Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

in der Regel werden uns Raum- 
konzepte nicht bewußt; ich 
móchte behaupten, daB nicht 
einmal diejenigen. die als Planer 
und Architekten die Raumkon- 
zepte erfinden und durchsetzen, 
sich darüber Klarheit verschaf- 
fen, daB sich die Vielzahl ihrer 
Planungsentwürfe zueinem Kon- 
zept verdichtet und als Konzept 
die gesellschaftliche Wirklichkeit 
konstruiert. Ich stelle die These 
auf. daB das Raumkonzept, das 
die letzten 30 Jahre die Entwick- 
lung in der Bundesrepublik (aber 
nicht nur hier) bestimmt hat, zu- 
nehmend in die Krise gerát und 
dies in Zusammenhang mit einer 
grundlegenden Veränderung der 
gesellschaftlichen Verhältnisse 
zu sehen ist. Mit der Landung der 
Alliierten in der Normandie und 
der in den folgenden Jahren zu- 
nehmenden Amerikanisierung 
Europas und damit auch der 
Bundesrepublik entfaltete sich 
ein System industrieller Arbeit 
und Reproduktion, das durchaus 
neuartig war. Eine Anzahl von 
Theoretikern nennen diese Pha- 
se, die in den 50er und 60er Jah- 
ren ihren Höhepunkt erlebte, 
Fordismus. Der Fordismus ist 
zum einen durch eine verfeinerte 
Arbeitsteilung in der Produk- 
tion, eine intensive Kontrolle der 
Arbeitsabläufe und das heißt der 
Arbeitskräfte gekennzeichnet. 
Auf der anderen Seite stehen als 
Kompensation steigende Mas- 
seneinkommen, Massenkonsum 
und organisierte Freizeit. Die ge- 
sellschaftliche Form der Zeit, das 
Zeitregime ändert sich für viele 
grundlegend. Waren vor dem 
Uberlagerungen von Arbeit und 
Freizeit, Konsum und Haushalts- 
produktion kennzeichnend, so er- 
folgt im Fordismus die strikte 
Trennung der Funktionsabláufe. 
Der fordistischen Regulation 
entspricht, so unsere Hypothese. 
ein Raumkonzept, das auf einer 
notgedrungen abstrakten Ebene 
als Zonierung bezeichnet werden 
kann. Der Fordismus ist zum ei- 
nen ein System der Rationalisie- 
rung der Produktion über eine 
extreme Verfeinerung der Ar- 
beitsteilung und eine funktionale 
Integration der arbeitsteiligen 
Handlungen. | Raumeinheiten, 
Zeiteinheiten und Handlungs- 
moleküle werden auf ein von au- 
Den gesteuertes Zielsystem hin 
koordiniert. Zum anderen wird 
die Reproduktion in zunehmen- 
dem Mae vermarktet. Vorkapi- 
talistische Formen der Repro- 
duktion werden in kapitalistische 
umgewandelt, die tágliche Ver- 
sorgung zunehmend weniger 
durch Haushaltsproduktion. im- 
mer mehr durch den Markt ge- 
währleistet. Die funktionale Zo- 
nierung des Raumes entspricht 
sowohl dem Prinzip der verfei- 
nerten Arbeitsteilung als auch 
der zunehmenden Vermarktung 
der Reproduktion. Zugleich eig- 
net sich diese Form der Raum- 
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Raumkonzepte 
nutzung für eine schrittweise 
Vergesellschaftung des Raumes 
im Sinne einer kapitalistischen 
„Inwertsetzung“. Die Moderni- 
sierung verläuft „Stück für 
Stück“ und zergliedert dement- 
sprechend die mögliche Gegen- 
bewegung der betroffenen sozia- 
len Gruppen. 
In den Städten äußerte sich die 
Zonierung zunächst im städte- 
baulichen Funktionalismus. Die 
Lebensfunktionen der Bewoh- 
ner werden räumlich zoniert: Ar- 
beiten und Wohnen, Einkaufen 
und Erholung finden an jeweils 
getrennten Orten statt. [ntegriert 
werden die Funktionsbereiche 
vornehmlich über den Individu- 
alverkehr (das Auto ist nicht nui 
Ausgangspunkt, sondern auch 
Kernprodukt des Fordismus) 
Mittelbar âuBert sich die Zonie- 
rung in umfassenden Moderni- 
sierungsprogrammen, die einer- 
seits bestimmten Funktionen zur 
Durchsetzung verhelfen sollen — 
Ausweitung von Geschäfts- und 
Bürovierteln, — zum anderen so- 
zialen Umsetzungen dienten. 
Die Dynamik dieser Gentrifizie- 
rung kann sich durch öffentliche 
Programme ergeben oder durch 
eine Liberalisierung des Woh- 
nungsmarktes hergestellt wer- 
den. In einigen Fällen, wie bei 
der Ausweitung der steuerlichen 
Abschreibung (erhöhte Ab- 
schreibung nach 7 b) greift der 
Staat im Sinne eines Anreizsy- 
stems ein, um die Marktdynamik 
zu erhöhen. Das Ergebnis ist 
nicht nur eine Veränderung der 
räumlichen Verteilung sozialer 
Gruppen im städtischen Raum. 
Ökonomisch werden Nutzungen 
und Nutzergruppen einer Allo- 
kation unterzogen, die eine opti- 
male Entfaltung jeweils benach- 
barter Nutzungen ermóglicht. 
Ein Büroviertel und ein Wohn- 
quartier von Arbeitsemigranten 
stören sich, da diese Nachbar. 
schaft nicht nur die funktionale, 
sondern auch die soziale Un- 
gleichheit thematisiert. Soziolo- 
gisch werden gewachsene Netze 
nicht-ókonomischer Austausch- 
beziehungen zerschlagen. Die 
Erhöhung der Grundrenten läßt 
den Sektor der handwerklichen 
Produktion für die Reproduk- 
tion verschwinden. Das Ergebnis 
ist wiederum eine erhöhte 
Marktintegration. Auf dem 
Land äußert sich das Prinzip der 
Zonierung eindrücklich im land- 
wirtschaftlichen Bereich. Die 
verstärkte Einbeziehung der 
Landwirtschaft in ein staatlich re- 
guliertes Marktsystem führt ja 
nicht nur zur Verdichtung zahl- 
reicher bäuerlicher Existenzen, 
sondern zwingt die verbleiben- 
den Bauern zur ökonomisch aus- 
gerichteten Bewirtschaftung. 
Der Hebel der Okonomisierung 
war die Mechanisierung, die als 
Arbeitserleichterung leicht ak- 
zeptiert werden konnte. Stellt 
man jedoch von Pferden als Zug- 
tier auf den Traktor um, so muß 
über die Art der eingesetzten 
Maschine entschieden werden. 
Ein Schlepper für Ackerfrucht ist 
mit einem für Obst- und Weinbau 
nicht zu vergleichen. Überall, wo 
die Boden- und Klimabeschaf- 
fenheit den Anbau einer be- 
stimmten Marktfrucht nahe legt, 
läßt sich eine vielseitige Bewirt- 
schaftung schon unter dem Ge- 
sichtspunkt des Kapitaleinsatzes 
nicht mehr länger halten. Da der 
Einsatz von Kunstdünger und 
Herbiziden zudem untaugliches 
Land „tauglich“ macht, ist in die- 
sen Fällen der Zug zur Monokul- 
tur nicht mehr aufzuhalten. Hin- 
zu kommt die interne Arbeitsor- 
ganisation. Der Landwirt kann 
nicht mehr jedem Vieh nachlau- 
fen. Hat man sich für die Schwei 
nemast entschieden, haben Hüh- 
ner keinen ókonomischen Raum 
mehr. Die Monokultur ist wohl 
die strikteste Anwendung des 
Prinzips der Zonierung. Neben 
der Hand leistet sie auch die Ein- 
beziehung der Reproduktion in 
den Markt. Selbstversorgung 
macht keinen ökonomischen 
Sinn mehr. In vielen Gebieten ist 
es jedoch soweit nicht gekom- 
men. Gerade in den Mittelgebir- 
gen. in denen keine Nutzung so 
effizient ist, daf sich eine Mono- 
kultur anbieten würde, entwik- 
kelte sich eine duale Okonomie 
des Bodens. Ein Teil wird zum 
Eigenverbrauch und zum einfa- 
chen Tausch bewirtschaftet, ein 
anderer Teil ist in den Agrar- 
markt integriert. Der Marktbe- 
zug der Reproduktion zielt in die- 
sen Fällen nicht auf die Konsum- 
tion, sondern die Investition. Um 
bei knappen Arbeitskräften eine 
ausgefächerte Haushaltsproduk- 
tion leisten zu können, wird diese 
rationalisiert. Wasch- und Spül- 
maschine. Kühlschränke und 
Tiefkühler, schließlich der elek- 
trische Mixer, Büchsenöffner 
und Brotschneider werden als In- 
vestitionsgüter angeschafft. 
Da immer weniger Arbeits- 
kräfte in der Landwirtschaft ein 
Auskommen finden und zudem 
das dörfliche Handwerk nicht 
mehr konkurrenzfähig ist, ent- 
wickelt sich auf dem Land zuneh- 
mend die gleiche Trennung von 
Arbeit, Wohnen und Konsum 
wie in der Stadt. Das Land gleicht 
einer räumlich gestreckten Stadt, 
häufig ist dabei der notwendige 
Zeitaufwand um von der Woh- 
nung zur „Arbeit zu kommen 
nicht größer als in der Stadt, so 
daß sich das Zeitregime von Stadt 
und Land angleichen. Die Zonie- 
rung leistet so auch ihren Beitrag 
zur Kodifizierung der Lebens- 
welten, jener Gleichartigkeit der 
Lebensverhältnisse, die den ei- 
gentlichen Sinn der Bundes- 
raumpolitik ausmacht. Da der 
Fordismus ökonomisch auf Mas- 
senproduktion setzt, seine Effi- 
zienz die der großen Zahl ist, ist 
die Kodifizierung ein notwendi- 
ges Element. 
Die Zonierung kennzeichnet 
jedoch nicht nur die Raumnut- 
zung in ihren jeweiligen Binnen- 
verhältnissen, sondern setzt auch 
Räume zueinander in Bezie- 
hung. Die Ausweisung von Vor- 
ranggebieten, solche für Land- 
wirtschaft, andere als ókologi- 
sche Ausgleichsfláche, dritte zur 
Erholung, erweist sich als ein 
plausibles grofiráumiges Ord- 
nungsschema, stellt man die for- 
distische Massenproduktion in 
den Mittelpunkt der Landnut- 
zung. Da die Menge der Produk- 
te den Gewinn ausmacht, ist die 
groBe Fabrik die notwendige Ar- 
chitektur. Die vielen Menschen, 
die in diesen Fabriken arbeiten, 
die Zulieferbetriebe, die markt- 
fórmige Versorgung dieser Men- 
schen, all dies sind Faktoren der 
Agglomeration, die sich dann 
nicht mehr aus sich selber versor- 
gen kann, ihre Resourcenproble- 
me zur Kostenminimierung auf 
das Land übertrágt und auch kei- 
ne geeigneten Flächen zur Erho- 
lung aufzuweisen hat. 
Zunehmend werden Begren- 
zungen und Probleme des Raum- 
konzeptes Zonierung deutlich. 
Im ländlichen Bereich ziehen die 
Monokulturen nachhaltige Pro- 
bleme für Boden und Grundwas- 
ser nach sich, die Qualität der Le- 
bensmittel leidet unter dem Ein- 
satz von Herbiziden und Kunst- 
dünger. Fraglich wird auch die 
Ausweisung von Naturschutzge- 
bieten und Biotopen, um in den 
angrenzenden Flächen dann um 
so intensiver zu wirtschaften und 
damit die Landvernutzung vor- 
anzutreiben. Auf der Ebene der 
Raumplanung erhebt sich an vie- 
len Orten Widerstand gegen die 
Ausweisung von Vorranggebie- 
ten. In ökologischen Ausgleichs- 
flächen und Schwerpunktgebie: 
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