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Die letzten Arbeiten
von Mart Stam
Zwei unbekannte Häuser in der Schweiz
Mart Stam, November 198:
Er ist nicht unter seinem Archi-
‘ektennamen begraben: die
Grabinschrift lautet: ,,1899 Mar-
tin Stam-Heller 1986“. Ein einfa-
ches Holzkreuz mit dieser In-
schrift weist auf seine letzte Ru-
hestätte auf dem Zürcher Fried-
hof Enzenbühl hin. Zwanzig Jah-
re lang lebte er mit seiner Frau
„igendwo in der Schweiz“, wie
las offene Ende einer Biografie
m BOUWKUNDIG WEEK-
BLAD von 1969 bemerkt. Stam
lóste sein Büro in Holland 1966
auf, zog sich aus dem gesell-
schaftlichen Leben zurück und
'ebte seitdem in der Schweiz un-
ter verschiedenen Decknamen.
Es schien darum auch gerecht-
fertigt, daB jene Zeitschrift 1969
das Resumee aus einem Werk
zog, von dem angenommen wur-
de, mit einem Wohnhaus in Hier-
den aus dem Jahre 1965 abge-
schlossen zu sein, einem Haus,
dessen Veröffentlichung nie die
enorme internationale Verbrei-
‚ung fand, wie die Fotos der
Wohnungen, die Stam damals,
1927, für die Werkbund--Sied-
ung in Stuttgart baute. Das Haus
in Hierden war nicht einmal an-
ders über die Grenze gelangt. als
Nachdem Mart Stam in den 60er
Jahren Holland verlassen hatte,
um in dieSchweiz zu übersiedeln,
baute er 1966 für seine Frau und
sich ein Haus im Tessin, das sie
wáhrenddrei Jahren bewohnten.
Auf dem ansteigenden, terras-
sierten Grundstück erhebt sich
die zweigeschossige Villa, sorg-
sam in die Landschaft eingebet-
let. Ein Kiesweg verläuft von der
Straße her parallel zur nórdli-
chen Grenze der Parzelle und
biegt im obersten Teil der Gar-
lenanlage ab, um direkt zum
Hauseingang zu führen. Es ist
wichtig, zu betonen, daB der
Kiesweg stufenlos angelegt ist,
denn dadurch verstärkt sich die
Dynamik, die sich im Innern des
Hauses fortsetzt.” Die schrägge-
stellte Mauer des nordwärts gele-
genen Eckzimmers nimmt die
Bewegung des Weges auf. Diese
Bewegung findet in der schwung-
im Format eines Kontaktabzugs
in der englischen Übersetzung
derselben BOUWKUNDIG
WEEKBLAD-Ausgabe.
Es ist auch „gewöhnlich“ ge-
nug, um unbekannt zu bleiben.
Das „Gewöhnliche“ war ja ein
Entwurfskriterium von Stam;
Einfachheit bedeutete eine Her-
ausforderung, etwas woraus er
als junger Architekt eine neue
Art von Entwurfsfreude zog, und
das auch die elegante Form sei-
nes bekannten Stahirohrstuhls
voller Überzeugung ausstrahlt.
Diese Freude schien bei seinem
letzten Entwurf in Holland verlo-
ren.
Daß Stam ein Jahr später, im
Entwurf eines Hauses für sich
und seine Frau, zu einer ganz an-
deren Art von Architektur über-
ging, war bis heute unbekannt ge-
blieben. Simone Rümmele, eine
Kunstgeschichtsstudentin, fällt
die Ehre zu, dieses Haus ent-
deckt zu haben. Simone Rümme-
le besuchte das Haus nach Mart
Stams Tod, ebenso wie ein zwei-
tes, das er 1969 entworfen haben
soll. Ihre Beschreibung beider
Háuser macht uns beinahe glau-
ben. daß Stam 1966 in die FuB-
stapfen einer jüngeren Genera-
tion von Architekten trat, die —
wie Aldo van Eyck — den Eingang
einer Wohnung beispielsweise
bildhaft formten in der Vielfältig-
keit eines , Ubergangsraumes“,
und nicht die pure und nackte
Einfachheit einer Zwei-Meter-
Tür (cin Standard Mart Stams)
suchten.
Vorlaufig bleibt die Frage un-
beantwortet, ob sich Stams Häu-
ser in der Schweiz nahtlos, oder
etwa in Form eines Appendix, an
sein bekanntes (Euvre hinzufü-
gen lassen, man beachte vor al-
lem die unerwarteten Verände-
rungen der „Mart-Stam-For-
mel", die sich in diesen beiden
Háusern zeigt. Zwei Aspekte,
die Simone Rümmele in ihrem
Artikel anführt, müßten näher
untersucht werden. — Einmal
könnte die tiefgreifende Anpas-
sung an die örtliche schweizeri-
sche Architektur in Verbindung
gebracht werden mit Stams
Rückzug aus dem öffentlichen
Leben: Er wünschte nicht länger
als holländischer Funktionalist
auf der Straße erkannt zu wer-
den.
Eine andere Veränderung, die
Haus in Arcegno, Tessin 1966
Mart Stam. Skizze für ein Wohnhaus in Prag. 19°
Foto: Simone Rümmele
labyrinthische Form des Grund-
risses, hängt offensichtlich mit
dem Bedürfnis nach auffällig viel
Abstellraum zusammen, im er-
sten Haus vor allem für Archiv-
material. Vorsichtig könnte man
schließen, daß Stams frühere
Wohnungsgrundrisse ein derarti-
ges Problem nicht kannten,
ebensowenig wie den Rückzug in
die freiwillige Anonymität. Alles
in allem steht hier eine interes-
sante Erscheinung zur Diskus-
sion, nämlich eine Architektur,
die sich nicht deckt mit früheren
Arbeiten, weder für Stam und
seine Frau noch in den Augen an-
derer. Frau Rümmeles Beitrag
sammelt viel Material, um derar-
tigen Fragen im Zusammenhang
mit einer umfassenden Biogra-
phie weiter nachzugehen. Solan-
ge wir hierauf noch warten müs-
sen, werden wir die beiden nach-
stehenden Häuser als ein aus
zwei Arbeiten bestehendes Werk
eines Martin Stam-Heller behan-
deln.
Jos Bosman
Übersetzung aus dem Niederlän-
dischen von Konrad Wohlhage
aus* Archis 11/86
vollen Anlage der Innentreppe
ihren Höhepunkt. Gleichzeitig
wird damit die leicht abgewinkel-
te Wand vor dem Eingang zur ar-
chitektonischen Umsetzung des
Übergangs von Innen nach Au-
Ben.
Die Fassadenflucht des Unter-
geschosses ist in drei Schichten
aufgelóst. Das südliche Eckzim-
mer — Stams Atelier — stófit als
kompakter Kubus am stärksten
aus dem Baukörper hervor, ähn-
lich wie dies in der Skizze Stams
vom Prager Haus (1928) der Fall
ist. Hier allerdings verschwindet
die Fensterfläche ganz von der
Hauptfassade und kommt recht-
winklig zur Längsachse des Hau-
ses zu stehen. Im Tessiner Haus
bleibt das Fenster zwar in der
Hauptfassade, aber Stam kippt
es leicht aus der Ebene der Ost-
fassade heraus. Wie ein großes
Auge scheint es sich über die
=