Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

„Mit der Erklärung der „festlichen Stadt” Laura Patricia Spinadel 
zur Bühne durch Max Reinhardt und Hu- 
go von Hofmannsthal wurde Salzburg 
auch zum „Gesamtkunstwerk” erhoben. 
Das hatte, so irrational diese Gedanken 
zunächst sein mochten, nicht nur u 
starken Einfluß auf das Leben der Stadt, TIL, J } FF 
sondern auf die städtebauliche Entwick- WE BE RB 
lung, die mit einer Art von gespaltenem ; re 
Bewußtsein betrieben wurde. Einerseits FO RE L L E N W F G m 
existierte (wie Dietmar Steiner erstmals . 
in „Die Ware Landschaft” ausführte) ein SS 'A LZB U, RG 
Salzburg der Kunst, der Musik, der Fest- 
spiele, als in sich geschlossener und faszi- 
nierender Kern, andererseits gab es ein 
Salzburg, das dem Leben, der Entwik- 
klung, der Wirtschaft gerecht werden 
mußte. Von den ungleichen Schwestern iNE Organismus: den Gestaltungsbeirat. 
stand nur die erste im Licht der Offent- 3 Seine Position ist nicht nur die hr 
lichkeit. die zweite wurde vernach- CT } Idealisten, sondern auch eines Prakti- 
läßigt.”') R EDLUNG kers, womit er aber nicht nur die Kan 
Das heißt, daß Salzburg für denjenigen, Tg der fachlichen Welt, sondern die des 
der in ihre komplexe Realität eindringt . RR A CHTZIGER breiten Publikums entfachte. Voggen- 
- eine widersprüchliche Stadt ist. Die ZAHRE? huber wird als Diktator bezeichnet. Die 
erkennbaren Oppositionen zwischen . . darauf folgende Frage ist: Wie baut man 
Szenographie und Rahmen, zwischen kratie seinen Platz wieder erobern kön- eine Stadt? Wie verhindert man, daß die 
Fantasie und Wirklichkeit, zwischen nen, als Bauherr seiner Stadt? Bestrebungen nach Neugestaltung, Er- 
Traum und. Leben, zwischen Konsum Das was wir an Salzburg bewundern, neuerung, Humanisierung, Verschöne- 
und Subsistenz sind ihre Merkmale. die historische Altstadt, finden wir auf rung, nicht Utopien auf dem Papier 
Die Dialektik zwischen beiden Städten etwa vier Prozent der Gesamtfläche. bleiben? 
ist eine Tatsache und ist auch erforder- Von kleinen Gründerzeitvierteln und ‚Wenn Architektur, Städtebau oder 
lich. Nicht desto weniger läuft die ehemaligen Dorfkernen abgesehen, überhaupt die Gestaltung des Lebens- 
„Museums-Stadt” die Gefahr von ihrer entstand der Rest in den letzten Jahr- raums - sagt Friedrich Achleitner - ein 
Umwelt entstellt zu werden. Die Kom- zehnten. Die Häßlichkeit dieser Gebie- Faktor der öffentlichen Diskussion in 
promißlosigkeit mit der in den letzten te führte in den späten siebziger Jahren einer Stadt werden soll, dann bedarf es 
Dezenien gebaut wurde, kommt zum zu einem vehementen Widerstand der einer Einrichtung, die im üblichen Ent- 
Ausdruck in einem nicht strukturierten, Bevölkerung gegen das Bauen. Nicht scheidungs- und Genehmigungsverfah- 
agressiven und feindlichen Rahmen. wenige Projekte fielen dem hartnäcki- ren, zumindest für die bedeutenderen 
In Salzburg hat sich aber doch die gen Kampf von Anrainern und Bürger- Bauaufgaben, eine fachliche Position 
politische Szene geändert. Johannes initiativen zum Opfer. Zur „Befriedi- bezieht und dezidiert die Frage nach der 
Voggenhuber wurde als Stadtrat gewählt. gung” griff man zu ersten, recht primi- architektonischen und städtebaulichen 
Dieser junge Politiker hat sich vorge- tiven Gestaltungslinien. Hastig wurden Qualität stellt. Die von Voggenhuber ins 
nommen, die Sachlage neu aufzustel- aufgestülpt und Holzverschalungen an- Leben gerufene Einrichtung ist ein Ge- 
len. Die Verantwortung, die er gegen- geklebt. Die Folge waren explodierende staltungsbeirat, der einerseits beratende 
über der Stadt angenommen hat, seine Baukosten, unerschwingliche Mieten Funktion für die behördlichen und poli- 
Leidenschaft für die Architektur und und rapider Rückgang des Wohnungs- tischen Entscheidungen hat, anderer- 
die exekutiven Möglichkeiten die er für baus (trotz tausender Wohnungssu- seits für den planenden Architekten 
eine Wandlung hat, sind die großen chender). Die Befriedigung der Bürger einen unmittelbaren, natürlich Kriti- 
Chancen für Salzburg. mißlang. Die Krise wurde offenkundig schen Gesprächspartner abgibt. Dieser 
„Der Versuch - sagt Voggenhuber - und weitete sich ständig aus. Bauen, Gestaltungsbeirat hat eine überregio- 
unsere Demokratie in Frage zu stellen, Verkehr, Altstadterhaltung, Umwelt- nale Zusammensetzung (Friedrich Ach- 
könnte gut damit beginnen, aufzuzei- schutz und in all diesen Fragen die leitner, Otto Breicha, Gerhard Garste- 
gen, was wir aus unseren Städten ge- _Bürgerbestimmung, wurden die politi- nauer, Wilhelm Holzbauer, Gino Valle), 
macht haben. schen Themen. Eine breite öffentliche tagt alle zwei Monate und arbeitet 
War Demökratie in ihrem Ursprung Debatte entstand, die schließlich sogar ehrenamtlich, weil er der Meinung ist, 
nicht geradezu der Inbegriff höchster zu einschneidenden politischen Verän- daß eine Stadt wie Salzburg das Engage- 
städtischer Lebensform? Warenesnicht derungen führte”) ment für ein solches Experiment im- 
fast ausschließlich die Städte, die über Voggenhuber versucht mit seinen mer noch verdient. Die Existenz des 
die Jahrhunderte immer wieder die Warnungen nicht nur das öffentliche Gestaltungsbeirates ist für die Archi- 
Idee der Demokratie erneuert haben? Interesse für die eigene Stadt zu erwek- tekten Salzburgs auf jeden Fall eine 
Und das Bauen? - Waren Städtebau ken, sondern auch diejenigen, die die Herausforderung: für die ambitionier- 
und Architektur nicht seit jeher ele- Stadt bauen zu motivieren, die eigene ten zweifellos eine fachliche Hilfe im 
mentarer Ausdruck des Selbstverständ- Verantwortung zu übernehmen. Zwei- Genehmigungsverfahren, für die in 
nisses einer Stadt? fellos ist dieser „Don Quijote” des XX. kommerziellen Kategorien denkenden 
Was haben also die Gestaltungslosig- Jh. eine polemische Figur. Er glaubt das eher eine schwierige Hürde”) 
keit unserer Städte die Abwesenheit Recht zu haben den Architekten zu er- Man entschloß sich als erstes das Pro- 
jeglicher politischer Verantwortung für klären, daß die Gestaltung des öffent- jekt ‚Wohnbauvorhaben Forellenweg” 
Städtebau und Architektur, der asoziale lichen Raumes eine soziale Frage ist. mit diesem Arbeitsmodell zu verwirkli- 
Wohnbau der sechziger und siebziger Aber Voggenhuber gab sich mit die- chen. 
Jahre zu bedeuten, was die Einheits- ser mündlichen Warnung nicht zufrie- Die Internationale Bauausstellung 
grimasse neuer Stadtteile? Der Bürger, den. Er entschloß sich seine städtebau- IBA Berlin ’84/’87 hat mit ihrer neuen 
zum ‚Wohnungssuchenden” ohne je- lichen Bestrebungen durch verschie- Einstellung gegenüber der Architektur- 
den Gestaltungsanspruch herunterge- dene Projekte zu verwirklichen, und praxis und des angestrebten „Habitats” 
kommen, wird er sich in unserer Demo- schuf dafür als erstes einen speziellen eine entscheidende Rolle in der Archi- 
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