Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

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IBA-Berichtsjahr 1984! Mit einem @ Selbst der Stadtrand mit seinen 
beispiellosen Ausstellungszirkus Trabantenstädten und damit die 
wird mit der IBA Berlin weltweit Zukunft der Stadterneuerung wird 
präsentiert, propagiert, oft beschö- thematisiert. Der Raum „Stadter- 
nigt. Berlin ist wieder da! (Wahl- neuerungsgebiete der Zukunft” 
kampfparole von CDU-Bürgermei- scheint mir von der Problembear- 
ster Diepgen angesichts der Zer- beitung wie von der politischen und 
schlagung der Hausbesetzerszene) städtebaulichen Bedeutung her 
Doch noch lebt die städtische Oppo- einer der wichtigsten zu sein. Das 
sition, wenn auch geschrumpft. Die Innere des Lehmbaus im Zentrum 
ach so feierliche Eröffnungsveran- des Raums begeistert auch den kul- 
staltung zum IBA-Berichtsjahr in turbeflissenen Besucher: „Oh, 
der Philharmonie wird - trotz aller Georg, schau, hier ist ein echter Gia- 
Schwierigkeiten, die begehrten nu- cometti!” Die Hauptlosung des Rau- 
merierten Eintrittskarten zu bekom- mes: „Behutsamkeit - auch im Um- 
men - gestört, zerstört: Trillerpfei- gang mit der neuen Stadt” 
fen, Buhrufe, Pfiffe und aufmar- ® Der Blick in die Geschichte tolgt 
schierende Polizisten verfremden nicht den falschen Spuren der tra- 
die „dürren Reden” (M. Sack in der ditionellen Baugeschichte: Neue 
ZEIT) des Bausenators, des Bundes- Genossenschaftsmodelle werden 
bauministers, des regierenden Bür- mit alten konfrontiert. Auch der 
germeisters. „Jede IBA” so die Versuch einer hıstorıschen Darstel- 
scharfe Analyse Diepgens, „suchte lung der Berliner Stadterneuerung 
und fand Antworten auf Fragen, die wird gewagt. 
das Zusammenleben der Menschen Mit dieser dürren Aufzählung sind 
berühren. Und jede hinterließ auch die positiven Aspekte der Ausstel- 
En NEUN nde N EEE DC 0 En lung natürlich noch keineswegs 
Opposition: Transparente werden SISChOP: Tobi atisch (und p or 
entfaltet, Flugblätter flattern durch isch wenig sensibel) ist dagegen der 
1 Raum über die Stadterneuerung in 
den wohlgestalteten Raum. „Das Ost-Berlin. Die Periodisierung der 
spüren alle: Es geht aufwärts mit den Entwi cklun erscheint unv IE tän 
Mieten. CDU” (Richtigstellung einer nl 5 1 or 
) ; dig, die neueste Diskussion und Pra- 
CDU-Wahlkampfparole). Und wei- is (Friedrich P 
ter: „Es reicht! Schluß mit der Show! xis (Friedrichstraße, Platz der Aka- 
Behutsame Stadterneuerung und gemie) wird ht BE7SIEL 
Internationale Bauausstellung: Alte Andere wichtige Themen kom- 
Hüte! Instandsetzung ohne Mieter- men in der Ausstellung etwas zu 
höhung - alles Lüge!” (aus einem kurz: Stadterneuerung und Arbeits- 
Flugblatt der Bürgerinitiative SO 36) plätze, Stadterneuerung und techni- 
Nicht nur das IB A-Berichtsjahr, son- sche Infrastrukturen (diese beiden 
dern auch das Veranstaltungsgebäu- Themen sind externalisiert - in die 
de erhält so einen Merkzettel - ein Ausstellung „Kreuzberger Mi- 
historischer Moment für die Phil- schung”), Stadterneuerung und Ver- 
harmonie. Der einzige Versuch des schwendung (mir fiel nur ein Ko- 
offiziellen Programms, sich der heu- stenvergleich Instandsetzung / Mo- 
tigen Auseinandersetzung zu stel- dernisierung versus Abriß/Neubau 
len, ist das „musikalische Manifest auf), und überhaupt die strategi- 
für die Postmoderne” von W. D. schen Fragen: politische, städtebau- 
Schubert nach Texten Matthias liche U Ka str 
Koeppels: „Es ist soweit, die Mauern - tiven der Stadtpolitik, die Bestim- 
stürzen nieder. Die Knechte der IBA Berichtsher: bst 1984 mung der Gegner Me Verbündeten 
Wohnungsbaugesellschaften sind ; der behutsamen Stadterneuerung. 
am N nd Der Betonfraß machtes 117 Weihr auch ? Ausstel / UNZSMATI athon ; Auch der internationale Bezug ge- 
möglich. Der Betonfraß, der Beton- We d ? rinnt tendenziell zur Selbstdarstel- 
fraß setzt das Zeitmaß ..” Am Ende? ende ! lung der Stadtregierungen: So fehlt 
Am Ende, so fürchten viele, ist die bei Rotterdam etwa der Hinweis auf 
behutsame Stadterneuerung den unter dem Gesichtspunkt von 
Priorität und Verschwendung 
Durch und durch widersprüchlich: SE ER TEE SENT iß 
er berühmtesten holländischen 
ET R „Idee NER Gartenstadt (Stadterneuerung Vree- 
rgebnis. Die eparatur und Re- wijk) oder die Hilflosigkeit gegen- 
konstruktion der Stadt über den katastrophalen Verfallser- 
scheinungen des in der Stadtbauge- 
Nach der Philharmonie geht es in vor der „Konkurrenz” des IBA-Neu- der kurzen Zeit seit Schaffung der schichte hochgelobten Wohnblocks 
den Martin-Gropius-Bau: Die Aus- baubereichs. IBA unter wirklich ungünstigen se- von Michael Brinkmann (Stadter- 
stellung „Idee - Prozeß - Ergebnis” Sicher - der Stadterneuerungsteil natspolitischen Verhältnissen in _neuerung Spangen). 
wird eröffnet. Die große, zentrale ist ungleichgewichtig, hat Leer- und dem kaputtsanierten Kreuzberg Die interne Diskussion in der IBA 
Ausstellung der IBA ist ein Produkt Vollstellen, ist vielleicht hie und da erreicht wurde, ist beachtlich! und im Stadtteil um den Sinn der 
von turbulenten Vorläufen, wider- mit etwas zuviel Symbolismus über- @® Ökologische Stadterneuerung Ausstellung im Martin-Gropius- 
sprüchlichen Personalentscheidun- frachtet. Manchmal fehlt der not- wird nicht nur dem Auge nahege- Bau wird in der Ausstellung selbst 
gen, Kompetenzproblemen, Mittel. wendige Kommentar, manchmal ist bracht: Auf Granitsteinen steigt nur am Rande sichtbar: vor allem in 
kürzungen und -verschwendungen, er auch nur kaum zu lesen, da zu man über das den Raum erfrischen- der m. E. zu geringen Präsenz der 
Kooperationsschwierigkeiten, Dis- hoch oder zu niedrig angebracht. de, durch Pflanzen gegliederte Was- IBA-Projekte selbst, aber auch in 
kussionen innerhalb der IBA über Aber jenseits dieser Schönheitsfeh- ser, das allerdings inzwischen sehr der Kritik an einem Modell, das die 
Sinn und Unsinn so einer Großshow ler wird deutlich: Die IBA istein Po- schmutzig ist (jetzt wird wohl kaum Umnutzung des ehemaligen Park- 
jenseits des Arbeitsorts. litikum und hat wirklich etwas zusa- mehr einer - wie am Eröffnungs- _hauses hinter dem Kottbusser Tor 
Insbesondere der Ausstellungs- gen - und zwar nicht nur über ihre abend - auf die Idee kommen, seine zu einem Kinderhaus darstellt. So 
teil Stadterneuerung wird erst in eigenen Aktivitäten, die vielleicht nackten Füße ins Wasser zu strek- kritisieren die Projekte Schokofa- 
Angriff genommen, als es eigentlich sogar etwas zu kurz kommen. ken). brik und Regenbogenfabrik mit klei- 
schon längst zu spät ist: im Februar ® Behutsame Stadterneuerung -so ® Faszinierende neue Architektur nen Klebezetteln auf ihren eigenen 
dieses Jahres. Es ist das große Ver- wird gezeigt - ist nicht nur eine in alter Umgebung wird auch so- Exponaten die Kosten dieses Mo- 
dienst Bernhard Streckers, unter die- heute bei Politikern aller Couleur zial beleuchtet: Der Raum „Neues dells (10.000 DM), die sie besser vor 
sen finsteren Bedingungen noch beliebte Leerformel, sondern in Wohnen am Fraenkelufer”, eine ge- Ort verausgabt sähen. Damit ist die 
eine Ausstellung hingezaubert zu Kreuzberg lebendige Praxis, prakti- lungene Inszenierung des Büros _ungeplante Präsenz der Opposition 
haben, eine Ausstellung, die zwar sche Zusammenarbeit mit den Be- Baller, verschweigt‘ nicht - wie inder Ausstellung erschöpft (wenig- 
noch die Wunden des Vorlaufs zeigt, wohnern vor Ort. Wer die Verhält- üblich - die Sozialstruktur der Be- stens bisher). Der Rest ist integriert: 
die sich aber nicht zu verstecken nisse in anderen Renommierstädten wohner der dortigen Neubauten: So wird z. B. die Stadtteilzeitung 
braucht, nicht vor dem kritischen der europäischen Stadterneuerung vor allem Lehrer, Sozialberufler, „Südost Express” brav an einem 
Auge des Besuchers. erst recht nicht kennt. muß zugeben: Was bisherin Architekten (auch von der IBA) . Kiosk verkauft.
	        
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