sichtlich dient Kükelhaus da als Medium eines Bedürfnisses, das
sich selbst noch zu wenig kennt und deshalb die geplante Ambiva-
lenz der Kükelhaus’schen Rede braucht. Das Schwebende dieser
Rede erlaubt Brückenschläge und damit auch politische Bündnisse,
die die tatsächliche intellektuelle Arbeit der Alternativbewegung
noch keineswegs eingeholt hat. Aber das Schwebende, diese Schau-
kelstruktur, wird dabei nur als Zugang verbraucht, über den man
sich das von Kükelhaus holt, was man braucht und haben will.
Was ist das, was da zu holen ist?
Ich glaube, daß Kükelhaus es verstanden hat, sein Leben lang sei-
ne eigene Botschaft zu sabotieren. Im NS-Staat hat er es durch seine
Organisationstätigkeit sabotiert. In der Bundesrepublik hat er es sa-
botiert, indem er pädagogisch wurde und pädagogische Maschinen
baute. Auch da konnte er sich auf Tradition berufen., denn schon
Fröbel hatte gedacht, Herzensbildung mit den geometrischen Tei-
lungen eines Holzbaukastens beitreiben zu können, eine Illusion, Die fortschreitende Zerstörung der deutschen Natur- und Kultur-
die bereits auf Pestalozzi zurückgeht. Kükelhaus’ ganze Heilslehre landschaft durch die unkontrollierten Folgen der Industrialisierung
der Wahrnehmung mündete in nichts anderem als technischen ist eine Tatsache, kein Hirngespinst, Abhilfe dagegen ein dringen-
Vorkehrungen, wie man den Kindern in der Schule diejenigen sinn- des Erfordernis.
lichen Reibeflächen wieder verschaffen könnte, die die Schule aus Trotzdem kann es der Historiker nicht mit dieser einfachen Fest-
Prinzip, weil sie Schule ist, entzieht. Das ist ein bißchen wenig. Zu- stellung bewenden lassen sondern er möchte die besonderen Per-
mal das auch noch sein ganzer Beitrag zur Architektur ist. Abge- spektiven der Wahrnehmung eines Zerstörungsvorgangs und die
sehen davon, daß das in Wahrheit ein Beitrag gegen die Architektur charakteristischen Formen der Reaktion auf diese Wahrnehmung
ist, verrät es die Kinder so - im Namen der kindlichen Leiblichkeit - in ihrer historischen Besonderheit erfassen. Damit soll nicht die
an die Schule, wie Kükelhaus als Handwerksfunktionär die Hand- Zerstörung relativiert und bagatellisiert, sondern die spezifischen
werker - im Namen des Naturverhältnisses von Herz und Hand, Bedingungen des Widerstandes in ihrem geschichtlichen Kontext
von Holz und Geist - an die Kriegsproduktion des NS verraten hat- verständlicher gemacht werden. Es geht im folgenden nicht darum,
te. nn gegen „grüne” Politik einen pauschalen Ideologieverdacht auszu-
Aber umgekehrt kann nur der etwas verraten, der überhaupt sprechen, sondern den verborgenen Kraftquellen, aber auch den
etwas zu verraten hat. Und Kükelhaus hatte das, im doppelten Sin- latenten Gefährdungen einer solchen Bewegung nachzuspüren.
ne, als Geheimnis und als Opfer. Die Kükelhaus’sche Rede ist als Mit der parteipolitischen Formierung des ökologischen Protests
das, was sie sein will, als subjektlose Weisheit des Meisters, ganz aus in der Bundesrepublik in den Jahren 1977/78 hat „grünes”, d. h.
zweiter Hand, desto mehr, je eifriger sie das verschweigt. Da wird ökologisches Denken in Deutschland keinen Anfang genommen,
man besser gleich zu Heidegger und Gehlen gehen, da hat man die sondern eine seit der Romantik bestehende geistige und zuneh-
Originaltexte. Aber man muß den Kükelhaus hören, der sich in sei- mend auch politische Bewegung sich erneut kraftvoll manifestiert.
ner Geschwätzigkeit dann selber verrät: den Handwerker -, den ge- Kennzeichnend für diese Traditionslinie scheint insbesonders zu
wesenen Tischler und den nicht gewordenen, am Verrat seiner sein, daß sie einem alternativen Weltentwurf folgt, den man heute
selbst an die Mächtigen gescheiterten, Jakob Böhme. Was er als zusammengefaßt als „Ökopax” bezeichnet. Gemeint ist dabei die
Wahrnehmungstheoretiker dem Auge zuschreibt, das ist Welt und Anwendung ökologischen Gleichgewichts-Denkens auf ökonomi-
Weisheit handwerklicher Arbeit. Da wird es spannend, da treffen sche und soziale, außen- und innenpolitische Fragen, „die Neuge-
sich Kindheitsgeschichte und alternative Arbeit, Castaneda und staltung eines Lebens auf ökologischer Basis”, wie es im derzeitigen
Gestalttherapie. „Man sieht einen schwachleuchtenden Stern dann „Bundesprogramm” der „Grünen”” heißt. Diese „ökologische Poli-
am deutlichsten, wenn man im leichten Winkel daran vorbeiblickt, tik” bedeutet etwa auf dem Feld der Außenpolitik „gewaltfreie
- ins Gegenstandslose hinein, Diese Spanne, diese streifende Span- Politik,, „Friedenspolitik”, auf dem Felde der Natur die Erhaltung
ne zwischen dem Stern (wie jedem Gegenstand) und der Richtung oder Wiederherstellung einer biologisch intakten Umwelt durch
des Blicks ist die Bedingung des Sehens. Haftender Sinn erkennt Konservierung der natürlichen Lebensräume und die Verhinde-
nicht. Haftende Hand hält nicht. Die fühlende, formende, tastende, rung der weiteren Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten. Hier
streichelnde Hand hält. Der streifende, der schweifende Blick geht es nicht mehr um klassische sektorale Interessenpolitik, son-
sieht.” (Das Wort des Johannes, 9) Oder, 1938: „Ich glaube an die dern um eine Mission im Einsatz für die höchsten vorstellbaren
Magie der nicht um der Zuschauer willen geleisteten Arbeit. Ich gemeinsamen Güter, um die Menschheit buchstäblich vor dem
glaube, daß sie die Seele und das Rückgrat aller von Menschenhand Untergang zu bewahren. Eine solche umfassend verstandene
erzeugten Werte ist, insbesondere der des Handwerks. Ich glaube Heils-Politik ist keine Erfindung der „Grünen”. So rief etwa schon
aber auch, daß diese unsichtbare Arbeit nicht ohne Zeit geleistet der Landesvorstand der Württemberger Naturfreunde 1961 anläß-
werden kann; ich glaube, daß die Zeit Seele ist und Dauer und daß lich der Tagung des Hauptausschusses. der Naturfreunde-Inter-
wir nicht nur ein Volk ohne Raum, sondern schlimmer: eine nationale in Stuttgart zu einer Kundgebung unter dem Motto
Menschheit ohne Zeit sind und ... daß das anders werden muß. M6ö- „Schutz dem Menschen, Schutz der Natur” auf” Die Stirnwand des
gen alle keine Zeit haben: irgendwo müssen Inseln der Zeit sein!” Saales schmückte ein riesiges menschliches Gesicht, dessen eines
(Neues deutsches Handwerkertum, in: Form und Farbe. Amtliche Auge als Blumenstern gestaltet war - dem heutigen Symbol der
Zeitschrift des Reichsinnungsverbandes des Malerhandwerks. „grünen” Partei. Und mit der programmatischen Aussage „Schutz
1938, 16) dem Menschen - Schutz der Natur” war bereits das Programm von
Da ist es, was zu holen ist. Und zwar behutsam zu nehmen, nicht Okopax gemeint: Als erster Hauptredner sprach damals der expres-
zu erbeuten, nämlich dann, wenn man merkt, daß es die eigene sionistische Dramatiker Fritz von Unruh (Jahrgang 1885), Kleist-,
Sache ist. Da ist alles eine Frage der richtigen Übersetzung. Daß es Grillparzer-, Schiller- und Goethe-Preisträger, ehemaliger Garde-
heute richtig ankommt, z. B. bei den neuen Alternativhandwerkern offizier, den das Erlebnis des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten und
und -facharbeitern, da habe ich keine Sorge. Daß es auf anderen Gegner jeglicher staatlichen und insbesondere militärischen Auto-
Ebenen ankommt, wo es nicht das Wiederentdecken alter und rität gewandelt hatte. Würde mit dem Atomrüsten nicht Schluß ge-
internationaler Handwerksgrundsätze ist, ist schon schwerer zu ver- macht, so seine warnenden Worte, dann stünde uns der sichere
sprechen. Aber wo fast jeder, der damit zu tun bekommt, ohnehin Untergang bevor. Diesem beredten Verfechter des Weltfriedens
mit Zen, der Psychoanalyse, der Okologie usw. Übersetzungsver- und Vorkämpfers gegen den Atomkrieg trat mit einem weiteren
hältnisse ins eigene Leben hinein unterhält, trifft das Problem ja Appell der bekannte Schriftsteller Robert Jungk (u. a. Verfasser von
durchaus auf nicht gänzlich Ungeübte. Da heißt es, gut hinzuhören „Heller als tausend Sonnen” und „Der Atom-Staat”) mit einer
und das in der Tat Verlorene sich in die Zukunft zu übersetzen, Ansprache zur Seite, die in klassischer Weise moderne ökologische
ohne den eingebauten Verrat mitzuübersetzen. Politik formulierte: