sches Essay (1957), gänzlich vergessen. Zwar
wurden kürzlich zahlreiche Texte der „Refor-
mer“ dokumentiert - so auch ein Auszug aus
Nöll von der Nahmers Hauptwerk (Bombach
u.g. 1982, S. 116ff) - doch ob dies auf mehr als
museal-akademisches Interesse stößt, bleibt
abzuwarten. Der Gesamttitel der auf 5 Bände
angelegten verdienstvollen Editionsarbeit ist
jedenfalls eher geeignet „dogmenhistorische“
Interessen, denn wirtschaftspolitisch-prakti-
sche zu wecken. Außerdem ist gerade das, was
über Keynes hinaus geht, das was uns heute in-
teressieren müßte. In diesem Sinne verstellt
der Titel „Keynesianismus“ eher den Zugang
zur reichen deutschen krisenpolitischen De-
batte. So paradox es klingt: 1982 erscheinen
also sowohl ein alter wie auch ein neuer Text
Nöll von der Nahmers, beide im gleichen
Geiste. Doch der alte wird „dogmenhisto-
risch“ gewürdigt, der neue schlichtweg igno-
riert. Merkwürdig, sollte die produktive Kre-
ditschöpfung nur in der Retroperspektive in-
teressant, nicht aber prospektiv von Interesse
sein? Wäre das ein Lernen aus begangenen
Fehlern (Bombach 1981, S. IX); oder ist dies
nicht vielmehr die altvertraute ängstliche Bor-
niertheit der neuen, in einer 30jährigen Schön-
wetterperiode geschuldeten Orthodoxie?
Wird das Umdenken wieder zu lange dauern?
Einige Anmerkungen zum Vorschlag
Nöll von der Nahmers
Das Entscheidende zum Verständnis von Ar-
beitsbeschaffungsplänen, wie sie hier Nöll von
der Nahmer vorlegt, ist die Bereitschaft, sich
auf den „neuen“ Problemzusammenhang ein-
zulassen. Es geht nicht mehr wie in den letzten
Jahrzehnten um mehr oder weniger Wachs-
tum, um die Frage der Qualität des
Wachstums, um optimale Allokation der
volkswirtschaftlichen Ressourcen, es geht
überhaupt nicht um langfristige strategische
Weichenstellungen, „Sozialismus oder Libe-
ralismus“, wie Nöll anmerkt. Es handelt sich
hier um krisenpolitische Sofortmaßnahmen,
die ausschließlich eines wollen: die Brechung
der nach unten gerichteten Deflations- bzw.
Depressionsspirale. Nicht optimale Kapital-
leitung, sondern Mobilisierung der brachlie-
genden‘ Ressourcen ist das bescheidene Ziel.
Kaum jemand ist wirklich bereit, sich die
durch staatliche Sparpolitik kumulativ ver-
stärkte Abwärtsbewegung in ihren möglichen
Auswirkungen vorzustellen. Dabei ist Detroit
nicht weit; und was wäre hier so anders, als
daß wir uns sicher fühlen könnten, daß uns
dieses Schicksal nicht ereilt. Jedenfalls wird
der krisenpolitische Problemdruck mit der lei-
der immer vorhandenen Verzögerung ein Um-
denken auch hier erzwingen. Man kann nur
hoffen, daß sich die Einsicht in den Primat der
Soforthilfe diesmal schneller politiknah ver-
breitet als vor 50 Jahren.
Ist Arbeitsbeschaffung sinnvoll? Bedarf?
Nun wird aus ökologischer Sicht eingewandt,
die Krise sei ganz neuen Typs. Selbst wenn Sti-
mulierung möglich wäre, aus Gründen der Si-
cherung der natürlichen und psycho-sozialen
Umwelt sei ein erneutes Wachstum - und dies
würde hier bedeuten: die Wiederbeschäfti-
gung der 170.000 arbeitslosen Bauarbeiter -
nicht wünschenswert. Darauf wäre auf zwei
Ebenen zu antworten:
a) eine „anschlußfähige Strategie“ (Berger)
einer ökologischen Alternative wird sich von
einer Massenarbeitslosigkeit keinen Einstieg
in den Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft er-
warten können, wie sich dies etwa R. Bahro
vorstellt. Im Gegenteil, nichts dürfte mehr als
ökologische Anliegen gefährden als eine Mas-
senarbeitslosigkeit in ihrer jetzigen Form.
Wird die Versorgung elementar in Frage ge-
stellt, so fragt kein Mensch mehr nach dem
„Sinn“ oder der Umweltfreundlichkeit der Ar-
beit. „Erst kommt das Fressen, dann ...“ die
Ökologie. Ein Zynismus reiner Arbeitsplatz-
sicherung, koste es was es wolle, ist geradezu
angelegt: Wertwandel im Wandel, im zykli-
schen Wandel. Auch eine ökologische Alter-
native wird also den Ausstieg aus der Wachs-
tumsgesellschaft nicht auf der Basis drohender
Verelendung, sondern „hohen Niveaus“ (Vo-
bruba) erreichen müssen. Für die Bauwirt-
schaft aber hieße das etwa, daß selbst wenn ein
Schrumpfen langfristig erforderlich sei, die-
ses kontrolliert und stetig unter Minimierung
der sozialen Folgekosten zu geschehen habe.
Dies aber heißt: krisenpolitisches Sofortpro-
gramm für die Bauwirtschaft, die zu versteti-
gen ein altes, volkswirtschaftlich sinnvolles
Anliegen der Wohnungsreformbewegung
war. Auch wenn sich bei Nöll von der Nahmer
keine ausdrückliche Problematisierung hier-
zu findet, so sind seine Techniken der Arbeits-
beschaffung, so schockierend sie im ersten
Moment wirken, von unersetzlicher Bedeu-
tung. Und sein „Vorschlag“ markiert ja erst
den Anfang einer Debatte; statt ihn zu ver-
drängen, wäre eine schnelle Vertiefung der
Debatte um die produktive Kreditschöpfung
von größter Bedeutung.
b) Letztlich kann sich Produktion nur am Be-
darf legitimieren. Arbeitsbeschaffungspro-
gramme lassen sich dann besser durchsetzen,
vielfach auch organisieren, wenn der Bedarf
klar gegeben ist. In elementarer, aber reiner
Form findet sich dies bei den Tausch- bzw.
Verrechnungsgemeinschaften (Ausgleichskas-
sen) der Arbeitslosenselbsthilfeprojekte, bei
denen sich Menschen in ihrer Doppelrolle als
Erzeuger und Verbraucher zu einer arbeitstei-
ligen Notgemeinschaft zusammenschließen
(vgl. Novy 1982b). Nöll von der Nahmer greift
in diesem Vorschlag eine ganze Branche auf
sowie ein von ihr produziertes Gut, die Woh-
nung, der in relative und absolute Knappheit
normalerweise durch Preis und Zins bestimmt
werden. Seit seinem Frühwerk hat Nöll von
der Nahmer die Notwendigkeit und die
Lenkungsfunktion des Zinses in Frage gestellt
(vgl. auch Nöll von der Nahmer 1947; sowie
Grotkopp S. 331f), vor allem in Krisenzeiten.
Bedeutet es wirklich Kapitalfehlleitung und
-verschwenung, wie immer eingewandt, wenn
man den Wohnungsbau von den Zinsschwan-
kungen abkoppelt und verstetigt? Ist der Zins
ein besserer Maßstab für den Wohnungsbe-
darf als die alltägliche Erfahrung des Feh-
lens preiswerten Wohnraumes in Ballungs-
räumen für einen immer größeren Teil der Be-
völkerung. Es geht also Nöll von der Nahmer
bei seinem „Vorschlag“ nicht um eine ord-
nungspolitische Alternative, sondern um die
momentane Lösung des Paradoxons brachlie-
gender Ressourcen bei gleichzeitiger Woh-
nungsnot, Warum sollen die als sinnvoll er-
kannten Investitionen in mehr Wohnraum an
der Zins- und Kreditfrage scheitern?
Ungedecktes Geld?
In der Finanzierungsfrage macht es Nöll von
der Nahmer seinen Lesern nicht leicht. Denn
er popularisiert hier die Ergebnisse einer
längeren kredit- und konjunkturtheoretischen
Debatte (vgl. die Dokumente in Bombach u.a.
1981), ohne daß ihr Verlauf dem Leser be-
kannt sein kann. Es bleibt dem Leser nur der
ungute Eindruck: hier wird die Rettung in der
Beschleunigung der Notenpresse gesehen.
Was also ist die „produktive Kredit-
schöpfung“ seitens des Staates? Jedenfalls
nicht gemeint ist die „normale“ Staatsver-
schuldung auf dem Anleihewege mit all ihren
Folgen: Angewiesenheit auf die Kapitalmärk-
te, hohe Zinsbelastungen, unerwünschte Um-
verteilungseffekte, eventuell Verdrängung pri-
vater Investitionen. Die produktive Kredit-
schöpfung ist eine zusätzliche, nicht aus den
vorhandenen Ersparnissen vollzogene Kredit-
erweiterung. Diese Kredit- und Geld-
schöpfung ist funktional gesehen jedoch kein
Novum. Hören wir dazu einen der „Reformer“
und Zeitgenossen Nöll von der Nahmers,
Heinrich Dräger. In seinr Schrift „Arbeitsbe-
schaffung durch produktive Kredit-
schöpfung“ (1932; hier nach Auszügen in:
Grotkopp 1954. S. 357) heißt es:
„Es herrscht weitgehend in der Wissenschaft Einstimmig-
keit darüber, daß Perioden des Aufschwunges eingeleitet
und gekennzeichnet werden durch die Neuschaffung von
Geld (Giralgeld) seitens der Banken zugunsten der
Schaffung neuer Produktionsmöglichkeiten durch die Pri-
vatwirtschaft. Mit anderen Worten: Der Aufschwung pflegt
eingeleitet zu werden durch ’Erweiterung des Kreditvolu-
mens’, d.h. durch Kreditschöpfung für produktive Zwecke.
Ferner steht unbestritten fest, daß Privatwirtschaft und pri-
vate Banken diese Funktion jetzt nicht übernehmen kön-
nen. Hieraus ergibt sich als Aufgabe und Pflicht des Staa-
tes, die bisher von der Privatwirtschaft ausgeübte Funktion
selbst zu übernehmen ... Solange die Neuschöpfung des
Kredites durch den Staat erfolgt nach dem auch für die
Neuschöpfung des Kredits durch die Privatwirtschaft in
früheren Aufschwungperioden mit Erfolg benutzten Sche-
ma, nämlich: Kreditschöpfung nur unter gleichzeitiger
Schaffung neuer Produktionsmöglichkeiten, aber keine
Kreditschöpfung für reine Verbrauchszwecke, solange wer-
den auch jegliche schädliche inflatorische Nachwirkungen
vermieden werden ... Bei Handhabung in diesem Sinne ist
produktive Wirtschaftspolitik durch Vergrößerung des
Kreditvolumens ohne schädliche inflatorische Nachwir-
kung nicht nur möglich, sondern mehr noch, sogar dringen-
de Pflicht“
Viele zeitgenössische Autoren hatten - in einer
Zeit als die herrschende Orthodoxie noch an
dem prozyklischen Anachronismus der Gold-
deckung - versucht, den Kreditspielraum nicht
monetär, sondern realwirtschaftlich zu be-
stimmen. Neben Friedländer-Prechtl und
Lautenbach gilt dies für NöH von der Nahmer;
Grundthese: der „volkswirtschaftliche Kredit-
fonds“ wird nur durch die brachliegenden
sachlichen Ressourcen sowie durch das Ar-
beitspotential beschränkt. Auch für die Zins-
losigkeit dieser Kreditschöpfung wurden zahl-
reiche real- und geldwirtschaftliche Gründe
genannt (vgl. Zusammenstellung bei Grot-
kopp S. 162ff und 358) - von den ethischen ein-
mal abgesehen.
Für all jene, die in der plötzlichen Vermeh-
rung der Geldmenge ein unerträgliches
Phänomen sehen, seien daran erinnert, daß
viele akzeptierte Prozesse ein analoges Ergeb-
nis zeitigen: etwa plötzliche Veränderungen
der Devisen- oder Goldbestände, (ein alltägli-
ches Phänomen in den frühen 70er Jahren) die
auf Aufnahme einer größeren Auslandsan-
leihe sowie der Marshall-Plan, der - funk-
tional gesehen, auch in der späteren Konstitu-
jerung eines „revolvierenden Fonds“ (bei der
Kreditanstalt für Wiederaufbau) - dem Nöll
von der Nahmerschen Vorschlag sehr nahe
kommt.
Auch das gegen den Keynesianismus immer
ins Feld geführte Argument, daß eine nach-
frageorientierte Konjunkturpolitik an der
Weltmarktintegration verpufft, trifft den
„Vorschlag“ Nölls wenig, da hier die Mittel
zweckgebunden - gleichsam als Krisenbau-
44