Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Hausbau - Stadtbau b 
SE 
Wenn heute über neue Programmatiken zu 
Siedlungs- und Bau-/Freiraumkonzepten ge- 
redet wird, findet sich oft der Hinweis, es 
handele sich um einen Bewußtseinswandel 
aufgrund von Erfahrungen der Nachkriegs- 
zeit. 
Gleichzeitig wird z.T. von den selben 
Planern, über die ’alten’ Konzepte berichtet 
wie über ’gute alte Zeiten’ (siehe dazu die Hefte 
der Stadtbauwelt in den S0er und 60er 
Jahren). 
Muntere Gespräche über methodische und 
ästhetische Entwurfskriterien der Entwurfs- 
schulen; Bedingungen der Zeitgeister; Recht- 
fertigungen der Verhaltens- und Handlungs- 
praxis; oder auch rührende Erinnerungs- 
pläusche und höfliches Gerangel um Begriffs- 
besetzungen. Aber seit mehr als 30 Jahren 
leben Leute in den Experimenten; müssen 
versuchen, damit zu leben, weil sie keine 
Alternative haben. 
Die gelebte Praxis täglicher Erfahrungen 
kommt in den erbaulichen Disputen übers 
Bauen und Wohnen nicht vor. 
Die neuerlichen Konzepte, die uns wieder 
die Lösung der Probleme verheißen, sind 
solange unglaubwürdig, wie sie nicht von den 
Erfahrungen, die 30 Jahre Leben in den Sied- 
lungen produziert haben, tatsächlich auch 
lernen. Dies verlangt allerdings auch, daß 
durch eine Kritik belegt wird, die die 
’überkommenen’ Konzepte und Verheißungen 
mit den konkreten Lebenserfahrungen und - 
alltagen konfrontiert. 
Wir wollen mit diesem Beitrag einen 
Versuch in diese Richtung am Beispiel des 
’Zeilenbaus’ aus der Nachkriegszeit unter- 
nehmen. Dazu wollen wir uns zunächst einige 
Erwartungen und Begründungen in Erinne- 
rung rufen: 
Verheißungen 
„Der Mensch ist nur glücklich unterzubrin- 
gen, wenn er gesund wohnt, das heißt, wenn er 
im Grünen wohnt, wenn seine Wohnung Licht 
und Sonne hat, und wenn eine günstige 
Durchlüftung des Wohnbereichs gewährlei- 
stet ist. Ferner, wenn er ruhig und vom 
Verkehr ungefährdet wohnt.“! 
Mit der „gegliederten und aufgelockerten 
Stadt“, „der organischen Stadtbaukunst“ oder 
der „Stadt-Landschaft“ werden die Formeln 
der „funktionellen Stadt“ adaptiert. 
„Der Städtebaukunst fällt die Aufgabe zu, die 
Hierarchie der Werte wiederherzustellen, mit 
deren Hilfe der Mensch die Wohltaten der 
’westlichen Freuden’ zu genießen vermag, der 
Gaben der Natur, der Sonne. des Raumes und 
des Grüns ...“2 
Die Gebäude wenden sich von der Straße ab 
und dem Grün zu. Die Straße als öffentlicher 
Raum wird durch das Gemeinschaftsgrün 
zwischen den Zeilen ersetzt und durch 
Grünzüge und -verbindungen geführt. 
„Häuser und erst recht die Hauszeilen“ 
wurden „als Gerüst des Planes ... in gestaltete 
Grünflächen hineinkomponiert“?, während 
der Grünplaner versuchte, die Flächen 
zwischen den Gebäuden mit reichlich Grün 
Helmut Böse, Lolita Hörnlein, Petra Rau 
Grün allein genügt nicht 
Grünflächen und Freiräume 
im Zeitalter nach dem 2. Weltkrieg 
aufzulockern. Diese Grünflächen hatten die 
Aufgabe, „die Überschaubarkeit der einzel- 
nen gebauten Stadtelemente zu gewährleisten 
und dadurch zur Identifikation der Bürger mit 
ihrer gebauten Umwelt“* beizutragen und das 
„Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu 
bessern“.5 
Die grüne Stadtlandschaft wird zum 
formalen Träger der Versöhnung von Stadt 
und Natur; das sanitäre oder Wohlfahrtsgrün 
zum Nachweis gesunden Wohnens und zum 
Ort von Natur- und Gemeinschaftserleb- 
nissen; das Freizeitgrün wird gleichbedeu- 
tend mit Ruhe, Erholung, Entspannung und 
Sport. 
„Die Wohnungen am Grün zwischen den 
Zeilen liegen abseits vom Lärm und Staub der 
Straßen. Der Verkehr geht an den Stirnseiten 
der Hauszeilen vorbei. Die Rasenflächen 
zwischen den Gebäuden tragen keine Schilder 
mit der Aufschrift ’Betreten verboten’. Das 
Leben auf ihnen gleicht eher dem Leben in 
einem Kurort. Der sich im Freien erholende 
Mensch bestimmt das sommerliche Bild 
inmitten der grünen Stadt.“% 
„Die Qualitäten sind ruhige Rasenflächen, 
das Gegenüber abschleiernde und darüber 
hinaus raumbildende und raumgliedernde 
Baum- und Strauchgruppen, sind Wege und 
Kinderspielplätze, auf denen sich eine be- 
scheidene ’Miniöffentlichkeit’ (zum Zuschau- 
en) abspielt. Das sind neben den sonstigen 
Sicherheits- und Wohlfahrtswirkungen dieser 
Abstandsflächen positive Werte ...“7 
Für Architekten, Städtebauer und Grün- 
planer gleichermaßen stellte das Grün den 
besonderen Fortschritt und das dominante 
Element in der Konzeption des Wohnens dar; 
gleichzeitig war es für die Wohnungsbau- 
gesellschaften propagandistisch entscheidend; 
über das Grün ließen sich Bauformen durch- 
setzen und Wohnungen ’verkaufen’ 
Ä n Sr BZ Schi # 
Zeilenbau 
oben: 
BILDER ZUR AUFLÖSUNG 
DER STADT: 
1.Roland Rainer. Wien 1947 
A Kemer 
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Im Westen Wohnräume 
Im Osten Schlatrdume 
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Vohnstrasi« 
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= 
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Im Norden Wege und Nebenräume 
Im Süden Grün und Aulenthaltsrdume 
links; 
GRUPPIERUNG DER BAUTEN 
NACH DER SONNE: 
2. aus: Möllendorff, W.v., 1953. 
Lebendiges Bauen. Tübingen 
1Q
	        

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