ders aus. Es zeigte sich, daß auch die verspäteten barocken Pla-
nungselemente ihre Wirkung haben. Sie eigneten sich in gleicher
Weise zur Machtdemonstration auch der neuen Herren. Washing-
ton kann als Beispiel dienen, ebenso Haussmanns 12-sternige Al-
leenanlage in Paris, Sinnbild des barocken Ideals der Perspektive
ung geordneten Linie. Ihr vorrangiges Ziel war die Sicherung der
Stadt gegen den Bürgerkrieg. Ihre Anordnung schuf die kürzeste
Verbindung zwischen den Kasernen und den Arbeitervierteln und
ihre Breite sollte den Barrikadenbau verhindern. Die Beispiele lie-
ßen sich fortsetzen. Doch Verdienen und Ausgeben, der techni-
sche Reiz, die neuen Fabrikstädte mit ihrem Mindestmaß an Ord-
nung und Hygiene, die Übervölkerung, die sorglose Standortwahl
von Industrien, die Wohnen isolierte und die Städte in Dreck und
Staub hüllte, kurz, die oft beschworene „Hölle der technischen
Freiheit” machte die Städte gegen Ende des Jahrhunderts „unwirt-
lich”. Die Fabriken wurden größer, die Luft immer schlechter,
Rauch und Lärm unerträglich. Die Fabrikherren flohen aus der
Stadt, wie die ehemaligen Herren der oberitalienischen Städte in
die Terra ferma. Perfektere Verfahrens- und Überwachungstech-
niken machten ihre permanente Präsenz entbehrlich. Dafür hatten
sie ihre Meister, Bürovorsteher, leitenden Angestellten. Sie ver- Emile Ailaud, Siedlung Wiesberg in Lothringen, 1961-63
legten ihre repräsentativen Villen ins Grün. Wo die Fabriken zu
groß wurden, mußten sie an den Rand verlegt werden. Sie rückten die stete Übung, sachlich zu denken und die angeborene Fähig-
damit wieder in die Nähe der Arbeiter, aber die Explosion der keit, großzügig zu organisieren, leitet hier den Architekten bei sei-
Städte holte beide wieder ein. Die Vorstädte begannen zu ner Arbeit”, so Gropius 1910, oder Peter Behrens zur Entwicklung
marschieren. Wo das Festhalten an älteren Traditionen die Aus- der Berliner City 1912: „Nichts erscheint so wichtig und aus dem
breitung der Industrie bremste, wurden die Städte weniger von Geist unserer Zeit heraus bedungen, als in dem Geschäftshaus die
den zerstörerischen Auswirkungen der Industrialisierung betrof- Aufgabe zur Entfaltung monumentaler Kunst zu sehen”. Aber „ei-
fen, wie Frankfurt z.B., das als Stadt des Handels und der Banken ne moderne, konsequent sachlich gedachte Architektur, die in ab-
die Errichtung von Fabriken in seinem Stadtgebiet verbot und die- strakter Formgebung der ökonomischen Struktur des Monopols im
se in die umliegenden Gemeinden ausweichen mußten, oder Am- Sinne einer weltmarktorientierten Ausdrucksform von ’beinah in-
sterdam. Die dortige Pfahlbauweise schützte vor der Willkür der ternationalem Gepräge’ durchaus zu Gesicht stehen möchte”, so
Grundbesitzer, denn strenge Bauvorschriften regelten Grundrisse, Muthesius, schien vor dem Hintergrund des wilhelminischen Impe-
sanitäre Anlagen, Fußwege und Grünflächen. Dieses andauernde rialismus und seinem aggressiven Nationalismus „utopisch”. Trotz
Planen und Bauen verhinderte weitgehend die Folgen des schnel- aller Kritik an ihren Hoffnungen und Lösungen stellen aber diese
len Wachstums. neuen Vorstellungen bereits eine Antwort auf die Unwirtlichkeit
Hier ist es Zeit, einige Bemerkungen zur Rolle der neuen Archi- der Städte dar, entsprechen aber auch der im Gang befindlichen
tekten und neuen Stadtplaner zu machen. Sie waren nur für die Neuorganisation der Arbeit am Ende des 19. Jahrhunderts.
Zentren und die Villenviertel zuständig, nicht für die Mietskaser- Diese idealmotivierte Opposition war nicht antikapitalistisch.
nen der Arbeiter rund um die Fabriken. Ihre Aufgabe war es, die Sie artikulierte den Führungsanspruch eines neuen Denkens, neu-
nach wie vor hierarchischen Herrschaftsverhältnisse zu verewigen, er Interessen, die das „Ordnen und Herrschen” nicht mehr den
besonders die im halbfeudalen wilhelminischen Deutschland. Sie Junkern überlassen wollten (Fritz Neumeyer), allerdings auch
sollten von den tiefen sozialen Konflikten der Gegenwart ablen- nicht den Fabrikherren. der Darstellungssucht der Großbürger-
ken, dem „materialistischen Zeitgeist” die „ästhetische Schönheit” lichkeit.
entgegensetzen. Dem entsprach die Trennung von Architektur als Die neuen Schulen wollten zurück hinter jeden Stil, hinter jedes
der eigentlich höheren „Baukunst”, die in den Universitäten und historische Erbe, zurück „zur Natur” im Sinne prinzipiell artifiziell
Akademien gelehrt wurde, und der an den Technischen Hochschu- gedachter Regeln und abstrakter Grundformen. Sie antworteten
len und Polytechnischen Schulen vermittelten „Ingenieurkunst” sozialen Problemen durch die ästhetische Intellektualisierung von
oder „gemeineren Civilkunst” (Joachim Petsch). Die Gestaltung Bauen. Der „Ort” wurde entdeckt, nicht als „Stadt”, als Plan, aber
von Arbeiterwohnungen lehnten die Architekten rundweg als „ar- als Wohnen, auf die Krise der Zeit und der Stadt antworteten
chitektonisch uninteressant” ab (Fritz Schumacher). Diese überlie- Wright, Le Corbusier und Mies van der Rohe mit dem „Haus”, dem
ßen sie privaten Terrain- und Baugesellschaften, deren Mietforde- Wohnen, dem Raum als fließendes Kontinuum, das kaum zwi-
rungen zu einer maßlosen Überfüllung der Wohnungen führte. schen Innen und Außen unterschied. Architektur sollte nicht mehr
Obwohl die technischen Wissenschaften immer wichtiger wur- von „oben” kommen; „Wohnen” entsprach nicht mehr der Ver-
den, spielten sie auf dem Bausektor — abgesehen von wenigen bindung von „Palast und Kirche”, alle Bauaufgaben wurden als
Großprojekten — eine untergeordnete Rolle. Die neuen materiel- „Erweiterung der Wohnung” (Le Corbusier) definiert; die her-
len und technologischen Möglichkeiten, Beton und Stahl, die Ske- kömmliche Reihenfolge des Bauprogramms, seine Aufgabe wurde
lettbauten der Industrie zählten nicht zur „Architektur als Kunst”, auf den Kopf gestellt; Architektur sollte nicht „menschlichen”,
der Wohnungsbau blieb eine Domäne des Handwerks (Alexander sondern allgemeinen Prinzipien entsprechen, gerade die Schuldok-
Schwab). Die Technikfeindlichkeit war nicht allein Kennzeichen trin überwinden. Wo sie sozialpolitische Forderungen stellten,
der traditionalistischen Architekten. Auch die „arts-and-crafts”- dienten sie eher dazu „die Arbeiter nicht in die Arme von Ideen zu
Bewegung und der „Werkbund” waren eine Reaktion der alten treiben, die dem Staat und der Gesellschaft gefährlich werden
bürgerlichen Schichten auf die veränderten gesellschaftlichen Be- könnten”, so Ädickes in seinem Entwurf für ein Zonenenteig-
dingungen. Sie waren gegen die Industrialisierung und für eine nungsgesetz (R. Hartog).
staatlich patriotische Weltmachtpolitik, auch auf dem Gebiet der Ohne Zweifel war es das große Verdienst der Charte d’Athenes
Kunst (Joachim Petsch), während das Industrie- und Finanzkapital 1928, zu versuchen, eine architektonische Lösung auf die ungelö-
die Avantgarde — wie die AEG Peter Behrens — als Berater enga- ste soziale Frage des 19. Jahrhunderts zu geben. Sie veränderte die
gierte (Alexander Schwab). „Wir pilgerten zu den Riesenbauten bisherigen gestalterischen Leitbilder auf revolutionäre Weise:
der AEG in der Brunnenstraße und zur Turbinenhalle. Als je- nicht mehr das einheitliche System der Stadt, die Hervorhebung
mand die nahe Wahlverwandtschaft zwischen neuer Industriear- öffentlicher Gebäude waren die zentralen Planungskriterien, nach
chitektur und früher hellenistischer Antike besang, da schien uns denen das Verkehrsnetz und die Wohn- und Arbeitsstätten ausge-
das Tor geöffnet zu einem neuen Himmel, zu einem ersehnten Ei- richtet waren, sondern die Wohnordnung. Die unruhigen Massen
genen” (Fritz Neumeyer). So Edmund Schüler in seinem Nachruf mußten aus der Stadt separiert, verkehrsmäßig unter Kontrolle ge-
auf Behrens. bracht werden. 1918 hatten sich die Arbeiterblöcke in der Stadt als
Die Avantgarde wollte weg von den alten feudal-besetzten Mo- gefährliche Festungen erwiesen und die Zeichen standen erneut
numentalbauten zu den neuen amerikanisch-industriellen. „Die auf Sturm. 1928 trieb die Welt in ihre bisher schlimmste wirtschaft-
charakteristischen Eigenschaften des amerikanischen Kaufmanns. liche politische und menschliche Krise
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