Manfred Speidel
Der
Wiederaufbau
von
Freudenstadt
1949-54
Idealplan
einer
Renaissance
stadt von
A. Dürer
Freuden-
stadt
Erster
Entwurf
von H.
Schickhardt
/um 1596‘
Schick-
hardts Plan
mit fünf
Zeilen
Zustand
Freuden:
stadts
im 19.
JIhr.
Dad im Schwarzwald, um 1599
von Herzog Friedrich von Württemberg
und seinem Baumeister Heinrich Schickhardt
als Kolonistenstadt? konzipiert und begonnen
in der Form einer Idealstadtanlage, hat in der
Stadtbauliteratur keinen allzu hohen Stellen-
wert erhalten. J. Stübben in „Der Städtebau“
spricht zwar von einem „besonders bemer-
kenswerten Grundriß“ der Stadt in der „Form
eines Mühlbretts“, aber beschreibt sie ohne
jede weitere Wertung?. Als eine der wenigen
gebauten Idealstädte spricht Lewis Mumford
dieser Form keine Beziehung zu einem
sozialen Inhalte zu*, Wolfgang Braunfels ist
noch ablehnender gegenüber dieser „aufer-
legten Form“, deren Einfall dem Herzog beim
Brettspiel des Mühlespiels kam, also aus einer
willkürlichen Laune eines Fürsten entsprang
und dann so viele Ungeschicklichkeiten barg
wie die Forderung der geschlossenen Ecken
nach Winkelbauten für die Eckkirche und das
Rathaus. „Als Architekturereignis schön war
diese Stadt zu keinem Zeitpunkt, bestenfalls
kurios ...“5.
Nun ist die Brettspiellegende kaum zu
halten, wenn man die Vorentwürfe Schick-
hardts miteinander vergleicht. Denn aus einer
ursprünglichen Quadratform mit dem Schloß
in einer Ecke des Quadrats ist im Anschluß an
eine Reise nach Italien und Paris der
endgültige Plan entstanden, der den neuesten
Stand des Befestigungs- und Verteidigungs-
baus darstellen sollte, nämlich eine quadra-
tische Form mit einem großen Platz in der
Mitte, in dem diagonal das Schloß stehen
sollte, von dessen 4 Ecktürmen aus vier
Ausfallstraßen in der Mitte jeder Seite
kontrolliert werden konnten.® Dieser Plan ist
Dürers Idealstadtentwurf von 1527 mit einem
300 m im Quadrat messenden Platz, einem
Schloß in der Mitte und um den Platz rings-
um laufenden Lauben sehr ähnlich.
Als westliche Bastion des Herzogtums
Württemberg auf der Höhe des Schwarzwal-
des mit Silbergruben in unmittelbarer Nähe
sollte die Stadt ein strategisches Zwischen-
glied bilden zwischen Stuttgart und dem
württembergischen Besitz in Mömpelgard
(Monbeliard), sie sollte sowohl Bergwerks-
wie Militärstadt sein.
Das Schloß wurde nie begonnen, wohl aber
der zentrale Platz mit 220 auf 220 m und
umlaufenden Arkaden, sowie die Kirche und
drei bis vier Häuserzeilen auf jeder Seite. 1632
ist die Stadt bis auf die Kirche vollkommen
abgebrannt und wieder aufgebaut worden.
Aber die Bergwerke waren nicht ertragreich
genug, so daß die Stadt bis zur Umbildung in
eine Kurstadt im 19. Jahrhundert „nicht leben
und nicht sterben konnte“. Um noch einmal
auf die Bewertung Freudenstadts “in der
Literatur zu kommen: lediglich bei Paul
Zucker in „Town and Square“ findet man eine
lobende Erwähnung. „Dieses war die einzige
Stadt in Deutschland, wo der Platz einen
dreidimensionalen Eindruck gab. Unglück-
licherweise ist diese Wirkung heute zerstört
durch Baumpflanzungen und wildverteilte
Häuser.‘“8 Die letztere Bemerkung dürfte sich
wohl auf den Vorkriegszustand bezogen
haben.
Professor Ludwig Schweizer, der von 1949
bis 1956 Stadtbaumeister von Freuden-
stadt war und die 1945.noch nach Kriegsende
vollkommen zerstörte Innenstadt entwarf
und ihren Wiederaufbau leitete, sagt: „Vor
dem Krieg war Freudenstadt eine Lausestadt
mit großenteils häßlichen Häusern und einem
vollgestellten Platz. Wenn wir sie so wieder
hätten erstehen lassen, womöglich mit Bau-
freiheiten, dann wäre es nach dem Kriege eine
Ruinenstadt geworden, und niemand wäre
mehr zu Besuch gekommen.“
Betrachtet man das Schema der Militär-
stadt, ein Gebilde ohne Gärten, nur aus
Mauern, so wäre das in der Tat keine
bewohnbare Stadt, keine Architektur. Aber,
so sieht es Ludwig Schweizer, Schickhardt,
ein hervorragendser Renaissancearchitekt,
hat das Schema nicht gebaut, es war nur Basis
einer dreidimensionalen, auf einer indivi-
duellen topografischen Situation erbauten
Stadt. Er hat das Quadrat auf die Berghöhe so
gesetzt, daß die starre Form lebendig wurde,
indem ein Höhenunterschied von 12 m
zwischen der hochliegenden NO-Ecke mit
Rathaus und der tiefliegenden SW-Ecke mit
Kirche entstand, so daß der Platz einen Hang
bildet und die Häuserzeilen sich abstaffeln. In
der gebauten Stadtanlage ist weder der Platz
genau ein Quadrat, noch liegen die Durch-
gangsstraßen ganz exakt in der Mitte der
Platzseiten, die Übereck-Kirche hat ungleiche
Schifflängen, ungleiche Türme und ungleiche
Arkadenseiten. Das Schema ist so überspielt,
daß keine exakten Symmetrien, keine lang-
weiligen Reihungen oder gar sture Wieder-
holungen zustandegekommen sind.
Ludwig Schweizer, der Anfang der dreißi-
ger Jahre an der Stuttgarter Technischen
Hochschule unter Heinz Wetzel, dem Städte-
bauer, und Paul Schmitthenner studiert
hatte, fertigte als Stadtbaurat von Freuden-
stadt einen völlig neuen Stadtentwurf, für den
er die von Schickhardt abgelauschten und mit
Wetzelschen Augen gesehenen Prinzipien der
Stadtbaukunst zu verwirklichen suchte.
Die von verschiedenen Architekten nach
dem Kriege gemachten Vorschläge über-
nahmen als Elemente aus dem Vorkriegs-
zustand Reihen ungleich großer Giebel-
häuser mit Erdgeschoßarkaden für die vier
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