Dieser Entwicklung entspricht nun eine stets größere Differen-
zierung und Segmentierung der Berufe. Der permanente Prozeß
der Automation erfordert jeweils eine bessere Qualifikation, wie er
sie bei Erreichen eines höheren Organisationsgrades dequalifiziert.
Wie die qualifizierten Handwerks- und Instrumentenbauer‘ der
Londoner Maschinenwerkstatt Henry Maudslay sich durch die
Herstellung geistreich konstruierter Duplikationsmaschinen er-
setzten, entwickeln heute die Ingenieure in der Mikroelektronik ei-
ne Technologie, die sie selbst überflüssig machen wird (Thomas
Kuby).
N be bis 1995 prophezeite totale Verkabelung, die Ausstattung
der Haushalte mit „Home-computer-terminals” oder die Einrich-
tung von „Computels”, in denen jeder einen Arbeitsplatz mieten
kann, das Problem der Arbeitslosigkeit wird lösen können, ist mehr
als fraglich. Die elektronischen Maschinenparks sind zentral besser
versorgt, ausgelastet und unter Kontrolle als viele dezentrale Ar-
beitsstätten. Die Organisationsprinzipien drängen nach wie vor auf
Zentren.
Der Kampf zwischen den unter dem Druck der ökonomischen
Krise stehenden Arbeitsplatzbesitzern und arbeitsloser Reservear- . _—
mee wird die sozialen Gegensätze enorm verschärfen, die Gewerk- Behutsame Erneuerung in Bologna, Isometrie eines Wohnblocks
schaften schwächen, die Unternehmer und ihre mächtigen Interes- n n —_—_ .
senverbände aber auch nicht stärken. Wir leben im Umbruch, die Das Sozialwesen Mensch wird zunehmend isoliert, psychisch bela-
Zeichen sind nur Hinweise auf diesen säkularen Bruch, in dem wir Stet, mit Reizen überflutet, technisch reduziert. Sein Leben, seine
stehen und auch die Städte und ihre Gesellschaft. Dabei bedeutet Welt wird verwissenschaftlicht; seine leibliche Anwesenheit ist
die Verschiebung eindeutiger Grenzen zwischen den verschiedenen Nicht mehr erforderlich, seine Sinne werden terminalisiert, sein
Schichten eine immer größere Annäherung der Parteien, die um Denken zugebitet, ratiotapesiert; er wird abhängig von der Medien-
dasselbe Wählerpotential konkurrieren. Die zunehmende Zahlder infrastruktur wie der Reisbauer von der Wasserleitung, öffentlicher
Protestwähler bricht zum ersten Mal das starre Parteiensystem auf. Raum, sein Leben, Stadt, Region wird in öffentliche Netze trans-
Dem zunehmend komplizierter werdenden Prozeß der Planung, formiert. „Telecommunications constitute the fundamental techno-
Lenkung und Steuerung des Staates steht eigentlich die Hilflosig- l0gy of the oncoming postindustrial city” (Meyer). Mensch und
keit der Volksvertreter und der schließlich gewaltige Protest gegen- Stadt drohen entgrenzt zu werden, bis hin zu einem Zustand von
über, den die Stadt nicht mehr binden kann. Die Gesetze werden „Placelessness” (Ralph). Diese ersten Überlegungen begründen
vorbereitet und geplant von der „Quadratur der Interessen von Forschungsaufgaben, die momentan auch an der TH Darmstadt
Großindustrie, Großfinanz, Großtechnik, Großforschung und von W. Christ und der Fachgruppe Stadt vorgenommen werden
Staat” (Meyer-Larsen). und auf die ich mich hier ausdrücklich beziehe.
Wie dem auch sei, ob nun dieses Großkartell herrscht oder nicht
— erkennbar ist, daß die neuen Netze selbst keine Richtung haben.
Sie öffnen aber auch Chancen in machtpolitischem Sinne, sowohl Stadt heute — Stadt-Zukunft
für die Zentralisierung von Information wie auch deren Dezentra- N . ; a 7 >
lisierung. Da aber durch die Geschichte der industriellen und poli- Die Gestalt der heutigen Stadt ist Ausdruck dieser sozialen, öko-
tischen Entwicklung der moderne Staat als zentralisierter Macht- NOomischen und politischen, vor allem technischen Wirklichkeit,
apparat erscheint, droht eher eine umfassende Steigerung der insbesondere letzteres. Die informationstechnische Entwicklung
Machtinformationsmonopole infolge der neuen Informationstech- wird auf die Stadt ganz besonders wirken, und zwar nicht zuletzt
nik, die heute bereits Europa mit USA vernetzt. Wer am Schalter deswegen, weil die Marketingzentralen der Computerindustrie
steht, wird die entscheidende Frage sein: nicht Technik entschei- Zwei neue Felder, die nicht telekommunikativ abgedeckt sind, als
det dies. sondern der Mensch. Und das ist eine politische Frage. Os Hauptaktivitäten, als Markt ausgespart haben (W
rist):
Wir Können heuE berehs drei Enpwicklanpen Erkennen: 1) die relativ begrenzte Informationszielgruppe von 10 bis 10 000
1. Die Macht und der Einfluß der Informationsmonopole kann zu- Teilnehmern, und diejenige Gruppe, die
nehmen. Es wird immer schwieriger zu kontrollieren sein, wer 2) stabile, längerfristige und gültige Information sucht.
Zugang zu den Datenbanken hat. Datenschutz wird wohl mit der 5. : n ; S
Computergeneration hinfällig: die neuen Rechner werden jedwede Die neue EDV-Vermittlungsfunktion trifft also auf den bislang te-
Information wie mit den Sinnen eines Menschen aufnehmen, als ge- lekommunikativ ausgesparten Stadtraum und Arbeitsplatz, und
sprochene Sprache, geschriebene Texte, gesehene Menschen oder ZWar ın seinen Einheiten, seinem Gestaltungsrepertoire und seinen
Bilder, ohne die Hilfe besonderer Codierungen (H. Herold). Da- Handlungsräumen. Und es ist zu erwarten, daß, so wie bislang in
mit wird nun denjenigen, die an der Macht sind, ob es die kapitali- ihrer Geschichte, auch die Stadt von morgen von dieser Umorgani-
stischen Schaltzentralen oder bürokratische Planungseliten oder Sation der Arbeitswelt bestimmt werden wird.
Militärdiktaturen sind, eine gefährliche Waffe in die Hand gege- Momentan antworten wir mit einem Rückgriff auf das Reper-
ben. Stadt hat dann keine Chance. Sie löst sich auf; ihre Form wird toire einer Methode und Gestaltung unter historisierender Anlei-
bloße Funktion, wird keine gedachte Ordnung mehr sein können, tung. Aber ob die Idyllisierung und das billig versetzte Zitat, ob
weil ihr die politische Gewalt fehlt; das Ästhetische degeneriert das neue Grün, der neue Sinn, Nostalgie oder Rationalität, ob
zum Spiel, zu Straßenfest oder Fassadenerneuerung. „rhetorische Gesten” ausreichen werden, die Zukunft der Stadt zu
2. Die neuen Informationsmonopole werden die ungleiche Ar- gestalten, ist fraglich. Ist dies nicht mehr als eine Atempause, die
beitsteilung der Welt noch verstärken: die arbeitsintensiven In- den Prozeß der Rationalisierung und der Verwissenschaftlichung
dustrien werden in die Billiglohnländer Südostasiens abwandern, von Lebenszusammenhängen nur noch beschleunigen wird? Die
die Industrienationen konkurrieren um das Know-how der neuen Kommandohöhen sind eigentlich schon besetzt: Die neuen Herren
Technologien (Andre Danzin). Die Peripherien bluten aus. sitzen auf dem alten Feldherrnhügel: IBM auf der Solitude in
3. Die zunehmende Größe der Anlagen wird sie immer anfälliger Stuttgart. Siemens in Nymphenburg. Die Zwillingstürme der
machen gegen technische Unfälle, Sabotage und Krieg. Damit Deutschen Bank in Frankfurt, die anderen Banken-, Verwaltungs-
wird die Frage Kontrolle, Sicherheit, Regelung — als politische Fra- Versicherungsgiganten: sind es nicht moderne Versionen der al-
ge — entscheidend, aber auch als Frage der inneren Bezüge, der ten Geschlechtertürme? Die City: ist sie nicht Kommandozentrale
Haushaltsbeziehungen von Natur und Mensch, von Raum, Charak- über den Umsatz von Gütern und Dienstleistungen, den interna-
ter und Heimat. tionalen Finanztransfer, die Produktion von Information und den
"Die Auswirkungen dieser neuen Informationstechnologien auf Arbeitsmarkt? Die City lebt nicht mehr von und eigentlich auch
das Individuum Mensch sind nicht vorhersehbar. Es gibt keine Un- nicht mehr in der Stadt. Die City mauert sich ab. Ihre einstigen Be-
tersuchungen über ihre Langzeitauswirkungen, nur erste Ansätze: wohner konnten es sich leisten, an den grünen Rand zu flüchten
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