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Das Scheitern der Planung
Mit großem persönlichen Einsatz zur Propa-
gierung seiner Pläne veranstaltet Lods Aus-
stellungen, Diskussionen, gibt fortsetzungs-
weise in dichter Folge Zeitungsinterviews? zur
Darstellung der Grundüberlegungen seiner
Planung und zur Charta von Athen. Ehrerbie-
tig werden Lods’ Person und seine Arbeit in
der lokalen Presse gewürdigt, ohne daß sich
Gegenstimmen erheben, bis plötzlich im März
1948 eine kalte Abrechnung folgt!°
Mit vollem Titel vorgestellt, übt der „1945
zum Leiter des Hochbauamtes eingesetzte
Oberbaurat Petzold, der unter Einwirkung
von Lods Anfang 47 durch R. Jörg aus dem
Stadtbauamt Baden-Baden abgelöst wur-
de*“,!! öffentlich Kritik an der Planung unter
der Überschrift „Oberbaurat Petzold zu den
Plänen des Herrn Lods“, wie der eben noch
hochgerühmte nun despektierlich genannt
wird: „Lange bevor diese Charta aus einem
gewissen Rationalismus entstanden ist, galt
unsere Stadt als ein Kunstwerk hohen Grades,
das ihm den Namen ’Goldenes Mainz’ eintrug.
Erbaut nicht aus rationalem Denken nach
einem Schema, sondern gewachsen aus den
Verhältnissen der rheinischen Landschaft,
schicksalsverbunden mit dem ewigen Strom,
gestaltet mit einer unerschöpflichen Phantasie
... Hüten wir uns vor Einseitigkeit und
Überschätzung, vor einer Flucht in die
Zukunft und vor Illusionen als einer vorge-
täuschten Wirklichkeit ... Es geht heute
darum, ob wir die durch die Maschinen und
die Technik heraufbeschworene Organisie-
rung, Mechanisierung, Vermassung und Kol-
lektivierung unseres Lebens hemmungslos
bejahen und darin den Triumph der Technik
feiern, oder ob wir, so notwendig die Technik
für die Versorgung der Menschenmassen ist,
darin auch eine Gefahr für das Menschliche
sehen“. Nach langem Zögern sei nun ein
offenes Wort notwendig, konstatiert der
ehemalige Amtsleiter; bisher hätte man nur im
Flüsterton über diese Pläne gesprochen.
Damit nicht gefolgert werden könne, daß
„Mainz durch sein Stillschweigen zu den
Plänen des Herrn Lods“ seine Zustimmung
ausdrückt, gibt Petzold seine Meinung als
„Mainzer Kritik“ an den Lodz’schen Plänen
aus und spielt dabei ebenso die sentimentale
Erinnerung an die Mainzer Gemütlichkeit wie
den Mainzer Humor gegen den französischen
Rationalismus aus; und nicht zuletzt spricht er
betont die Unterordnung der Stadt unter die
ungeklärten Rechte der Besatzungsmacht an:
„Herr Lods ordnete an, und die Stadtverwal-
tung fügte sich, denn die Selbstverwaltung der
Stadt war in diesem Sektor aufgehoben. Herr
Lods fühlte sich als Vertreter einer modernen
Richtung und ihm war Mainz als Objekt
seiner modernen Pläne sehr gelegen, zumal er,
mit den Vollmachten der Militärregierung
ausgestattet, viel leichter die Schwierigkeiten
zu überwinden glaubte, die den meisten
Städtebauern ihre beste Zeit und größte
Arbeitskraft kostet, nämlich viele Meinungen
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Mainz — Idealstadt der zı
unter einen Hut zu bringen. Herr Lods
begnügte sich in erster Linie mit propagan-
distischen Vorträgen, die den Eindruck
machten, mehr seinen Ideen als dem Wieder-
aufbau der Stadt Mainz zu gelten“.
In kürzester Zeit gerät so nun eine kaum
aufgebrochene Diskussion wieder ins publi-
zistische Abseits, denn wenige Tage nach die-
sem Frontalangriff wird vom Rat der Stadt die
Planung von Marcel Lods abgelehnt, nach-
dem geklärt worden war, daß es von Seiten der
Besatzungsmacht keinen Anspruch der Fran-
zosen auf eine durchgreifende Stadtplanung
gab. Geschickt wird die Frage der Planung mit
einer Anstellung von Lods bei der Stadt ver-
koppelt, die dieser selbst wohl nie beabsich-
tigt hatte, - und so verschwindet die gesamte
Planung wenige Wochen später von der politi-
schen Tagesordnung. Bitter kommentiert
„Die Neue Stadt“:
„Der Planung Marcel Lodz ist aus den verschiedensten
Gründen kein langes Leben beschieden gewesen, was aus
den verschiedensten Gründen ja auch nur zu erwarten war.
Es war auch zu erwarten, daß es in dieser Sache gar nicht so
sehr um sachliche Gründe ging. So sind wir denn auch um
eine Hoffnung ärmer geworden, wenn wir geglaubt hatten,
daß sich zumindest an die abgeschlossene Planung endlich
einmal Ziffern und Untersuchungen anschließen würden,
die die wirtschaftlichen Vor- oder Nachteile belegen könn-
ten. Gerade bei diesem Plan wäre das besonders erwünscht
gewesen, denn wie ich schon oben sagte: es gibt in Deutsch-
Jand nicht viele - der Öffentlichkeit zugängliche - Pla-
nungen, die so abgeschlossen und abgerundet sind.
Auch hier dürften letzten Endes rein gefühlsmäßige
Gründe gegen die Durchführung des Planes gesprochen ha-
ben. Ganz allgemein gesprochen steht wohl meistens vor al-
len anderen N Uesrlegungen die Scheu vor der Mühe der
Durchführung eines so revolutionären Planes hindernd im
Wege. Der „Ideal“plan tritt in den Hintergrund vor den
„praktischen“ Überlegungen, vor den Forderungen des
Tages, vor der Stimme des Wählers und vor der schwer-
fälligen Maschinerie der Amtsstuben.“!?
In resignativer Rückschau wird so 1953 Ab-
schied genommen von einer Phase des Auf-
bruchs, dessen Ende schon mit der Währungs-
reform vorgezeichnet schien. Neben durchaus
begründeten Hinweisen auf die weitgehend
intakte Versorgungsstruktur unter der Erde
mit den noch brauchbaren Wegenetzen
darüber waren es vor allem die wieder ver-
festigten Besitzverhältnisse, die als Sand im
Getriebe einer Entwicklungsplanung wirksam
wurden, in der die Perspektive einer strahlen-
den Zukunft die materiellen und geistigen Ver-
hältnisse der Zeit als nebensächliche Randbe-
dingungen erscheinen ließ. Doch besonders
die Beharrlichkeit der Gefühle noch im Trau-
Fr
ma des verlorenen Krieges kennzeichnete die
Mainzer Situation: Nach der harschen Ableh-
nung seiner Vorschläge nahm Lods bitter Ab-
schied von Mainz, nicht ohne vorher öffent-
lich deutsche Unbelehrbarkeit zu beklagen.
Bis in die konstruktiven Details einzelner
Bauten waren die Pläne konkretisiert, da kam
das Dementi: „Keine Experimente!“ Die
Apparatur einer gigantischen städtebaulichen
Versuchsanordnung wurde abgeräumt, Lods
nahm seine Pläne mit nach Paris. Was für die
Planer das Scheitern ihrer Hoffnungen
bedeuten mußte, war für viele Bewohner der
Stadt wohl das Ende eines Alptraums. In
Mainz ist fast ein Aufatmen spürbar; endlich
kann an den verbliebenen Resten gewerkelt
und Wieder-Aufbau auch in der gründerzeit-
lichen Neustadt betrieben werden.
Versagt wurde damit die Chance, gleichsam
in einer Beschleunigung der Geschichte den
Prototyp einer neuen Stadt testen und modifi-
zieren zu können, dessen Modellä la CIAM in
späteren Jahren und in verstümmelter Form
zur schleichenden Auflösung so vieler Städte
herhalten mußte: Vielleicht hätten statt stiller
Durchschnittlichkeit die schrillen Töne der
Kontroversen aus Mainz den Fachdiskussio-
nen der 50er Jahre schon früh jene Anstöße
geben können, die als breite Funktionalismus-
Kritik schließlich um Jahrzehnte verspätet zu
bloßen Schlagworten verkamen?
Doch nicht nur in Mainz verschloß man
sich den Provokationen der Avantgarde von
gestern, die im Deutschland nach dem Fa-
schismus zugleich verspätet und dennoch zu
früh wieder zu wirken begann - unzeitgemäß.
Blockiert blieb damit vielleicht auch ein
wechselseitiger Lernprozeß, den in jenen Jah-
ren auch Le Corbusier anzuregen versuchte.
So legte er 1949 in der französischen Archi-
tektur- und Städtebauausstellung zu Köln die
gesamte Entwicklung einer seiner Stadtpla-
nungen dar und vermerkte unter dem Titel
„gefühlsmäßige Reaktionen“ dazu: „Der erste
Plan wurde von den Bürgern“ - die nicht von
einem Hochhaus aus den großen umgebenden
Park genießen, sondern ihr eigenes Grund-
stück am Hause haben wollten -“ abgelehnt.
Es wurden zwei weitere Pläne aufgestellt, die
ebenfalls abgelehnt wurden. Der vierte Plan
wurde endlich angenommen“. Was man hier
als Wandel durch Einsicht deuten könnte
- wofür ja auch die erstaunliche Entwicklung
seiner Architekturkonzeptionen spräche -,
wird von deutschen Besuchern eher bearg-
wöhnt als technokratischer Trick: „Großar-
tig, bemerkt eine Besucherin, wie kühl die
Franzosen so etwas machen. Die deutschen
Städtebauer ärgern sich zu Tode. Corbusier
registriert völlig unberührt ’gefühlsmäßige
Reaktionen’. Und macht einen neuen Plan“!3,
Bereits 1949 scheint der Aufbruch in eine Zu-
kunft jenseits des Faschismus vor allem in Ka-
tegorien des Gewohnten denkbar zu sein -
schlechte Zeiten für Erfahrungen zwischen
Alternativen.
Keine Experimente, die an Tabuzonen
rühren, die vertraute Muster aufbrechen und
zu neuen Synthesen führen könnten! Zeit für