Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1983, Jg. 15, H. 67, 68, [69/70], 71, 72)

Freiräume mitgebaut wird - im vorderen wie 
im rückwärtigen Bereich. 
Breite Büraersteige und ihre mögliche Nutzung heute: Berlin Kreuzberg 
Hausbau - Stadtbau 
ist. Und die sind entscheidend schon bei jedem 
kleinsten Eingriff in die räumliche Struktur 
bestehender Wohnquartiere, nicht erst bei der 
Frage des Neubaus. Man’ betrachte dazu nur 
den Wiederaufbau zerstörter Blöcke oder 
Blockteile in den 50er Jahren: damals eine in 
die bestehende Stadt hinein korrigierte Form 
des „besseren“ Städtebaus, heute ein Fall für 
Stadtreparatur im Sinne der Rekonstruktion 
ehemaliger städtebaulicher Qualitäten. 
Indessen: nirgendwo wird die Notwendig- 
keit von Stadtbau deutlicher als am Beispiel 
jenes Hausbaus, der sich als Einfamilien-, 
Bungalow- oder Reihenhaus-Brei ins Umland 
unserer Städte frißt, ehem. Dörfer zu 
Suburbias aufbläht. Er ist gleichsam ein 
letzter Abkömmling des modernen Raum- 
konzepts, nichts ist übrig geblieben von der 
früheren militärischen Strenge der gereihten 
Anordnung, die immerhin noch an „Siedlung“ 
denken ließ. Die Sünde gegen den städtischen 
Raum, sie läßt sich noch steigern bis zur voll- 
kommenen Zersplitterung. 
Das Haus mit seiner Parzelle ist Inbegriff 
der Befriedigung aller Bedürfnisse, jedes ist 
sich selber genug, tut so, als sei es ganz allein 
auf der Welt. 
Natürlich ist dies Illusion, jeder Hausbauer 
baut zugleich an seiner und seiner Nachbarn 
Umwelt mit. Aber diese Illusion scheint das 
Credo dieser Art von Siedlungsplanung zu 
sein, denn darum handelt es sich ja: um eine 
geplante Zersiedelung. Die Befriedigung des 
Wunsches, in der Landschaft zu wohnen, muß 
diese zerstörten und das verunmöglichen, was 
immerhin erreichbar wäre: eine städtische 
Siedlung. 
Es wurden hier nur einige wenige Aspekte so- 
zialer Raumorganisation behandelt. Deutlich 
werden sollten aber zwei Grundpositionen: 
1) Stadtbau, das ist mehr als ein Planspiel zur 
Gruppierung von Häusern. Stadtbau ist 
„Raum-Bau“, ist Vorformulierung von So- 
zialraum. Irgendeine ästhetische Korrespon- 
denz von Linien auf dem Papier sagt wenig 
über die Gebrauchstauglichkeit dieses Sozial- 
raums aus - und er entsteht immer, wenn die, 
egal wie konzipierten Häuser auch gebaut und 
bewohnt werden. Die gültigen Regeln und 
Konventionen der Raumbenutzung werden 
sich - auch modifiziert - durchsetzen und sei es 
im Negativen, d.h. der Nichtnutzung, wenn 
der Raum dazu völlig „Querliegt“. Stadtbau 
ist soziale, gesellschaftliche Aufgabe (viel- 
mehr als es der Wohnungsbau je sein kann), 
wird doch das, was der „räumlich versammel- 
ten Gemeinschaft“ (dies ist keine emphatische 
Aussage, sondern eine faktische) und dem 
Einzelnen in ihr an Raumvolumen und 
Raumgebrauch zusteht, dadurch bestimmt. In 
dem Sinne war Stadtbau auch immer 
Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, sei 
es durch den Konsens des „Zubauens“ der gar 
nicht so urwüchsigen spätmittelalterlichen 
Stadt, sei es durch die auch räumliche Macht- 
anmaßung barocker Feudalfürsten, sei es 
durch die sich gegen jede Hemmung bahn- 
brechende Repräsentation des „staatstragen- 
den“ Bürgertums oder sei es durch den „zer- 
splitterten“ Raum, der in ihrer Demokratisie- 
rung auseinanderfallenden modernen Gesell- 
schaft. 
An diesem kurzen historischen Revue- 
Passieren-Lassen soll auch verdeutlicht wer- 
den, daß wir unter Stadtbau nicht den gro- 
ßen Entwurf großartiger räumlicher En- 
sembles verstehen, sondern die zugrunde lie- 
genden sozialräumlichen Prinzipien. Und hier 
wird - wie immer man heute zur Frage der Pla- 
nung und Konzipierung größerer oder besser: 
zusammenhängender „Siedlungselemente“ 
stehen mag, die Relevanz der „Stadtbau-Fra- 
ge“ klar. Es geht nicht zuerst um die äußerliche 
Form, um das räumliche Kleid, sondern um 
die Regeln nach denen es zusammen..genäht“ 
Hausbau solcher Art versteht sich als 
Alternative zur Ver-Wohneinheitlichung im 
Geschoßwohnungsbau der großen Träger. 
Das Versprechen ist: eigene Verfügbarkeit 
über Innen- und Außenraum. Daß es erkauft 
wird durch private Isolation ist ein Merkmal 
dieser Hausbauerei, nicht jedoch des Haus- 
baus per se. 
Darum: Kein Hausbau ohne Stadtbau! 
Stadtbau, das ist für uns der Wunsch, daß mit 
der Ansiedlung von Häusern oder Gebäuden 
zugleich ein vielfältiges Gefüge brauchbarer 
RA 
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Wettbewerbsprojekt von Rob Krier (rechts) und Leon Krier (links) für einen Block nahe der Königlichen Münze, London 
2) Es wird manchem so scheinen, daß wir mit 
unserem Pladoyer für Stadtbau nur offene 
Türen einrennen, ist es doch längst wieder 
selbstverständlich etwa bei Sanierungspla- 
nungen die Figur geschlossener Blockbe- 
bauungen zugrunde zu legen. Namentlich die 
inzwischen wohl dominierende Richtung der 
„Postmodernen“, die Rationalisten, treten ein 
für eine vollständige Abkehr von der moder- 
nen Raumkonzeption und zugleich für eine 
Stadtbaukunst der figürlich präzise be- 
grenzten öffentlichen Räume. 
Gewiß sind einfache, jedermann verständli- 
che Raumfiguren der Kenntlichkeit der öf- 
fentlichen Räume nur günstig. (Willkürliches 
Vor- und Zurückspringen der Gebäude- oder 
Häuserfronten, das sind Mätzchen der 60er 
Jahre - ein verzweifelter Versuch, Vielfalt vor- 
zutäuschen, wo keine ist). Was wir allerdings 
auf den Plänen nicht weniger. Vertreter die- 
ser Strömung der Postmodernen sehen, das ist 
in der Tat Renaissance, Renaissance des 
perspektivischen Raums, der ja niemals aus 
der Perspektive des Fußgängers gedacht war, 
die Renaissance der Korridorstraße mit glat- 
ten Fluchten, ohne jeden Hinweis, daß die 
Straßen zum Aufenthalt gedacht wären. Wir 
sehen über drei Stockwerke reichende Arka- 
den und stellen fest: hier tritt das Symbol einer 
Zuwendung der Gebäude zur Straße an die 
Stelle der Zuwendung, selbst der dahinter 
wohnenden Menschen. 
Die Rückkehr zur Blockbebauung ist eine 
Konsequenz der klaren Unterscheidung zwi- 
schen vorderen und rückwärtigen Bereichen. 
Soweit das Grundprinzip. Wenn wir jedoch 
Blockbebauungen sehen, die eine nur entkern- 
te Version des gründerzeitlichen Blocks sind, 
denen also das (gewiß nicht unproblemati- 
sche) „Innenleben“ herausgenommen und 
durch viel zu große „Gemeinschafts“grün- 
flächen ersetzt worden ist, dann fragen wir 
uns, worin liegt eigentlich der Unterschied zu 
den ja gleichfalls landschaftsgärtnerisch ge- 
stalteten und zentralverwalteten Abstands- 
flächen im Geschoßwohnungsbau etwa der 
60er Jahre? 
Oder die bekannte, durch Cardo und 
Decumatus viergeteilte Blockfigur: Ist sie 
anders möglich als auf einer einzigen oder 
bestenfalls vier Großparzelle(n)? Schreibt 
nicht bereits die Planfigur fest, daß die vier 
Höfe niemals etwas anderes sein können als 
gemeinschaftliche Freiflächen, daß also die 
Gebäude aus Wohneinheiten bestehen müs- 
sen, ohne eigenes Verfügungsrecht über 
Außenraum? 
Ist dies schon Stadtbau, so doch einer der 
mit Hausbau offenbar nichts im Sinn hat, der 
die Verwohn-einheitlichung voraussetzt, um 
gefügiges Stadtbaumaterial zur Hand zu 
haben. 
Hausbau, das ist der Wunsch, über Innen- 
und Außenräume selbst verfügen zu können, 
Spielraum zu haben auch für Wohnformen 
und Gebrauchsweisen, an die Planer oder 
andere Zuständige nicht gedacht haben oder 
denken. 
Kein Stadtbau ohne Hausbau! Das wäre 
der Versuch zu einer neuen Synthese zwischen 
beidem zu erreichen, der Versuch aus Wohn- 
einheiten wieder so etwas wie Häuser zu 
machen, ihnen einen eigenen Fuß auf dem 
Boden zu geben. Das erfordert, nicht bloß in 
Planfiguren von Gebäuden zu denken, 
sondern stets Gebäude/ Häuser zusammen mit 
den zugehörigen Freiräumen als Element des 
Gefüges zu verstehen. Das erfordert Gebäude- 
anordnungen, die nicht bloß in die dünne Luft 
hier des öffentlich dort des trägerschaftlich 
verwalteten Außenraums gestellt sind. 
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