Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Harald Bodenschatz, Johannes Geisenhof 
Stadtbaugeschichte 
im Stadterneuerungsprozeß 
Das Beispiel Ellingen 
Daß der Umgang mit dem vorhandenen Ort 
auch die Vergegenwärtigung der lokalen 
Stadtbaugeschichte erfordert, ist unter den 
„behutsamen“ Planern der 80er Jahre kaum 
mehr umstritten. Mit dem Blick in die Ver- 
gangenheit wird der vorgefundenen Pla- 
nungsmaschine, die die Dörfer, Städte und 
Regionen mit ungleicher Geschichte kate- 
gorial („zentrale Orte“, „Schwerpunkte“ 
usw.) zu homogenisieren und die den Umgang 
mit dem konkreten Ort durch den Griff in die 
statistische Datenkiste zu ersetzen drohte, ein 
neuer Anspruch entgegengestellt. Die prak- 
tische Einlösung dieses Anspruchs stößt 
allerdings nicht nur auf die Barrieren der 
Planungsmaschine, sondern auch auf das 
Glatteis konzeptioneller Unklarheiten: Wel- 
che Bedeutung hat der Blick in die Stadt- 
baugeschichte, wie ist diese Geschichte zu 
interpretieren, welche praktischen Konse- 
quenzen folgen aus ihr? Wir haben versucht, 
als Planer am Beispiel einer Altstadterneue- 
rung in dem mittelfränkischen „Kleinzen- 
trum“ Ellingen erste Antworten auf diese 
Fragen zu geben. Eine Strategie der Rekon- 
struktion der Stadtbaugeschichte vor Ort 
muß - so unsere Meinung - auch zu einer 
veränderten Vorbereitung der Stadterneue- 
rung führen. 
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Z unächst einige Worte zu unserem Bei- 
spielort. Ellingen ist eine kleine Stadt mit 
etwa 3000 Einwohnern, von denen rund 600 
in der Altstadt wohnen. Sie liegt 50 km 
südlich von Nürnberg und nur zwei km 
nördlich der ehemaligen Freien Reichsstadt 
Weißenburg i.Bay. Ellingen hat im Gegen- 
satz zum größten Teil des Umlands eine 
katholische Tradition und war bis 1787 Sitz 
der Deutschordenverwaltung der Ballei Fran- 
ken. Heute besitzt im Stadtrat die CSU die 
absolute Mehrheit. Im Zentrum der Altstadt 
verzweigten sich bis vor kurzem die beiden 
vielbefahrenen Bundesstraßen B2 Nürnberg- 
Augsburg und B13 Würzburg-Ingolstadt. Mit 
der Fertigstellung einer Umgehungsstraße 
1979 wurde der Durchgangsverkehr der 
Bundesstraßen aus der Altstadt herausge- 
nommen. Damit war eine wichtige Vorausset- 
zung gegeben, an eine Stadterneuerung zu 
denken. Dies war gleichzeitig der Ansatz- 
punkt unserer Tätigkeit in Ellingen. Wir 
begannen im Herbst 1978 ein Studienprojekt 
„Stadterneuerung Ellingen“ an der TU Berlin, 
dessen Ergebnisse - knapp zusammengefaßt - 
eine Ausstellung vor Ort mit Katalog und ein 
Altstadtbuch waren. Nach Abschluß des 
Studienprojektes beauftragte die Stadt Ellin- 
gen unser Planungsbüro mit den „Vorberei- 
tenden Untersuchungen“ nach $ 4 StBauFG, 
die Ende 1982 abgeschlossen waren. Diese 
Arbeit führten wir zusammen mit Praktikan- 
ten, die vorher am Studienprojekt teilnah- 
men, durch.! Seit Sommer 1983 ist die erste 
größere Erneuerungsmaßnahme in der 
Durchführung. Die konzeptionellen Voraus- 
setzungen dieser Planertätigkeit, soweit sie 
die oben aufgeworfenen Fragen betreffen, 
sollen im folgenden thesenartig vorgestellt 
werden. 
These 1: Stadtbaugeschichte kann nur im 
Zusammenhang und als Ausdruck der allge- 
meinen Geschichte einer Stadt begriffen 
werden. Demgegenüber tendiert eine isolierte 
Betrachtung der Entwicklung des Städtebaus, 
wie sie im Zuge der Professionalisierung 
dieser Disziplin zu Beginn dieses Jahrhun- 
derts bei Stadtingenieuren wie Stadtbau- 
künstlern Verbreitung fand, zu einer Über- 
betonung der funktionellen bzw. ästhetischen 
Form auf Kosten der historischen Nutzung, 
wobei die Form zumeist nur kategorisiert, 
also beschrieben wird, nicht aber in ihrer 
historischen Bedeutung analysiert wird. 
Die beiden Fremdenverkehrsparolen der 
Stadt Ellingen - „Ellingen, Perle des mittel- 
fränkischen Barock“ und „Ellingen, Stadt des 
Deutschen Ordens“ - können diese Problema- 
tik vielleicht etwas deutlicher machen. Sicher 
ist es wichtig, die Dominanz eines bestimm- 
ten Stils in einer Altstadt zu betonen. Für 
Ellingen ist dies der sog. Ellinger Barock aus 
der Zeit zwischen 1700 und 1780, der heute 
noch das Stadtbild prägt. Auf diese Jahre 
gehen nicht nur die großen Monumente wie 
Deutschordensschloß, Stadtpfarrkirche, Rat- 
haus und Orangerien zurück, sondern auch 
zahlreiche Ackerbürger- und Hofbeamten- 
häuser. In diese Zeit fällt auch die Anlage der 
„Neuen Gasse“ südöstlich des Schlosses. 
Diese von Matthias Binder geplante Stadt- 
erweiterung aus den Jahren 1760-70 ist ein 
sehr gut erhaltenes Beispiel spätbarocken 
Städtebaus. Die Neue Gasse bricht mit der 
Tradition der krummen Straßen und ist eine 
völlig planmäßig angelegte Stichstraße mit 
relativ schlichten Reihenhäusern. Die Ge- 
bäude sind sehr einheitlich, ohne jedoch 
monoton zu wirken: zweigeschossige Man- 
sarddachhäuser mit meist fünf Fensterach- 
sen - in der Mitte Eingangstür und Vor- 
treppe - und mit gleicher Geschoß- wie 
Traufhöhe. Die Vortreppen gliedern den 
Straßenraum. 
Der mit dieser kurzen Darstellung ange- 
deutete Typ einer stilgeschichtlichen Be-
	        
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