Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

ohnknast, Betonknast: Wer kennt 
W ich die 1980/81 auf dem Höhe- 
punkt der Hausbesetzerbewegung in 
Amsterdam, Berlin und anderen Städten 
auf Häuserwände gesprühten Parolen, 
die die Eintönigkeit eilig hochgezogener 
Stadtrandgettos der Nachkriegsjahr- 
zehnte aufs Korn nehmen. Knast ist hier 
ein überspitztes Schlagwort, eine an- 
klagende Metapher. Mit dem Mittel der 
Übertreibung wird auf die Unzulänglich- 
keiten ’modernen’ Städtebaus hingewie- 
sen. Dabei geht es nicht wirklich um eine 
Gleichsetzung von Wohnung und Ge- 
fängnis. Daß niemand, der ’Wohnknast’ 
sprüht oder davon schreibt, um die Öde 
bestimmter NA zu brand- 
; marken, die tatsächliche Übereinstim- 
Wolfgang Voigt mung der Lebensbedingungen an diesen 
| . beiden Orten behauptet, bedarf keiner 
Erklärung. (Nur wer noch kein Gefäng- 
4 nis von innen gesehen hat, käme auf diese 
A R Idee.) 
” Für die ältesten Bewohner einer städti- 
schen Wohnanlage in Bremen, die aus 
der Zeit des dritten Reiches stammt, ist 
) ; Wohnknast keine abgelöste Metapher, 
sondern die reale, auf den einfachsten 
Die Siedlung Nenner gebrachte Beschreibung ihrer 
2 A e Siedlung im ursprünglichen Zustand. 
als panoptisches Gefängnis Die  Premischr Wohnungs fürsorsen- 
stalt wurde im Jahre 1936 auf einem 
abgelegenen, von Industrieflächen umge- 
benen Gelände als Wohnkolonie für 
'asoziale” Familien errichtet. 84 Ein- 
familienhäuser bildeten eine vo ge- 
schlossene Anlage unter ständiger Über- 
wachung, die nur mit Erlaubnis betreten 
oder verlassen werden durfte. Durch die 
Gestaltung der Kolonie und das den Be- 
wohnern zugedachte Schicksal ergibt 
sich der wohl- einmalige Fall einer 
Überschneidung zwischen dem öffent- 
lichen sozialen Wohnungsbau, in dessen 
Rahmen die Häuser gebaut wurden, und 
dem KZ-Svstem des Dritten Reiches. 
cn DE 
ichtfest in der 
Bremer oh Asozialen- Kolonie in Bremen: 
fürsorgeanstalt Durchlauf- und Auslesestation für den 
nicht angepaßten Rand der Gesellschaft 
rechte Seite: 
Strahlenplan Les Die in die Bremer Wohnungsfürsorge- 
Gefüngnnses bei anstalt eingewiesenen Familien mit über- 
Philadelphia 1821 wiegend arbeitslosen Vätern stammten 
aus der Klientel der Fürsorgeverwaltung. 
Für welchen Personenkreis die Anlage 
gedacht war, ist einem internen Vorgang 
.. mit der Überschrift ’Bremer Erziehungs- 
Bremens Wohnungsfürforgeanftalt zehn Mabahnen genen Asor 
9 le’ zu entnehmen, der in der zuständigen 
Erfte. für ganz Deutfchland vorbildliche Anlage — Fin Rundaana durch die Siedlung Behörde Anfang 1936 verfaßt wurde. 
Drei Jahre nach der Machtergreifung 
1933 wurde unter den von der Weltwirt- 
schaftskrise übriggebliebenen Arbeits- 
losen die noch unangepaßte Gruppe der 
’Asozialen’ ausgemacht: 
„Es sind dies jene Elemente, die bewußt oder unbewußt die 
Volksgemeinschaft ablehnen, jede Leistung von einem 
vorherigen Entgegenkommen des Staates abhängig 
machen und in ihren Forderungen maßlos und unver- 
schämt sind. Die Auswirkungen dieses krankhaften 
Ichlebens können sein: Arbeitsunwilligkeit, Arbeitsver- 
weigerung, Unterhaltsentziehung, Unwirtschaftlichkeit, 
Hemmungslosigkeit (verschiedener Art), Trinken, Betteln 
und Hausieren, sowie Störung jedes Gemeinschaftslebens 
oder Verwahrlosung der Kinder. Außerdem gehören 
hierzu die geistig nicht ganz Normalen und die aus 
Ännerster Überzeugung volksfeindlichen Elemente (anti-
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.