Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1984, Jg. 17, H. 73-78)

Rudolf zur Lippe 
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Grundsätzliche Argumente von Hugo Kükelhaus drängen immer 
zu selbst zu vollziehendem Erproben und Erfahren. Seine prakti- 
schen Vorschläge und Angebote sind immer Aufforderung zu 
Denkbewegungen, die begriffliche Raster auflösen, indem sie den 
Beziehungen zwischen Innen und Außen, Jetzt und Früher und 
Danach, Lasten und Sich-Aufrichten usw. nachgehen. Seine 
Grundsätze sind nicht zu haben, ohne daß wir sie leibhaftig mitvoll- 
ziehen, und keine Anschauung soll unser Bewußtsein unverändert 
lassen. Diese Einheit ist so unzeitgemäß, daß die Menschen im 
Betrieb, z. B. die meisten Architekten, an der Arbeit von Kükelhaus 
vorbeigegangen sind. 
Zugleich ist sie so zeitgemäß, daß fast jeder an irgendeinem 
Punkt spürt, wie wesentlich dieser Beitrag zu den unabweisbaren 
Fragen der gegenwärtigen Organisation des gesellschaftlichen 
Lebens eigentlich wäre. Das Werk haben seit der Weltausstellung 
in Seattle viele Menschen kennengelernt, die ihm im Bewußtsein 
ihrer Alltagsprobleme begegnet sind, und auch viele Fachleute, von 
denen Antworten gefordert sind in der „gebauten Umwelt”, im 
„erzieherischen Bereich” oder in therapeutischen und künstleri- 
schen Zusammenhängen. Ablehnung ist selten, Verweigerung und 
Berührungsangst sind schon häufiger zu beobachten. Trotzdem 
geht wohl kein Mensch durch die Stationen des „Erfahrungsfeldes”, 
nimmt wohl kein Leser die Einführungen in vertiefte und reflektier- Vor fünfzig Jahren und mehr sind seine ersten grundlegenden 
te Sinneserfahrungen zur Kenntnis, ohne bedeutende Anregungen Studien zum „Organbewußtsein” im Zahlendenken, im Bauen, in 
mitzunehmen. der alltäglichen Lebensgestaltung traditioneller Kulturen ver- 
Die einen bedienen sich dieses oder jenes Arguments; die ande- öffentlicht worden. Den Heutigen erscheint in damaligen Aufsät- 
ren freuen sich an einem Erlebnis, sind erschrocken, was man alles zen einiges bedenklich zeitgemäß zu der Zeit, als der Faschismus 
wissen kann zu den eingefahrenen Strategien der Gefährdung von Handwerkliches und Organisches zu Elementen seiner Ideologie 
Menschen und Natur. Manche kaufen ein hölzernes Spielzeug für machte. Wenn die Nazis an bestimmten Stellen aus den gleichen 
die Kinder. Kaum jemand folgt den Konsequenzen. In diesem Heft Quellen sich versorgten, so gruben sie einer reflektierten und 
nun wird der erste Versuch unternommen, der Berufsgruppe der |eidenschaftlich unideologischen Arbeit wie der von Kükelhaus 
Architekten und Städtebauer und für ihren Problemkreis die Arbeit aber damit das Wasser ab, statt es auf deren Mühlen zu leiten. 
von Hugo Kükelhaus als Aufforderung zur Konsequenz darzustel- (Genau dies hat Hugo Kükelhaus in die Gemeinschaft mit Mitglie- 
len - Konsequenz in vielen Richtungen und aus vielen unterschied- dern des Widerstandes geführt. 
lichen Ausgangssituationen. Er war immer zu nah an den Problemen der Zeit, um zeitgemäß 
Zwischen der Vorbereitung dieses Heftes und seinem Erschei- zu sein. Als ich ihn vor erst zwölf Jahren kennenlernte, wurde er mir 
nen ist Kükelhaus, im vergangenen Herbst, gestorben. Als über gerade dadurch zu einem meiner wichtigsten Mentoren. Er führte 
Achtzigjähriger, der die unermüdliche Fortsetzung seines Wirkens, mich ein in eine Argumentation für eine Menschlichkeit des 
Beginnens, Beratens. Ausarbeitens nur unterbrochen hat, um dem menschlichen Lebens, die der damals von uns entdeckten und ver- 
allen in der Vorbereitung auf seinen Tod eine besondere Gestalt zu tretenen Gesellschaftskritik völlig fern liegt: Die Naturwissenschaf- 
geben. ten vom Menschen wie z. B. die Embryologie. Gerade dort fanden 
Während der letzten zehn Jahre war der Widerhall auf seine und finden sich aber jene Beobachtungen und Überlegungen zur 
Aufforderungen breiter und lebhafter, als er ihn in den Jahrzehnten Sache, aus der Sache selbst, um die es geht, wie sie aller historischen 
einer vielfach auch blinden Wiederaufbauideologie gefunden hatte. Kritik erst ihre Grundlage geben. Ich habe mich seitdem vielfach als 
Er hinterläßt einen Kreis gerade von jungen Mitarbeitern und Weg- Übersetzer zwischen der gesellschaftlich-geschichtlichen Kritik 
gefährten, Interessierten und zu eigener Beteiligung Bereiten. Er und seinen Argumenten und Erprobungen gegen den „Lebensent- 
selber lebte in ihrem Zuhörerkreis mehr noch zu seinem ausgrei- zug” verstanden.* Die Übersetzeraufgaben werden noch lange 
fenden Unternehmungsgeist auf als in anderen. Dennoch suchte er nicht beendet sein, auch wenn „die neue Körperlichkeit” Anflüge 
die Mäzene und das Machtwort der Mächtigen zur Unterstützung von Verständnis und Interesse beiden Seiten gegenüber entwickelt. 
der guten Sache. Man hatte aber fast immer den Eindruck, daß die Freilich kann das immer nur eine Einführung sein. Dann müssen 
Menschen seiner Arbeit desto hilfloser begegneten, je mächtiger die Menschen aus den verschiedenen Bereichen selbst daran ge- 
sie waren. Er hörte zwar nie auf, ganz unberechnend allen seine hen, sich das ihnen ungewohnt Formulierte in die Modelle und die 
Einführungen, seine intensiven Überlegungen, seine Briefe zuteil Sprache ihrer Arbeit zu holen. Die Anschauung zeigt, daß die Ein- 
werden zu lassen, - Handschreiben von handwerklicher Beschei- heit der gedanklichen Argumente mit den zu erprobenden Erfah- 
denheit und patriarchischem Gönnerstolz zugleich. Doch seine rungen nicht nur unbequem sondern mindestens ebenso reizvoll 
Stimme wurde oft heftig vor Ungeduld. Man spürte, nach mehr als und belebend ist. 
einem halben Jahrhundert drängte es ihn, die Menschen endlich * Diese Arbeiten sind vor allem in dem Band „Entfaltung der Sinne” (Hugo Kükel- 
auch an der Arbeit zu sehen. haus/Rudolf z. Lippe, Fischer 1982) zusammengefaßt. 
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