Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

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Die letzten Arbeiten 
von Mart Stam 
Zwei unbekannte Häuser in der Schweiz 
Mart Stam, November 198: 
Er ist nicht unter seinem Archi- 
‘ektennamen begraben: die 
Grabinschrift lautet: ,,1899 Mar- 
tin Stam-Heller 1986“. Ein einfa- 
ches Holzkreuz mit dieser In- 
schrift weist auf seine letzte Ru- 
hestätte auf dem Zürcher Fried- 
hof Enzenbühl hin. Zwanzig Jah- 
re lang lebte er mit seiner Frau 
„igendwo in der Schweiz“, wie 
las offene Ende einer Biografie 
m BOUWKUNDIG WEEK- 
BLAD von 1969 bemerkt. Stam 
lóste sein Büro in Holland 1966 
auf, zog sich aus dem gesell- 
schaftlichen Leben zurück und 
'ebte seitdem in der Schweiz un- 
ter verschiedenen Decknamen. 
Es schien darum auch gerecht- 
fertigt, daB jene Zeitschrift 1969 
das Resumee aus einem Werk 
zog, von dem angenommen wur- 
de, mit einem Wohnhaus in Hier- 
den aus dem Jahre 1965 abge- 
schlossen zu sein, einem Haus, 
dessen Veröffentlichung nie die 
enorme internationale Verbrei- 
‚ung fand, wie die Fotos der 
Wohnungen, die Stam damals, 
1927, für die Werkbund--Sied- 
ung in Stuttgart baute. Das Haus 
in Hierden war nicht einmal an- 
ders über die Grenze gelangt. als 
Nachdem Mart Stam in den 60er 
Jahren Holland verlassen hatte, 
um in dieSchweiz zu übersiedeln, 
baute er 1966 für seine Frau und 
sich ein Haus im Tessin, das sie 
wáhrenddrei Jahren bewohnten. 
Auf dem ansteigenden, terras- 
sierten Grundstück erhebt sich 
die zweigeschossige Villa, sorg- 
sam in die Landschaft eingebet- 
let. Ein Kiesweg verläuft von der 
Straße her parallel zur nórdli- 
chen Grenze der Parzelle und 
biegt im obersten Teil der Gar- 
lenanlage ab, um direkt zum 
Hauseingang zu führen. Es ist 
wichtig, zu betonen, daB der 
Kiesweg stufenlos angelegt ist, 
denn dadurch verstärkt sich die 
Dynamik, die sich im Innern des 
Hauses fortsetzt.” Die schrägge- 
stellte Mauer des nordwärts gele- 
genen Eckzimmers nimmt die 
Bewegung des Weges auf. Diese 
Bewegung findet in der schwung- 
im Format eines Kontaktabzugs 
in der englischen Übersetzung 
derselben BOUWKUNDIG 
WEEKBLAD-Ausgabe. 
Es ist auch „gewöhnlich“ ge- 
nug, um unbekannt zu bleiben. 
Das „Gewöhnliche“ war ja ein 
Entwurfskriterium von Stam; 
Einfachheit bedeutete eine Her- 
ausforderung, etwas woraus er 
als junger Architekt eine neue 
Art von Entwurfsfreude zog, und 
das auch die elegante Form sei- 
nes bekannten Stahirohrstuhls 
voller Überzeugung ausstrahlt. 
Diese Freude schien bei seinem 
letzten Entwurf in Holland verlo- 
ren. 
Daß Stam ein Jahr später, im 
Entwurf eines Hauses für sich 
und seine Frau, zu einer ganz an- 
deren Art von Architektur über- 
ging, war bis heute unbekannt ge- 
blieben. Simone Rümmele, eine 
Kunstgeschichtsstudentin, fällt 
die Ehre zu, dieses Haus ent- 
deckt zu haben. Simone Rümme- 
le besuchte das Haus nach Mart 
Stams Tod, ebenso wie ein zwei- 
tes, das er 1969 entworfen haben 
soll. Ihre Beschreibung beider 
Háuser macht uns beinahe glau- 
ben. daß Stam 1966 in die FuB- 
stapfen einer jüngeren Genera- 
tion von Architekten trat, die — 
wie Aldo van Eyck — den Eingang 
einer Wohnung beispielsweise 
bildhaft formten in der Vielfältig- 
keit eines , Ubergangsraumes“, 
und nicht die pure und nackte 
Einfachheit einer Zwei-Meter- 
Tür (cin Standard Mart Stams) 
suchten. 
Vorlaufig bleibt die Frage un- 
beantwortet, ob sich Stams Häu- 
ser in der Schweiz nahtlos, oder 
etwa in Form eines Appendix, an 
sein bekanntes (Euvre hinzufü- 
gen lassen, man beachte vor al- 
lem die unerwarteten Verände- 
rungen der „Mart-Stam-For- 
mel", die sich in diesen beiden 
Háusern zeigt. Zwei Aspekte, 
die Simone Rümmele in ihrem 
Artikel anführt, müßten näher 
untersucht werden. — Einmal 
könnte die tiefgreifende Anpas- 
sung an die örtliche schweizeri- 
sche Architektur in Verbindung 
gebracht werden mit Stams 
Rückzug aus dem öffentlichen 
Leben: Er wünschte nicht länger 
als holländischer Funktionalist 
auf der Straße erkannt zu wer- 
den. 
Eine andere Veränderung, die 
Haus in Arcegno, Tessin 1966 
Mart Stam. Skizze für ein Wohnhaus in Prag. 19° 
Foto: Simone Rümmele 
labyrinthische Form des Grund- 
risses, hängt offensichtlich mit 
dem Bedürfnis nach auffällig viel 
Abstellraum zusammen, im er- 
sten Haus vor allem für Archiv- 
material. Vorsichtig könnte man 
schließen, daß Stams frühere 
Wohnungsgrundrisse ein derarti- 
ges Problem nicht kannten, 
ebensowenig wie den Rückzug in 
die freiwillige Anonymität. Alles 
in allem steht hier eine interes- 
sante Erscheinung zur Diskus- 
sion, nämlich eine Architektur, 
die sich nicht deckt mit früheren 
Arbeiten, weder für Stam und 
seine Frau noch in den Augen an- 
derer. Frau Rümmeles Beitrag 
sammelt viel Material, um derar- 
tigen Fragen im Zusammenhang 
mit einer umfassenden Biogra- 
phie weiter nachzugehen. Solan- 
ge wir hierauf noch warten müs- 
sen, werden wir die beiden nach- 
stehenden Häuser als ein aus 
zwei Arbeiten bestehendes Werk 
eines Martin Stam-Heller behan- 
deln. 
Jos Bosman 
Übersetzung aus dem Niederlän- 
dischen von Konrad Wohlhage 
aus* Archis 11/86 
vollen Anlage der Innentreppe 
ihren Höhepunkt. Gleichzeitig 
wird damit die leicht abgewinkel- 
te Wand vor dem Eingang zur ar- 
chitektonischen Umsetzung des 
Übergangs von Innen nach Au- 
Ben. 
Die Fassadenflucht des Unter- 
geschosses ist in drei Schichten 
aufgelóst. Das südliche Eckzim- 
mer — Stams Atelier — stófit als 
kompakter Kubus am stärksten 
aus dem Baukörper hervor, ähn- 
lich wie dies in der Skizze Stams 
vom Prager Haus (1928) der Fall 
ist. Hier allerdings verschwindet 
die Fensterfläche ganz von der 
Hauptfassade und kommt recht- 
winklig zur Längsachse des Hau- 
ses zu stehen. Im Tessiner Haus 
bleibt das Fenster zwar in der 
Hauptfassade, aber Stam kippt 
es leicht aus der Ebene der Ost- 
fassade heraus. Wie ein großes 
Auge scheint es sich über die 
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