ARCH* -ZEITUNG:
Die Situation der Umwelt ist
schon lange ein politischer Issue
geworden. In Befragungen gibt
die Mehrheit der Umweltsitua-
tion eine größere Bedeutung als
dem Problem der Arbeitslosig-
keit, dem Friedensproblem oder
anderen gesellschaftspoltischen
Themen. In einem gewissen
Kontrast zu dem allgemein und
weitgehend auch alle politischen
Gruppen und Parteien umspan-
nenden Konsens über die Bedeu-
tung der Umweltsituation für die
aktuelle und zukünftige Lebens-
qualität steht die schleppende
und halbherzige Veränderung
der Umweltsituation. Wir sind
der Meinung, daß die wesentli-
chen Veränderungen durch poli-
tische und nicht durch persönli-
che Entscheidungen in Gang
kommen können. Die Verände-
rung der Energieversorgungssy-
steme, der Verpackungs- und
Abfallwirtschaft, des Verkehrs-
systems, der Siedlungsstruktur —
all dies sind die gesellschaftliche
Organisation insgesamt umfas-
sende und deshalb politisch zu 16-
senden Problembereiche. Nur ei-
ne Veränderung der Lösungsmo-
di in diesen (und anderen Berei-
chen) wird eine nachhaltige Bes-
serung der Umweltsituation mit
sich bringen. Geht man von der
These eines gesellschaftspoliti-
schen Primats bei der Lösung von
Umweltproblemen aus, so be-
deutet dies jedoch nicht, daß die
Ebene individuellen Verhaltens
unbedeutend wäre. Politische
Probleme werden nicht in einem
rational-technischen Entschei-
dungsgang gelöst, sondern als
Ergebnis politscher Kräftever-
hältnisse in der Arena des Politi-
schen. Geht man weiterhin da-
von aus, daß eine ganze Reihe
von wirtschaftlichen Interessen-
zruppen an einer unmittelbaren
Verringerung der Umweltbela-
stung nicht interessiert ist, da
derartige Bemühungen in ihrem
Kalkül als Kostenfaktoren auf-
treten oder die Konkurrenzlage
negativ beeinflussen, so kann der
Druck auf poliüsche Veránde-
rungen nur lebensweltlich be-
gründet sein. Das Bedürfnis nach
Gesundheit und Wohlbefinden,
nach Sicherheit und Entfaltungs-
móglichketien sind die Trieb-
kraft der Umweltpolitik. In die-
sem Sinne werden die individuel-
len Dispositionen gegenüber der
Umweltsituation, das individuell
realisierbare Mensch-Natur-
Verhältnis zum Angelpunkt der
politischen Lósungsstrategie.
So unbestritten in zahlreichen
Meinungsumfragen die Wertig-
keit des Umweltproblems zu Ta-
ge tritt, so klar ist zugleich, daß
die Umsetzung dieser Wertorien-
üerung in entsprechendes Ver-
halten auf große Schwierigkeiten
stößt.
Bei einer Umfrage des Emnid
Instituts gaben die Mehrheit der
Befragten an, daß ihnen die
Umweltbelastung, die durch die
SANG TTR
NE
A.
Umweltwerte
und
Umweltverhalten
Benutzung herkömmlicher Wasch-
mittel in den Flüssen entsteht,
bekannt ist. Die Benutzung um-
weltschonender Waschmittel ist
jedoch zugleich nur sehr gering
verbreitet. Jeder kennt selber
zahlreiche Beispiele, in der er
persönlich Verhaltensweisen
zeigt, die „theoretisch“ nicht zu
rechtfertigen sind. Viele werden,
wenn sie ehrlich sind, zugeben,
daB ihnen ein Verhalten, bei dem
Umweltwerte und Umweltver-
halten in weitgehende Uberein-
stimmung gebracht werden, re-
gelrecht unsympathisch ist. Der-
artige Menschen wirken mora-
lisch, verbissen, humorlos, ohne
Lebensfreude...
Wir behaupten, daB es zwi-
schen Umweltwerten und Um-
weltverhalten einen moralischen
Bruch gibt, der tiefliegende
Gründe hat. Umweltverhalten
kann nicht einfach anerzogen
werden, ohne dessen spezifische
Gründe zu erkennen und auf sie
einzugehen. Der unvermittelte
Versuch ein Verhalten einzufor-
dern, daB die Umwelt weniger
belastet, wirkt moralisierend.
Die ,Umweltapostel^, wie sie
bezeichnenderweise häufig ge-
nannt werden, haben den Status
moderner Mönche, die ähnlich
den mittelalterlichen Mönchen
ihr unbestritten richtiges Verhal-
ten doch besser hinter Kloster-
mauern führen sollten. Die Welt
jedoch verläuft nach anderen Re-
geln. Die Auszonung der Men-
schen, die sich konsequent ver-
halten, verweist psychologisch
gesehen aufeinen starken Zwang
zur Abwehr und Panzerung.
Warum?
Auf einer noch sehr allgemein
formulierten Ebene behaupten
wir, daß die zivilisatorische Ent-
wicklungsgeschichte der westli-
chen Kultur die Option für einen
schonenden, auf nachhaltige
Nutzung zielenden Umgang mit
der Natur zunehmend verringert
hat. Wir heben dabei nicht so
sehr auf die Ideologie der Natur-
belierrschung selber ab, sondern
vielmehr auf die sozialpsycholo-
gischen Folgen eines nach Domi-
nanz und Unterordnung struk-
turierten Mensch-Natur-Ver-
hältnisses.
Die Beherrschung der Natur
ist nur gesellschaftlich möglich,
also verlangt die Naturbeherr-
schung als spezifische gesell-
schaftliche Organisation die Ar-
beitsteilung. Die Arbeitsteilung
ist eingebettet in hierarchische
Anordnungs- und Unterord-
nungsverhältnisse. Diese wieder-
um regulieren die Aneignung
und Verteilung der Naturstoffe.
Das Verhältnis der Menschen zu
ihrer natürlichen Umwelt ist
demnach untrennbar mit dem
Verhältnis der Menschen unter-
einander verbunden.
Das Leben in arbeitsteiligen
und hierarchisch strukturierten
Verhältnissen ist den Menschen
nicht angeboren. Ethnologie und
Kultursoziologie zeigen zwar
sehr frühe Formen der Arbeits-
teilung undHierarchie, doch sind
diese Formen ihrer Qualitát nach
mit den industriellen Systemen
der Arbeitsteilung nicht zu ver-
gleichen. Die Arbeitsteilung
blieb entweder auf wenige gesell-
schaftliche Rollen beschränkt
(Priester und Fürst) oder tempo-
rár. Der Anbau der Feldfrucht.
die gemeinsame Jagd, der kollek.
tive Ernteeinsatz berühren nicht
das Vermógen zur eigenstándi-
gen Reproduktion kleiner und
kleinster Untergruppen. Die mo-
derne Arbeitsteilung verweist al-
le Mitglieder der Gesellschaft da-
gegen auf ein differenziertes,
vergesellschaftliches System der
Reproduktion. Hinter jedem
Frühstück stehen unzáhlige ar-
beitsteilige Akte, die háufig eine
Vielzahl von Regionen und Làn-
dern umfassen. Die moderne Ar-
beitsteilung lá&t die Autonomie
der Reproduktion in der Regel
nicht zu. Das verfeinerte Netz
der Arbeitsteilung und der ge-
sellschaftlichen Hierarchie ver-
langt ein hohes Ausmaß an Ver-
haltenskontrolle. Expressive,
spontane, gefühlgeleitete Hand-
lungen können nur in spezifisch
bestimmten Zonen des gesell-
schaftlichen Raumes gelebt wer-
den. Die Trieb- und Lustkontrol-
le ist wesentliche Voraussetzung
für die Funktionsfähigkeit des
Systems. Das Verhältnis zu äuße-
ren Natur ist somit über die ge-
sellschaftliche Organisation der
Naturaneignung mit dem Ver-
hältnis zur inneren Natur verbun-
den. In der Distanz zur äußeren
Natur zeigt sich die notwenige
Distanz zur inneren Natur. Der
moralische Bruch zwischen Um-
weltwerten und Umweltverhal-
ten ist hier begründet. Es ist nicht
einfach Nachlässigkeit und Be-
quemlichkeit, die eine Umset-
zung der, Werte in alltägliches
Verhalten verhindert oder er-
schwert, sondern es ist die zu-
nächst einmal „notwendige“
Symbolisierung der Beherr-
schung der eigenen Natur, die
sich als uneinsichtige Beherr-
schung der äuBeren Natur aus-
drückt.
Detlev Ipsen
i
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