Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architekten, Stadtplaner, Sozialarbeiter und kommunalpolitische Gruppen (1985, Jg. 18, H. 79-83)

Heinz Mohl 
BERICHT NACH EINEM GESPRACH MIT HEINZ MOHL ÜBER 
SEINE ENTWURFSWEISE VON MARC FESTER 
Gefragt nach der „Philosophie“ seiner Wohnungsgrundrisse kon- Mohl läßt alle Wände weg, die nicht unbedingt nötig sind, auch 
tert Heinz Mohl sofort: „Es geht nie um den Grundriß allein, son- aus Kostengründen, vor allem aber um ein Zuviel an funktioneller 
dern immer zugleich um den Schritt. Erst der Schritt zeigt die dritte Festlegung zu vermeiden, um niemandem vorzuschreiben, wie er 
Dimension, die dritte Abdeckung, die nach oben, zuder man heute leben bzw. sich einrichten soll. „Möglichst wenig Zwänge ein- 
wieder Dach sagt.“ Der „funktionalistische Grundriß“, der Flach- bauen“, lautet seine Devise. Nichts hält er andererseits von der 
dachhausgrundriß sei nur zweidimensional gedacht gewesen und Ideologie der Variabilität und Flexibilität. Das ist für ihn auch nur 
daher sehr viel leichter zu entwickeln als der eines Hauses mit Dach. eine der Ausreden, mittels derer sich Architekten vor ihrer Aufgabe 
Doch gerade die damit verbundene Beschränkung der Grundriß- zu drücken suchen - nämlich Architektur zu machen. Nicht not- 
möglichkeiten ist Mohl willkommen - willkommene Disziplinie- wendige Wände läßt er also weg, aber wenn schon, dann sollen es 
rung zur einfachen Form. Und das sind wohl Leitgedanken Mohl’- auch richtige Wände sein. Abgesehen von den hochinstallierten 
schen Entwerfens: (Selbst-) Beschränkung, nicht alles machen, was Räumen solldie Grundrißorganisation funktional mehrdeutig sein, 
man machen kann, Einfachheit, geometrische Disziplin. aber wohldefinierte Räume anbieten - organisiert durch eine ein- 
Hinzukommt ein anderer Kritikpunkt an der funktionalistischen fache, aber alles durchdringende Geometrie. Man könnte fragen, 
Entwurfsweise: der stadträumliche Aspekt: „Da wurden doch nur was denn anderes übrig bleibe als die Geometrie der Raumorgani- 
Solitäre entworfen, außerhalb jedes vorgegebenen Kontexts. Kein sation, wenn funktionale Gesichtspunkte so weitgehend relativiert 
Mensch hat sich um das Gegenüber, ums Stadträumliche geküm- werden. Für Mohl aber ist die Geometrie - und „Geometrie“ heißt 
mert. Mohl zieht aus dieser Kritik die Schlußfolgerung, daß eine für ihn immer schon die konstruktiv durchgebildete Raumorganisa- 
Entwurfsweise, will sie auf den jeweiligen Ort eingehen, polyg/ott tion einschließlich Dach - alles andere als eine Residualkategorie. 
oder vielzüngig sein muß. Nur dann kann sie so etwas wie ortsspezi- Er mißt ihr geradezu auratische Bedeutung zu: „Die Geometrie ist 
fische Architektur hervorbringen. Die Abkehr von der funktionali- der Träger der über das (Zweck-) Rationale hinausgehenden Bot- 
stischen Entwurfsweise führt Mohl dazu, „neutralere Räume zu schaften.“ Und das unterscheide Architektur vom bloßen Bauen: 
machen, in denen viele verschiedene Funktionsabläufe stattfinden „Architektur fängt erst dort an, wo das bloß Rationale aufhört.“ Ent- 
können.“ Sogenannte „Schlafzimmer“ und „Kinderzimmer“ etwa sprechend nennt Mohl seine Entwurfsweise augenzwinkernd, aber 
werden von der Größe her nicht mehr unterschieden, nurangemes- ernst, „transzendentalen Rationalismus“ Im Gespräch bleiben hier 
sen groß sollen sie sein (ca. 4,0 x 4,0 m). Auch bleibt es den Bewoh- einige Fragen offen: 
nern überlassen, ob sie lieber nach Osten oder Westen schlafen, ® was ist der Inhalt der Botschaft? 
wohnen, spielen usw. wollen. Wert legt er aber darauf, daß es wenig- ® wer spricht? der Architekt selbst? oder ist er nur Medium? 
stens einen großen, einen „heeren“ Raum gibt, den Hauptraum wessen? 
oder Familienraum - selbst im Falle einer Wohnanlage wie der in ® kann die Sprache der Botschaft noch verstanden werden? gibt es 
Grünwettersbach, welche im Rahmen des „kosten- und flächenspa- noch eine allgemein verständliche Sprache? wer hört zu? 
renden Bauens errichtet werden Sol, Mohl verbietet seinen Studenten in eben dem Material zu entwer- 
fen, mit dem er seine eigenen Bauten meist konstuiert: Stahlbeton. 
Einst waren es die baukonstruktiven Vorgänge des Fügens, welche 
die Bauformen hervorgebracht haben. Anders als Holz oder Ziegel 
weist Stahlbeton jedoch keine Eigengesetzlichkeit beim Fügen auf. 
Er führe zu keiner Form, sondern im Gegenteil zu Formlosigkeit 
und Willkür: „Das schlimme ist in unserer Zeit, daß wir ja alles ma- 
chen können.“ Dagegen setzt Mohl die disziplinierende Kraft der 
(einfachen) Geometie: man darf eben nicht alles machen, was man 
machen kann. Andererseits: eben weil alles konstruktiv machbar 
ist, seien vertraute, einst konstruktiv begründete geometrische Bau- 
formen, wie etwa Rundbögen, kein Verbrechen, auch wenn sie heu- 
te nicht mehr konstruktiv ableitbar sind. Trotz der möglichen kon- 
struktiven Freiheit will Mohl nahe bei den Formen bleiben, die 
einst durch Fügen bedingt waren. Erinnerung soll bleiben. „Man 
soll Geschichte nicht wegwerfen.“ Formalistische Freiheiten sind 
ihm ein Greuel. Formen dürfen sich nicht verselbständigen, eben- 
sowenig wie die anderen Aspekte des Bauen: „Keine Sonderge- 
wichtung eines Teilaspekts“ ist Mohls Lehrsatz, gleich ob es sich um 
® den gestalterischen, 
3 den funktional-organisatorischen, 
® den konstruktiven 
® oder auch den partizipatorischen Aspekt handelt. Alle Aspekte 
zusammen sollen wie Bausteine gleichwertig ineinandergreifen; sie 
müssen wie Bausteine zusammengefügt werden. 
Heinz Mohl 
Geb. 1931; Studium an der TH Karlsruhe; seit 1974 Professor für 
Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, 
Stuttgart 
46
	        
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