Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

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Das Scheitern der Planung 
Mit großem persönlichen Einsatz zur Propa- 
gierung seiner Pläne veranstaltet Lods Aus- 
stellungen, Diskussionen, gibt fortsetzungs- 
weise in dichter Folge Zeitungsinterviews? zur 
Darstellung der Grundüberlegungen seiner 
Planung und zur Charta von Athen. Ehrerbie- 
tig werden Lods’ Person und seine Arbeit in 
der lokalen Presse gewürdigt, ohne daß sich 
Gegenstimmen erheben, bis plötzlich im März 
1948 eine kalte Abrechnung folgt!° 
Mit vollem Titel vorgestellt, übt der „1945 
zum Leiter des Hochbauamtes eingesetzte 
Oberbaurat Petzold, der unter Einwirkung 
von Lods Anfang 47 durch R. Jörg aus dem 
Stadtbauamt Baden-Baden abgelöst wur- 
de*“,!! öffentlich Kritik an der Planung unter 
der Überschrift „Oberbaurat Petzold zu den 
Plänen des Herrn Lods“, wie der eben noch 
hochgerühmte nun despektierlich genannt 
wird: „Lange bevor diese Charta aus einem 
gewissen Rationalismus entstanden ist, galt 
unsere Stadt als ein Kunstwerk hohen Grades, 
das ihm den Namen ’Goldenes Mainz’ eintrug. 
Erbaut nicht aus rationalem Denken nach 
einem Schema, sondern gewachsen aus den 
Verhältnissen der rheinischen Landschaft, 
schicksalsverbunden mit dem ewigen Strom, 
gestaltet mit einer unerschöpflichen Phantasie 
... Hüten wir uns vor Einseitigkeit und 
Überschätzung, vor einer Flucht in die 
Zukunft und vor Illusionen als einer vorge- 
täuschten Wirklichkeit ... Es geht heute 
darum, ob wir die durch die Maschinen und 
die Technik heraufbeschworene Organisie- 
rung, Mechanisierung, Vermassung und Kol- 
lektivierung unseres Lebens hemmungslos 
bejahen und darin den Triumph der Technik 
feiern, oder ob wir, so notwendig die Technik 
für die Versorgung der Menschenmassen ist, 
darin auch eine Gefahr für das Menschliche 
sehen“. Nach langem Zögern sei nun ein 
offenes Wort notwendig, konstatiert der 
ehemalige Amtsleiter; bisher hätte man nur im 
Flüsterton über diese Pläne gesprochen. 
Damit nicht gefolgert werden könne, daß 
„Mainz durch sein Stillschweigen zu den 
Plänen des Herrn Lods“ seine Zustimmung 
ausdrückt, gibt Petzold seine Meinung als 
„Mainzer Kritik“ an den Lodz’schen Plänen 
aus und spielt dabei ebenso die sentimentale 
Erinnerung an die Mainzer Gemütlichkeit wie 
den Mainzer Humor gegen den französischen 
Rationalismus aus; und nicht zuletzt spricht er 
betont die Unterordnung der Stadt unter die 
ungeklärten Rechte der Besatzungsmacht an: 
„Herr Lods ordnete an, und die Stadtverwal- 
tung fügte sich, denn die Selbstverwaltung der 
Stadt war in diesem Sektor aufgehoben. Herr 
Lods fühlte sich als Vertreter einer modernen 
Richtung und ihm war Mainz als Objekt 
seiner modernen Pläne sehr gelegen, zumal er, 
mit den Vollmachten der Militärregierung 
ausgestattet, viel leichter die Schwierigkeiten 
zu überwinden glaubte, die den meisten 
Städtebauern ihre beste Zeit und größte 
Arbeitskraft kostet, nämlich viele Meinungen 
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Mainz — Idealstadt der zı 
unter einen Hut zu bringen. Herr Lods 
begnügte sich in erster Linie mit propagan- 
distischen Vorträgen, die den Eindruck 
machten, mehr seinen Ideen als dem Wieder- 
aufbau der Stadt Mainz zu gelten“. 
In kürzester Zeit gerät so nun eine kaum 
aufgebrochene Diskussion wieder ins publi- 
zistische Abseits, denn wenige Tage nach die- 
sem Frontalangriff wird vom Rat der Stadt die 
Planung von Marcel Lods abgelehnt, nach- 
dem geklärt worden war, daß es von Seiten der 
Besatzungsmacht keinen Anspruch der Fran- 
zosen auf eine durchgreifende Stadtplanung 
gab. Geschickt wird die Frage der Planung mit 
einer Anstellung von Lods bei der Stadt ver- 
koppelt, die dieser selbst wohl nie beabsich- 
tigt hatte, - und so verschwindet die gesamte 
Planung wenige Wochen später von der politi- 
schen Tagesordnung. Bitter kommentiert 
„Die Neue Stadt“: 
„Der Planung Marcel Lodz ist aus den verschiedensten 
Gründen kein langes Leben beschieden gewesen, was aus 
den verschiedensten Gründen ja auch nur zu erwarten war. 
Es war auch zu erwarten, daß es in dieser Sache gar nicht so 
sehr um sachliche Gründe ging. So sind wir denn auch um 
eine Hoffnung ärmer geworden, wenn wir geglaubt hatten, 
daß sich zumindest an die abgeschlossene Planung endlich 
einmal Ziffern und Untersuchungen anschließen würden, 
die die wirtschaftlichen Vor- oder Nachteile belegen könn- 
ten. Gerade bei diesem Plan wäre das besonders erwünscht 
gewesen, denn wie ich schon oben sagte: es gibt in Deutsch- 
Jand nicht viele - der Öffentlichkeit zugängliche - Pla- 
nungen, die so abgeschlossen und abgerundet sind. 
Auch hier dürften letzten Endes rein gefühlsmäßige 
Gründe gegen die Durchführung des Planes gesprochen ha- 
ben. Ganz allgemein gesprochen steht wohl meistens vor al- 
len anderen N Uesrlegungen die Scheu vor der Mühe der 
Durchführung eines so revolutionären Planes hindernd im 
Wege. Der „Ideal“plan tritt in den Hintergrund vor den 
„praktischen“ Überlegungen, vor den Forderungen des 
Tages, vor der Stimme des Wählers und vor der schwer- 
fälligen Maschinerie der Amtsstuben.“!? 
In resignativer Rückschau wird so 1953 Ab- 
schied genommen von einer Phase des Auf- 
bruchs, dessen Ende schon mit der Währungs- 
reform vorgezeichnet schien. Neben durchaus 
begründeten Hinweisen auf die weitgehend 
intakte Versorgungsstruktur unter der Erde 
mit den noch brauchbaren Wegenetzen 
darüber waren es vor allem die wieder ver- 
festigten Besitzverhältnisse, die als Sand im 
Getriebe einer Entwicklungsplanung wirksam 
wurden, in der die Perspektive einer strahlen- 
den Zukunft die materiellen und geistigen Ver- 
hältnisse der Zeit als nebensächliche Randbe- 
dingungen erscheinen ließ. Doch besonders 
die Beharrlichkeit der Gefühle noch im Trau- 
Fr 
ma des verlorenen Krieges kennzeichnete die 
Mainzer Situation: Nach der harschen Ableh- 
nung seiner Vorschläge nahm Lods bitter Ab- 
schied von Mainz, nicht ohne vorher öffent- 
lich deutsche Unbelehrbarkeit zu beklagen. 
Bis in die konstruktiven Details einzelner 
Bauten waren die Pläne konkretisiert, da kam 
das Dementi: „Keine Experimente!“ Die 
Apparatur einer gigantischen städtebaulichen 
Versuchsanordnung wurde abgeräumt, Lods 
nahm seine Pläne mit nach Paris. Was für die 
Planer das Scheitern ihrer Hoffnungen 
bedeuten mußte, war für viele Bewohner der 
Stadt wohl das Ende eines Alptraums. In 
Mainz ist fast ein Aufatmen spürbar; endlich 
kann an den verbliebenen Resten gewerkelt 
und Wieder-Aufbau auch in der gründerzeit- 
lichen Neustadt betrieben werden. 
Versagt wurde damit die Chance, gleichsam 
in einer Beschleunigung der Geschichte den 
Prototyp einer neuen Stadt testen und modifi- 
zieren zu können, dessen Modellä la CIAM in 
späteren Jahren und in verstümmelter Form 
zur schleichenden Auflösung so vieler Städte 
herhalten mußte: Vielleicht hätten statt stiller 
Durchschnittlichkeit die schrillen Töne der 
Kontroversen aus Mainz den Fachdiskussio- 
nen der 50er Jahre schon früh jene Anstöße 
geben können, die als breite Funktionalismus- 
Kritik schließlich um Jahrzehnte verspätet zu 
bloßen Schlagworten verkamen? 
Doch nicht nur in Mainz verschloß man 
sich den Provokationen der Avantgarde von 
gestern, die im Deutschland nach dem Fa- 
schismus zugleich verspätet und dennoch zu 
früh wieder zu wirken begann - unzeitgemäß. 
Blockiert blieb damit vielleicht auch ein 
wechselseitiger Lernprozeß, den in jenen Jah- 
ren auch Le Corbusier anzuregen versuchte. 
So legte er 1949 in der französischen Archi- 
tektur- und Städtebauausstellung zu Köln die 
gesamte Entwicklung einer seiner Stadtpla- 
nungen dar und vermerkte unter dem Titel 
„gefühlsmäßige Reaktionen“ dazu: „Der erste 
Plan wurde von den Bürgern“ - die nicht von 
einem Hochhaus aus den großen umgebenden 
Park genießen, sondern ihr eigenes Grund- 
stück am Hause haben wollten -“ abgelehnt. 
Es wurden zwei weitere Pläne aufgestellt, die 
ebenfalls abgelehnt wurden. Der vierte Plan 
wurde endlich angenommen“. Was man hier 
als Wandel durch Einsicht deuten könnte 
- wofür ja auch die erstaunliche Entwicklung 
seiner Architekturkonzeptionen spräche -, 
wird von deutschen Besuchern eher bearg- 
wöhnt als technokratischer Trick: „Großar- 
tig, bemerkt eine Besucherin, wie kühl die 
Franzosen so etwas machen. Die deutschen 
Städtebauer ärgern sich zu Tode. Corbusier 
registriert völlig unberührt ’gefühlsmäßige 
Reaktionen’. Und macht einen neuen Plan“!3, 
Bereits 1949 scheint der Aufbruch in eine Zu- 
kunft jenseits des Faschismus vor allem in Ka- 
tegorien des Gewohnten denkbar zu sein - 
schlechte Zeiten für Erfahrungen zwischen 
Alternativen. 
Keine Experimente, die an Tabuzonen 
rühren, die vertraute Muster aufbrechen und 
zu neuen Synthesen führen könnten! Zeit für
	        
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