Mi: scheint, daß sich in dem gleichen
Maße, wie der Ruf nach einem wie auch
immer gearteten neuen „Regionalismus“ lau-
ter wird, die Fragen häufen, die unbeantwor-
tet bleiben. Ein Begriff wird hin und her
gereicht, jeder betrachtet ihn von einer
anderen Seite, jeder interpretiert ihn anders,
man wird sich immer uneiniger über das, was
er eigentlich bedeuten könnte, und schließ-
lich wird unter diesem Begriff hier und dort
gebaut: als Architektur (ohne Adjektiv)
scheint es mal gelungen, das andere Mal
wieder nicht. Was auffällt, wenn man sich die
gebauten Produkte in letzter Zeit anschaut: es
wird allerorten mit gleichen Mustern oft
entworfen, und es gleichen sich so auch die
„Regionalismen‘“. Warum wird aber das, was
gebaut wird, auch gleich etikettiert? Zudem
mit einem Begriff, über den Einigkeit zu
erzielen die Architekten und deren Kritiker
offensichtlich nicht in der Lage sind?
Ich denke, daß diese Begriffe immer einer
Diskussion über die gesellschaftlichen Ver-
hältnisse entspringen; heißt: der Kritik an den
Verhältnissen, die nicht in der Lage sind, die
sich aus und in ihnen ergebenden Probleme zu
lösen. In diesem Falle ist es die Kritik am
Zentralismus, dem es nicht mehr zugetraut
wird, die seit Jahren offenliegenden und
längst benannten Wunden ökonomischer und
ökologischer Art zu heilen. Das Benennen der
Krankheit mit Begriffen aber ruft auch sofort
die entsprechenden Rezepte in Form von
neuen Begriffen auf den Plan.
Ebenso wie in anderen gesellschaftlichen
Disziplinen, haben sich seit einigen Jahren die
für die gebaute Umwelt Verantwortlichen
dem Thema gestellt: Unter dem Thema
„Regionalismus im Bauen / Inspiration oder
Imitation?“ fand 1979 in Darmstadt das
internationale 4. Werkbundgespräch statt,
die Zeitschrift „Baumeister“ hat sich des
Themas unter dem Begriff des Neuen
Regionalismus“ angenommen, und die Zeit-
schrift „archithese“ widmete diesem Problem
in 3/1981 ein Themensonderheft mit dem
Hinweis auf schon früher dieses Thema
behandelnde „Dorf“- und „Heimat“-Hefte.
So verschieden die bei Betrachtung und
Lektüre der aufgeführten Beiträge auffallen-
den „Regionalismen“ sind (da gibt es den
legitimen, den inszenierten, den ideologi-
schen, den kommerziellen, den ästhetischen,
den verordneten, den assoziativen, den
typologischen etc. Regionalismus), so sind
doch auch einige durchgängige, allerdings
oftmals verdeckte und unausgesprochene
Fragestellungen und Probleme auszumachen,
um die es im folgenden gehen soll.
Mit der Diskussion um die Kritik am
Zentralismus einher geht seit einiger Zeit die
Frage nach dem Verlust von Heimat und
Identität. Nun tun wir Menschen, weil wir ja
historische und dazu noch denken, oder
wenigstens assoziieren könnende Wesen sind,
uns gerade mit diesen Begriffen sehr schwer,
da diese in unrühmlicher Vergangenheit und
vor gar nicht langer Zeit mißbraucht wurden.
Damit aber sind wir schon an einem zentralen
Nerv der Diskussion angelangt: natürlich
weiß jeder, der heute mit den Begriffen
Heimat, Heimatstil, traditioneller Bauweise
und Identität operiert, welcher Gefahr der
Assoziationsbildung und Unterstellungen er
sich da aussetzt. Aber man verfährt immer
treu nach der Devise, daß man genau das
Gegenteil von dem meine, was das Reaktio-
näre meint oder meinen könnte.
Fragen
Da aber nicht geklärt ist, was Heimat und
Identität eigentlich ist, kann auch gar nicht
gesagt werden, wie und mit welcher Bauweise
man ihnen gerecht zu werden vermag. Kann
man Heimat denn wirklich bauen? Ist das,
Martin Kieren
Regionalismus
Annäherung an offene Fragen und ein Plädoyer
was man unter diesem Etikett baut, schon
deshalb dem Mißgriff der Reaktion entzogen,
weil man seine eigene Begrifflichkeit von ihr
hat? Ist Heimat (oder vielmehr ihr topos}
nicht viel eher im Menschen selber auszu-
machen als an einem Ort, in einer Region?
Lassen sich Heimat und Identität wirklich
über Bauformen herstellen, die hier und dort
zufällig seit hundert Jahren auftauchen und
immer wieder verwendet wurden? Ist nicht
Identität auch gerade die Suche nach Heimat,
die Suche nach neuen Ausdrucksformen
psychischer und physiologischer Art und
deshalb ein dialektischer Vorgang, der, wollte
man ihn zu sehr an statische Formen binden,
Regionalismus zu einem Stil degradieren
würde? Ist der Überdruß an (meist ä
posteriori erfundenen) Stilen in den letzten
Jahren gar der Grund für das Auftauchen
eines „Regionalismus im Bauen“, um ihn als
„neuen Stil“ an die Stelle der anderen, zentra-
listischen, spekulativen und nur auf privaten
Profit aufgebauten Gesellschaft entsprungen,
Stile zu setzen?
Wie kommen nun aber Ort, Heimat und
Identität in der Architektur zusammen, und
was ist das Regionale am „Regionalismus“?
kaum verbessern, weil sich ökonomisch eher
alles verschlechtert.
Nicht selten werden solche Planungen mit
dem Hinweis auf den „Ort“ versehen, auf den
sie sich angeblich beziehen. Das Vorgefun-
dene wurde „notiert“, es wurde darauf „einge-
gangen“, und es wurde dann auch noch
(natürlich) „berücksichtigt“. Aber oft ist
gerade dieses Vorgefundene schon falsch (im
Sinne des Typischen), weil unter falschen
Bedingungen entstanden, gewachsen. Zudem
wenden sich die Beispiele, die von Kiel über
Köln und bis über die Alpen auf seltsame
Weise sich in ihrer äußeren Erscheinung auch
wieder ähnlich sind, gerade mit dieser Ahn-
lichkeit gegen ihren Bezugspunkt „Ort“, den
zu kennen sie vorgeben. Der Örtlichkeit fällt
dabei die Aufgabe zu, (als Mythos) das zu
ersetzen, was anscheinend verlorenging
(wenn es jemals zu „orten“ war), nämlich die
sog. Identität. Das Mittel, mit dem dieser
Mythos erzeugt und transportiert wird, ist die
Natur; hier oft in der wahrscheinlich am
längsten existierenden (und uns wohl auch
überlebenden) Form der alles (selbst die
Lesbarkeit der Architekturzeichnungen) ver-
schlingenden Schling- und Kletterpflanze.
Identität soll also erzeugt werden mit Hilfe
einer immergrünen Natur vor und an dem
Haus, mit einer grünen Hülle. Mit Natur, weil
man ja selbst Teil von ihr ist, läßt (ließ) sich
immer gut auskommen.
Das Verhältnis Mensch - Natur und
Mensch - Ort ist aber etwas komplizierter und
noch gar nicht ganz ausgelotet, als daß es sich
so einfach und naiv (hier wie da) in einer
Bauweise ausdrücken ließe. Das Nachdenken
über dies Verhältnis - als Bestandteil der
eingangs erwähnten Kritik an gesellschaft-
lichen Verhältnissen - aber ist es, das in seiner
Folge den Begriff des „Regionalismus“ wieder
auf die Tagesordnung setzte.
Natur als Trend?
Viele Architekten der zum gegenwärtigen
Zeitpunkt bauenden (entwerfenden) Genera-
tion gehen mit ihren Haustypen teilweise
schon so weit, sie als Muster - oder besser
Pflaster - für die Wunden der Stadtplanung
der Nachkriegsjahre anzubieten, anzupreisen,
wobei die Grenzen dessen, was Stadt und
Land trennt, trennen könnte (im Typ), gar
nicht mehr auszumachen sind. Allemal ist
hinter dieser Selbstverständlichkeit, mit der
diese Architektur seit einiger Zeit durch die
Architektur-Periodika schreitet, eine ent-
lehnte Langeweile auszumachen, die wie-
derum Mode (oder Stile?) macht: Giebel,
Farben, Säulen, gereiht in Form auch von
Arkaden und viel Glas, dessen Kleinteiligkeit
der Einzelscheibe wiederum in den letzten
Monaten zu schrumpfen scheint. Dieses
Scheiben/Glas-Verhältnis bezeichnet aber-
mals den Punkt einer (Trend-) Wende: „Öko“.
Was da in letzter‘ Zeit, publizistisch unter-
stützt, an Rank-Gerüsten, Pergolen, „grünen
Autounterstellplätzen‘“, sog. „Hausbäumen“,
Wintergärten, Gewächshäusern, ausgewiese-
nen Kräutergärten, Beerenobststräuchern,
Spalierobst, Knöterichen und wildem Wein
grün auf den Architekturzeichnungen auf-
taucht, kann man schon als Inflation bezeich-
nen. Nichts gegen ein notwendiges Um-
denken, gegen mehr Grün oder gegen
mediterrane Zimmerpflanzen: aber das Ver-
hältnis zwischen der Qualität eines Feucht-
biotops und der sich schüchtern gebenden
Architektur daneben klafft allerorten aus-
einander. Man kann bei genauerem Hinsehen
auch feststellen, daß die Wohnungen immer
noch kleiner und teurer (aber mit mehr Grün
versehen) werden, diese sich qualitativ also
Tradition
(auch die des Immer-wieder-Lesens)
Der Gebrauch des Begriffs provoziert aber
zusätzliche Fragen, die sich auf das in diesem
Zusammenhang häufig verwendete Wort
„Tradition“ oder das schon erwähnte Wort-
paar „traditionelle Bauweise“ beziehen. Mit
dieser Tradition hat es aber so seine eigene
Bewandtnis: wir dürfen bei der theoretischen
Reflexion und Diskussion über die Tradition
des zu Behandelnden, hier: des Umgangs im
Bauen mit Klima, „heimischen“ Baustoffen,
Lebens- und damit Arbeitsweisen, nicht die
Tradition gerade dieser Diskussion über-
sehen, die es nämlich auch gibt. Zwar hat die
gegenwärtige Diskussion durch die sich zu-
spitzenden ökonomischen und vor allem
ökologischen Verhältnisse (an erster Stelle
das Auspowern der natürlichen Ressourcen)
eine neue Dimension bekommen, wir sollten
aber nicht so tun, als hätten sich die
Architektengenerationen vor uns nicht ähn-
liche Gedanken über den gleichen Gegen-
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