GRUNDRISSKRITIK .
Gunhild Riemann
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Jugendliche am Ausgang/Eltern in Individualräumen Alleinstehende(r) mit 3 Kindern
So könnte eine familiengerechte Neubauwohnung aussehen. Im Zen- Herd zu Tisch. Da zusätzlich eine „Stube” vorhanden ist, muß nicht so
trum der Wohnung liegt ein großer Allraum. Hier wird gegessen, ge- penibel auf Ordnung und Erhalt empfindlicher Möbel geachtet werden.
spielt, gebastelt, geredet. Die Küche als Bestandteil des Allraums er- Die Kinderzimmer sind mit einer Schiebetür verbunden, so daß sie ge-
leichtert die Beaufsichtigung der Kinder und beiläufige Gespräche von meinsam (Kleinkinder) oder getrennt (ältere Kinder) benutzt werden
können.
Die Architektur-Diskussion ist nach langen Jahren der Orientie- Der Gemeinschaftsbereich muß für Eltern und Kinder nutzbar sein.
rung an der Quantität wieder in Gang gekommen: die Gestaltung Kleine Kinder spielen am liebsten in der Nähe der Erwachsenen,
des Stadtraums wie der Einzelhaus-Fassade ist wieder ins Blickfeld weil sie deren Aufmerksamkeit und Bestätigung suchen, an deren
gerückt. Hinter den Fassaden breitet sich der private Raum aus,an Leben teilnehmen wollen. In der üblichen Neubauwohnung ist das
dem die öffentliche Diskussion keinen Anteil nimmt. Mit den Feh- schwer möglich, weil weder Küche noch Wohnzimmer zum Spielen
lern der Grundrißorganisation muß sich jeder selbst arrangieren - geeignet sind. Der Gemeinschaftsbereich - Küche, Eßplatz, Wohn-
und tut es auch, denn bei der Auswahl der Wohnung stehen meist zimmer - sollte deshalb neu organisiert und aufgeteilt werden in
ökonomische Kriterien im Vordergrund. ® einen „Allraum” mit Eßplatz und zusätzlicher Spielfläche in di-
Auch heute noch besteht wie vor 30 Jahren die Normalwohnung rekter Verbindung mit der Küche und
im wesentlichen aus großem Wohnzimmer, gefolgt vom kleineren @ eine „Stube”, die dem bisherigen Wohnzimmer entspricht, aber
Elternschlafzimmer und vom noch kleineren Kinderzimmer. Die wegen der Vergrößerung des Eßplatzes zum Allraum etwas kleiner
Küche wird schon als Nebenraum behandelt. Die Aufteilung in ausfällt.
Wohn- und Schlafbereich gilt als Grundregel des funktionalen Die Stube übernimmt die Funktion eines Elternbereichs und Fern-
Wohnungsgrundrisses. Diese mittlerweile traditionellen Gestal- sehraums, während der Allraum in Verbindung mit der Küche zum
tungsregeln werden von einer Architektengeneration an die näch- kommunikativen Zentrum der Familie wird. Die zusätzliche Spiel-
ste weitergegeben, von Förderungsrichtlinien und DIN-Normen fläche im Allraum macht die Teilnahme spielender Kinder am tägli-
festgeschrieben. Diese Grundrißorganisation geht von einem Ver- chen Leben der Eltern möglich. Gespräche und gegenseitige Hilfe-
ständnis von Familienleben und Kindererziehung aus, das heute stellung, Anteilnahme am Spiel der Kinder und Lernen durch Mit-
nicht mehr als allgemeingültig, geschweige denn als tragfähig über machen ergeben sich von selbst. Gemeinsame Gespräche oder
die Lebensdauer eines Wohnhauses angesehen werden kann. Spiele sind möglich, während in der Stube der Fernseher läuft oder
® Das Zusammenleben der Familie hat sich mit dem Vordringen ein Elternteil öffiziellen Besuch empfängt. Darüber hinaus steht
der neuen Medien und mit zunehmender Tätigkeit außer Haus für mit der Spielfläche eine Flächenreserve zur Verfügung, so daß z. B.
alle Familienmitglieder verändert. Besuch zum Essen problemlos untergebracht werden kann oder
® Die Zahl alleinstehender Elternteile nimmt weiter zu, gleichzei- auch Platz für eine Bastelecke ist. Weil der Allraum mit der Küche
tig bilden sich auch neue Formen von Wohngemeinschaften. verbunden ist und die Stube den Eltern frei zur Verfügung steht,
® Der Umgang mit den Kindern hat sich verändert, ihre Bedürfnis- können die Ansprüche an Mobiliar und Ordnung im Allraum ge-
se werden von den Erwachsenen stärker akzeptiert. ring gehalten werden.
Daraus ergeben sich Anforderungen an familiengerechte Wohnun- Der Allraum als Zentrum ist nicht zu verwechseln mit der zentra-
gen, die mit den bisherigen Standardlösungen nicht zu erfüllen len „Wohnhalle”, die zur Zeit wieder in Mode gekommen ist. Dort
sind: kommen nämlich nur wieder entweder Kinder oder Eltern zu ihrem