukunst zu verwirklichen suchte. 
Die von verschiedenen Architekten nach 
dem Kriege gemachten Vorschläge über- 
nahmen als Elemente aus dem Vorkriegs- 
zustand Reihen ungleich großer Giebel- 
häuser mit Erdgeschoßarkaden für die vier 
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