Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

ARCH* -ZEITUNG: 
Die Situation der Umwelt ist 
schon lange ein politischer Issue 
geworden. In Befragungen gibt 
die Mehrheit der Umweltsitua- 
tion eine größere Bedeutung als 
dem Problem der Arbeitslosig- 
keit, dem Friedensproblem oder 
anderen gesellschaftspoltischen 
Themen. In einem gewissen 
Kontrast zu dem allgemein und 
weitgehend auch alle politischen 
Gruppen und Parteien umspan- 
nenden Konsens über die Bedeu- 
tung der Umweltsituation für die 
aktuelle und zukünftige Lebens- 
qualität steht die schleppende 
und halbherzige Veränderung 
der Umweltsituation. Wir sind 
der Meinung, daß die wesentli- 
chen Veränderungen durch poli- 
tische und nicht durch persönli- 
che Entscheidungen in Gang 
kommen können. Die Verände- 
rung der Energieversorgungssy- 
steme, der Verpackungs- und 
Abfallwirtschaft, des Verkehrs- 
systems, der Siedlungsstruktur — 
all dies sind die gesellschaftliche 
Organisation insgesamt umfas- 
sende und deshalb politisch zu 16- 
senden Problembereiche. Nur ei- 
ne Veränderung der Lösungsmo- 
di in diesen (und anderen Berei- 
chen) wird eine nachhaltige Bes- 
serung der Umweltsituation mit 
sich bringen. Geht man von der 
These eines gesellschaftspoliti- 
schen Primats bei der Lösung von 
Umweltproblemen aus, so be- 
deutet dies jedoch nicht, daß die 
Ebene individuellen Verhaltens 
unbedeutend wäre. Politische 
Probleme werden nicht in einem 
rational-technischen Entschei- 
dungsgang gelöst, sondern als 
Ergebnis politscher Kräftever- 
hältnisse in der Arena des Politi- 
schen. Geht man weiterhin da- 
von aus, daß eine ganze Reihe 
von wirtschaftlichen Interessen- 
zruppen an einer unmittelbaren 
Verringerung der Umweltbela- 
stung nicht interessiert ist, da 
derartige Bemühungen in ihrem 
Kalkül als Kostenfaktoren auf- 
treten oder die Konkurrenzlage 
negativ beeinflussen, so kann der 
Druck auf poliüsche Veránde- 
rungen nur lebensweltlich be- 
gründet sein. Das Bedürfnis nach 
Gesundheit und Wohlbefinden, 
nach Sicherheit und Entfaltungs- 
móglichketien sind die Trieb- 
kraft der Umweltpolitik. In die- 
sem Sinne werden die individuel- 
len Dispositionen gegenüber der 
Umweltsituation, das individuell 
realisierbare Mensch-Natur- 
Verhältnis zum Angelpunkt der 
politischen Lósungsstrategie. 
So unbestritten in zahlreichen 
Meinungsumfragen die Wertig- 
keit des Umweltproblems zu Ta- 
ge tritt, so klar ist zugleich, daß 
die Umsetzung dieser Wertorien- 
üerung in entsprechendes Ver- 
halten auf große Schwierigkeiten 
stößt. 
Bei einer Umfrage des Emnid 
Instituts gaben die Mehrheit der 
Befragten an, daß ihnen die 
Umweltbelastung, die durch die 
SANG TTR 
NE 
A. 
Umweltwerte 
und 
Umweltverhalten 
Benutzung herkömmlicher Wasch- 
mittel in den Flüssen entsteht, 
bekannt ist. Die Benutzung um- 
weltschonender Waschmittel ist 
jedoch zugleich nur sehr gering 
verbreitet. Jeder kennt selber 
zahlreiche Beispiele, in der er 
persönlich Verhaltensweisen 
zeigt, die „theoretisch“ nicht zu 
rechtfertigen sind. Viele werden, 
wenn sie ehrlich sind, zugeben, 
daB ihnen ein Verhalten, bei dem 
Umweltwerte und Umweltver- 
halten in weitgehende Uberein- 
stimmung gebracht werden, re- 
gelrecht unsympathisch ist. Der- 
artige Menschen wirken mora- 
lisch, verbissen, humorlos, ohne 
Lebensfreude... 
Wir behaupten, daB es zwi- 
schen Umweltwerten und Um- 
weltverhalten einen moralischen 
Bruch gibt, der tiefliegende 
Gründe hat. Umweltverhalten 
kann nicht einfach anerzogen 
werden, ohne dessen spezifische 
Gründe zu erkennen und auf sie 
einzugehen. Der unvermittelte 
Versuch ein Verhalten einzufor- 
dern, daB die Umwelt weniger 
belastet, wirkt moralisierend. 
Die ,Umweltapostel^, wie sie 
bezeichnenderweise häufig ge- 
nannt werden, haben den Status 
moderner Mönche, die ähnlich 
den mittelalterlichen Mönchen 
ihr unbestritten richtiges Verhal- 
ten doch besser hinter Kloster- 
mauern führen sollten. Die Welt 
jedoch verläuft nach anderen Re- 
geln. Die Auszonung der Men- 
schen, die sich konsequent ver- 
halten, verweist psychologisch 
gesehen aufeinen starken Zwang 
zur Abwehr und Panzerung. 
Warum? 
Auf einer noch sehr allgemein 
formulierten Ebene behaupten 
wir, daß die zivilisatorische Ent- 
wicklungsgeschichte der westli- 
chen Kultur die Option für einen 
schonenden, auf nachhaltige 
Nutzung zielenden Umgang mit 
der Natur zunehmend verringert 
hat. Wir heben dabei nicht so 
sehr auf die Ideologie der Natur- 
belierrschung selber ab, sondern 
vielmehr auf die sozialpsycholo- 
gischen Folgen eines nach Domi- 
nanz und Unterordnung struk- 
turierten Mensch-Natur-Ver- 
hältnisses. 
Die Beherrschung der Natur 
ist nur gesellschaftlich möglich, 
also verlangt die Naturbeherr- 
schung als spezifische gesell- 
schaftliche Organisation die Ar- 
beitsteilung. Die Arbeitsteilung 
ist eingebettet in hierarchische 
Anordnungs- und  Unterord- 
nungsverhältnisse. Diese wieder- 
um regulieren die Aneignung 
und Verteilung der Naturstoffe. 
Das Verhältnis der Menschen zu 
ihrer natürlichen Umwelt ist 
demnach untrennbar mit dem 
Verhältnis der Menschen unter- 
einander verbunden. 
Das Leben in arbeitsteiligen 
und hierarchisch strukturierten 
Verhältnissen ist den Menschen 
nicht angeboren. Ethnologie und 
Kultursoziologie zeigen zwar 
sehr frühe Formen der Arbeits- 
teilung undHierarchie, doch sind 
diese Formen ihrer Qualitát nach 
mit den industriellen Systemen 
der Arbeitsteilung nicht zu ver- 
gleichen. Die Arbeitsteilung 
blieb entweder auf wenige gesell- 
schaftliche Rollen beschränkt 
(Priester und Fürst) oder tempo- 
rár. Der Anbau der Feldfrucht. 
die gemeinsame Jagd, der kollek. 
tive Ernteeinsatz berühren nicht 
das Vermógen zur eigenstándi- 
gen Reproduktion kleiner und 
kleinster Untergruppen. Die mo- 
derne Arbeitsteilung verweist al- 
le Mitglieder der Gesellschaft da- 
gegen auf ein differenziertes, 
vergesellschaftliches System der 
Reproduktion. Hinter jedem 
Frühstück stehen unzáhlige ar- 
beitsteilige Akte, die háufig eine 
Vielzahl von Regionen und Làn- 
dern umfassen. Die moderne Ar- 
beitsteilung lá&t die Autonomie 
der Reproduktion in der Regel 
nicht zu. Das verfeinerte Netz 
der Arbeitsteilung und der ge- 
sellschaftlichen Hierarchie ver- 
langt ein hohes Ausmaß an Ver- 
haltenskontrolle. Expressive, 
spontane, gefühlgeleitete Hand- 
lungen können nur in spezifisch 
bestimmten Zonen des gesell- 
schaftlichen Raumes gelebt wer- 
den. Die Trieb- und Lustkontrol- 
le ist wesentliche Voraussetzung 
für die Funktionsfähigkeit des 
Systems. Das Verhältnis zu äuße- 
ren Natur ist somit über die ge- 
sellschaftliche Organisation der 
Naturaneignung mit dem Ver- 
hältnis zur inneren Natur verbun- 
den. In der Distanz zur äußeren 
Natur zeigt sich die notwenige 
Distanz zur inneren Natur. Der 
moralische Bruch zwischen Um- 
weltwerten und Umweltverhal- 
ten ist hier begründet. Es ist nicht 
einfach Nachlässigkeit und Be- 
quemlichkeit, die eine Umset- 
zung der, Werte in alltägliches 
Verhalten verhindert oder er- 
schwert, sondern es ist die zu- 
nächst einmal „notwendige“ 
Symbolisierung der  Beherr- 
schung der eigenen Natur, die 
sich als uneinsichtige Beherr- 
schung der äuBeren Natur aus- 
drückt. 
Detlev Ipsen 
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