Architekturkritik - Architektur geschichte
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Mainz zur Römerzeit
Unter dem Titel „Verdrängte Alternativen
zum Wiederaufbau“ soll in dieser Zeitschrift
eine Reihe von Stadt-Monographien erschei-
nen, in der an verschiedenen Architektur- und
Planungskonzepten der unmittelbaren Nach-
kriegszeit die Breite und Vielfalt der damals
gedachten und denkbaren Zukunftsvorstel-
lungen zumindest angedeutet werden sollen.
Bevor im Verlauf der 50er Jahre die kontro-
versen Orientierungsversuche einem oft blin-
den Pragmatismus im Bauen und Planen zu
weichen hatten, wurde zwischen den Polen ra-
dikaler Entstädterung und konsequenter Mo-
dernisierung der Städte - sofern man die ver-
bliebenen Trümmerberge überhaupt so zu be-
zeichnen vermochte - ein Spektrum gesell-
schaftlicher Entwicklungsperspektiven deut-
lich, das schon kurze Zeit später eine enge Be-
grenzung erfuhr - nicht zuletzt durch die Vor-
gaben der Besatzungsmächte im raschen Wan-
del der weltpolitischen Konstellation nach
1945. In der dichten Verknüpfung von Archi-
tekturkonzeptionen mit städtebaulichen Leit-
motiven und übergreifenden Fragen nach ge-
sellschaftlichen Zukunftsperspektiven wurde
in Reaktion auf die propagandistische Instru-
mentalisierung der Architektur durch die Na-
tionalsozialisten, nach dem Schock des „Zu-
sammenbruchs“, ein Bemühen um ein sozial
verantwortliches Architekturverständnis
spürbar, das in der Folgezeit einer immer dif-
ferenzierteren Arbeitsteilung - und wohl auch:
Bewußtlosigkeit - zum Opfer fiel; zumal sich
der politische Horizont dieser Visionen im
Zuge des kalten Krieges immer mehr zu
verengen begann.
Ein Blick auf die Debatten von damals und
auf die dahinter aufscheinenden Gesellschafts-
konzeptionen mag uns vielleicht ein wenig da-
zu verhelfen, selbstbewußter nach vorne zu
schauen und nicht in der Kurzatmigkeit der
angestrengt auf der StelJe tretenden Architek-
turdiskussion unserer Tage zu verharren.
Wer sich der Stadt von Osten her mit der Ei-
senbahn nähert, kann schon von weitem die
Bedingungen ihrer Geschichte erahnen: Vom
Podest der Rheinbrücke aus öffnet sich bei
langsamer Annäherung eine weite Ebene, in
der Rhein und Main nun gemeinsam ihr
breites Flußbett finden, das durch die schmal
gestreckten Inseln in der Mitte um so behäbi-
ger wirkt. Dahinter, entfernt, schieben sich
jenseits des rechten Ufers die Vororte Wiesba-
dens den Taununshang hoch. Diesseits gegen-
über liegt das flächige Mainz, von den Ber-
gen im Westen ans Wasser gedrängt, zwischen
seitlich auslaufenden Hügeln. Auf den Bergen
über der Stadt, an strategisch überlegenem
Punkt, hatten die Römer schon ihr Kastell
angelegt, zur militärischen Kontrolle der weit
überschaubaren Landschaft.
Nach dem Rückzug der römischen Truppen
breiteten sich zu Füßen des verfallenden
Lagers, im Tal, zwischen Rhein und west-
lichen Hängen, Siedlungen aus, die, im
Mittelalter mit Mauern befestigt, sich nun von
Mainz im 11.Jahrhundert
Mainz im 17.Jahrhundert
Werner Durth
Mainz: Blockierte Moderne
unten nach außen wehrten und im Zuge
entwickelter Kriegstechnologie schließlich
umgaben mit den kantigen Kränzen barocker
Bastionen.
Noch während von fern sich die Eindrücke
ordnen, verschwindet der Zug kurz hinter der
Rheinbrücke in einen Tunnel:
Langer Verhandlungen hatte es bedurft, bis
die Eisenbahnlinie so überhaupt hatte ange-
legt werden können. Erst der Druck der In-
dustrialisierung und die rapide Ausweitung
des Handels hatten den‘ überkommenen
Festungsgürtel gesprengt, in dem sich die
Stadt, in wechselvoller Geschichte zwischen
wechselnden Fronten zu behaupten hatte, mal
gegen den feindlichen Westen, mal gegen den
preußischen Osten.
Mit der großen Stadterweiterung gegen
Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich dann die
Eisenbahn in großem Bogen als neuer eiserner
Gurt um die Stadt gelegt, mit dem Bahnhofs-
gebäude als prunkender Schnalle genau dort,
wo Altstadt und Neustadt vom Bogen der
Bahn aneinandergedrängt sich berühren: Mit
wilhelminischer Pracht schiebt sich die Front
der Eingangshalle vor auf einen halbrunden
Platz, von dem aus strahlenförmig breite
Straßen in verschiedene Richtungen weisen.
Bei näherem Hinsehen wirkt schon der
Halbkreis des Bahnhofsplatzes wie eine aufge-
gebene Sammlung ungeliebter Gebäude: herr-
schaftliche Fassaden sind mit großflächigen
Bier-Reklamen beklebt, daneben wurden in
kargem Raster eilige Zweckbauten aufgerich-
tet; die Baulücken dazwischen bleiben wie
Zahnlücken offen und nur unten gefüllt mit
rasch aufgemauerten Kneipen, die noch heute
eine Vorstellung geben von den hastigen
Kompromissen der Nachkriegsjahre, unter
denen das Bild der Stadt schließlich formlos
auszufransen begann. Inzwischen sind die aus
verschiedenen historischen Phasen entstande-
nen Teile der Stadt miteinander verklebt unter
der Kruste eines verfestigten Alltags, verstellt
durch eine dichte Schicht von Lampen,
Schildern, Verkehrssignalen, hinter der erst
aus der Fernsicht die Physiognomie der Stadt
wieder erkennbar wird.
Ein Idealplan gegen das Chaos
der Trümmer
Ablesbar bleibt am landschaftlichen Rah-
men wie am Flickwerk der Stadt ihre Ge-
schichte - nichts aber erinnert heute daran,
daß mit der Vernichtung der Stadt 1945
gerade diese Geschichte einer zwischen
wechselnden Fronten eingeigelten Siedlung
beendet und gänzlich neue Wege eröffnet wer-
den sollten. Nichts erinnert daran, daß für die-
sen Ort die Vision einer ganz anderen Stadt,
eines ganz anderen Lebens entworfen wurde,
die - zum Glück? - an der Macht der Gewohn-
Die Mainzer Altstadt, 1939
nach dem Krieg, 1945
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