Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Architekturkritik - Architektur geschichte 
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Mainz zur Römerzeit 
Unter dem Titel „Verdrängte Alternativen 
zum Wiederaufbau“ soll in dieser Zeitschrift 
eine Reihe von Stadt-Monographien erschei- 
nen, in der an verschiedenen Architektur- und 
Planungskonzepten der unmittelbaren Nach- 
kriegszeit die Breite und Vielfalt der damals 
gedachten und denkbaren Zukunftsvorstel- 
lungen zumindest angedeutet werden sollen. 
Bevor im Verlauf der 50er Jahre die kontro- 
versen Orientierungsversuche einem oft blin- 
den Pragmatismus im Bauen und Planen zu 
weichen hatten, wurde zwischen den Polen ra- 
dikaler Entstädterung und konsequenter Mo- 
dernisierung der Städte - sofern man die ver- 
bliebenen Trümmerberge überhaupt so zu be- 
zeichnen vermochte - ein Spektrum gesell- 
schaftlicher Entwicklungsperspektiven deut- 
lich, das schon kurze Zeit später eine enge Be- 
grenzung erfuhr - nicht zuletzt durch die Vor- 
gaben der Besatzungsmächte im raschen Wan- 
del der weltpolitischen Konstellation nach 
1945. In der dichten Verknüpfung von Archi- 
tekturkonzeptionen mit städtebaulichen Leit- 
motiven und übergreifenden Fragen nach ge- 
sellschaftlichen Zukunftsperspektiven wurde 
in Reaktion auf die propagandistische Instru- 
mentalisierung der Architektur durch die Na- 
tionalsozialisten, nach dem Schock des „Zu- 
sammenbruchs“, ein Bemühen um ein sozial 
verantwortliches Architekturverständnis 
spürbar, das in der Folgezeit einer immer dif- 
ferenzierteren Arbeitsteilung - und wohl auch: 
Bewußtlosigkeit - zum Opfer fiel; zumal sich 
der politische Horizont dieser Visionen im 
Zuge des kalten Krieges immer mehr zu 
verengen begann. 
Ein Blick auf die Debatten von damals und 
auf die dahinter aufscheinenden Gesellschafts- 
konzeptionen mag uns vielleicht ein wenig da- 
zu verhelfen, selbstbewußter nach vorne zu 
schauen und nicht in der Kurzatmigkeit der 
angestrengt auf der StelJe tretenden Architek- 
turdiskussion unserer Tage zu verharren. 
Wer sich der Stadt von Osten her mit der Ei- 
senbahn nähert, kann schon von weitem die 
Bedingungen ihrer Geschichte erahnen: Vom 
Podest der Rheinbrücke aus öffnet sich bei 
langsamer Annäherung eine weite Ebene, in 
der Rhein und Main nun gemeinsam ihr 
breites Flußbett finden, das durch die schmal 
gestreckten Inseln in der Mitte um so behäbi- 
ger wirkt. Dahinter, entfernt, schieben sich 
jenseits des rechten Ufers die Vororte Wiesba- 
dens den Taununshang hoch. Diesseits gegen- 
über liegt das flächige Mainz, von den Ber- 
gen im Westen ans Wasser gedrängt, zwischen 
seitlich auslaufenden Hügeln. Auf den Bergen 
über der Stadt, an strategisch überlegenem 
Punkt, hatten die Römer schon ihr Kastell 
angelegt, zur militärischen Kontrolle der weit 
überschaubaren Landschaft. 
Nach dem Rückzug der römischen Truppen 
breiteten sich zu Füßen des verfallenden 
Lagers, im Tal, zwischen Rhein und west- 
lichen Hängen, Siedlungen aus, die, im 
Mittelalter mit Mauern befestigt, sich nun von 
Mainz im 11.Jahrhundert 
Mainz im 17.Jahrhundert 
Werner Durth 
Mainz: Blockierte Moderne 
unten nach außen wehrten und im Zuge 
entwickelter Kriegstechnologie schließlich 
umgaben mit den kantigen Kränzen barocker 
Bastionen. 
Noch während von fern sich die Eindrücke 
ordnen, verschwindet der Zug kurz hinter der 
Rheinbrücke in einen Tunnel: 
Langer Verhandlungen hatte es bedurft, bis 
die Eisenbahnlinie so überhaupt hatte ange- 
legt werden können. Erst der Druck der In- 
dustrialisierung und die rapide Ausweitung 
des Handels hatten den‘ überkommenen 
Festungsgürtel gesprengt, in dem sich die 
Stadt, in wechselvoller Geschichte zwischen 
wechselnden Fronten zu behaupten hatte, mal 
gegen den feindlichen Westen, mal gegen den 
preußischen Osten. 
Mit der großen Stadterweiterung gegen 
Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich dann die 
Eisenbahn in großem Bogen als neuer eiserner 
Gurt um die Stadt gelegt, mit dem Bahnhofs- 
gebäude als prunkender Schnalle genau dort, 
wo Altstadt und Neustadt vom Bogen der 
Bahn aneinandergedrängt sich berühren: Mit 
wilhelminischer Pracht schiebt sich die Front 
der Eingangshalle vor auf einen halbrunden 
Platz, von dem aus strahlenförmig breite 
Straßen in verschiedene Richtungen weisen. 
Bei näherem Hinsehen wirkt schon der 
Halbkreis des Bahnhofsplatzes wie eine aufge- 
gebene Sammlung ungeliebter Gebäude: herr- 
schaftliche Fassaden sind mit großflächigen 
Bier-Reklamen beklebt, daneben wurden in 
kargem Raster eilige Zweckbauten aufgerich- 
tet; die Baulücken dazwischen bleiben wie 
Zahnlücken offen und nur unten gefüllt mit 
rasch aufgemauerten Kneipen, die noch heute 
eine Vorstellung geben von den hastigen 
Kompromissen der Nachkriegsjahre, unter 
denen das Bild der Stadt schließlich formlos 
auszufransen begann. Inzwischen sind die aus 
verschiedenen historischen Phasen entstande- 
nen Teile der Stadt miteinander verklebt unter 
der Kruste eines verfestigten Alltags, verstellt 
durch eine dichte Schicht von Lampen, 
Schildern, Verkehrssignalen, hinter der erst 
aus der Fernsicht die Physiognomie der Stadt 
wieder erkennbar wird. 
Ein Idealplan gegen das Chaos 
der Trümmer 
Ablesbar bleibt am landschaftlichen Rah- 
men wie am Flickwerk der Stadt ihre Ge- 
schichte - nichts aber erinnert heute daran, 
daß mit der Vernichtung der Stadt 1945 
gerade diese Geschichte einer zwischen 
wechselnden Fronten eingeigelten Siedlung 
beendet und gänzlich neue Wege eröffnet wer- 
den sollten. Nichts erinnert daran, daß für die- 
sen Ort die Vision einer ganz anderen Stadt, 
eines ganz anderen Lebens entworfen wurde, 
die - zum Glück? - an der Macht der Gewohn- 
Die Mainzer Altstadt, 1939 
nach dem Krieg, 1945 
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MI erhalten gebliebene Bausubstanz [77] beschädigt und inzwischen wieder sufosbaut 
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