verfolgen. Das liefe dann unter dem Titel
‚Lernen vom Fall Le Corbusiers’, nicht
Lernen von Le Corbusier'.
Pini: Man fing erst wieder vermehrt an,
sich für ihn einzusetzen, als Corbu ange-
griffen wurde.
du Fresne: Ich erinnere mich da an eine
furchtbare Auseinandersetzung mit Cu-
lot, dem Krier-Compagnon, den ich nach
seinem Vortrag beim Deutschen Werk-
bund in Darmstadt angegriffen habe, als
er behauptete, Corbu sei ein Verbrecher
gewesen, weil er Bausysteme und Kon-
struktionen versucht habe an Menschen,
bevor er überhaupt wußte, ob sie funktio-
nieren. Das dürfte ungefähr so alt sein wie
die Postmoderne, etwa zehn Jahre. — In
dem Moment, als wir die Anfechtungen
gespürt haben, übrigens auch Anfechtun-
gen durch Angestellte in unserem Büro,
du kannst dich erinnern, da wurde es wie-
der ein ,Zurück zu Le Corbusier', da gab
es ein ,Halt, so natürlich nicht', es wurde
zu einem ,Bestehen auf Le Corbusier’.
Wir waren ja überzeugt, daß er uns auf den
rechten Weg geführt hatte. Mit seinem
Fundament, das er uns gegeben hatte, ha-
ben wir ja ein Amthaus'? bauen kónnen,
eine Mensa”, ein Museum", einen Vau-
cher'?, eine Thalmatt 2'?, da muB man ein-
fach an die Richtigkeit dieser Schule glau-
ben. — Du hast doch nie bestritten, daß er
für dich ein großartiger Lehrer war, nie be-
hauptet, daß er dich auf eine falsche Fähr-
te gelockt habe.
Pini: Uns sind eigentlich die Angriffe auf
Corbusier genau so vorgekommen wie die
in den 40er Jahren. Ich sag, ‚Lernen vom
Fall Le Corbusiers’, das wäre mal ein The-
ma, wie er hochgejubelt wurde, niederge-
macht und dann wieder hochgejubelt, von
den gleichen Leuten. Wer sich wann zu
ihm bekannte, wer sich wann von ihm los-
sagte und dann wieder zu ihm bekannte,
ein Schulbeispiel für das hysterische Ver-
halten der Architekten.
du Fresne: Und dann diese dramatischen
Akte in Amerika, zusammen mit der
Sprengung verslumter Wohnhäuser, die
Erklärung, jetzt müsse eine neue Archi-
tektur ihren Anfang haben... und hinten-
dran dann gleich die Puderdose Johnsons,
das ist natürlich Wahnsinn.
Pini: Das fehlende Verständnis dafür, daß
sich die Zeiten eben ändern, das hat mich
schon erschreckt, nebenbei auch dieser
Besuch in Firminy, und wenn Gerber er-
zählt, in Nantes sei es noch schlimmer.
Und wenn du die Reaktion der jüngeren
Leute unter uns siehst, die Distanz neh-
men...
du Fresne: Aber gegenüber La Tourette
gab es diese Distanz nicht.
Pini: Nein gar nicht. Aber wenn ich weiß,
warum man Firminy so gemacht hat, weil
man total andere Perspektiven hatte, total
andere Perspektiven, und heute rümpft
man einfach die Nase. Nicht zu vergessen,
wenn wir die Aufträge gehabt hätten, in
den 50er Jahren, dann hätten wir doch ei-
ne Unité nach der anderen gebaut.
du Fresne: Gebus hat ja gesagt, wir hátten
Schwein gehabt.
Pini: Vielleicht wáre es in der Schweiz so-
gar noch ein Erfolg geworden.
du Fresne: Ich erinnere mich noch genau
an Jonas Friedmann, der damals anläßlich
seines Vortrages zum 50sten Geburtstag
des Werkbund uns allen gesagt hat, auch
wenn wir Wohnungen so schnell bauen
wiirden wie Autos, es wiirde nie ausrei-
chen, da hatten wir das Gefühl, wir müß-
ten grad nach Hause gehen und so rasch
wie möglich wieder etwas bauen.
Pini: Dabei hatten wir kaum zu tun...
Jetzt, im nachhinein, kann ich eigentlich
nur mit gewisser Trauer reagieren, wie ei-
ner lieben Person gegenüber, die nicht
mehr da ist. Aber die Nase rümpfen sicher
nicht. Man sah doch da dieses totale Enga-
gement für eine neue Gesellschaft, wenn
ich da an den Plan ‚Voisin’ denke, dann
kam der Krieg dazwischen. Da gab es eine
Vision, die sich in der Vor- und Nach-
kriegszeit bestätigt hatte, mindestens teil-
weise. Daß sich das jetzt, in unserer Zeit,
nicht mehr erfüllte, diese Vision nicht
mehr da ist ... die Geschichte der Welt ist
noch nicht zu Ende geschrieben.
du Fresne: Also wieder zurück zu uns, Sie
wollen ja wissen, wie es bei uns genau war.
Nochmal zu dieser Zeit der Anfechtung.
Bei uns im Büro waren das doch ziemlich
schlechte Zeiten. Und wir sind ja auch
nicht aufgestanden und haben laut ge-
schrien.
Pini: Es war mehr ein ,Ach komm, laf
doch den Corbu'.
du Fresne: Uns hatte ja auch niemand
nach einem Plädoyer gefragt, damals.
Pini: Es gab einfach ein paar verbissene
Freunde, die Fondation Le Corbusier.
Wir haben uns sehr eingesetzt für die
Clarté' in Genf.
du Fresne: Zu berichten werden wir jetzt
aufgerufen. Wann haben die Attacken auf
Le Corbusier denn wirklich angefangen?
Pini: So 1968/69 auf breiter Basis, und
zwar nicht mal besonders nur gegen Cor-
busier, sondern gegen die ganze Moderne.
Eine Art veränderte Weltanschauung.
Die 68er Jahre waren nun ja auch wirklich
nicht die Jahre der Ästhetik, nicht die Jah-
re der bildenden Kunst, das waren die Jah-
re der Anfechtung, der sozialen Erneue-
rung. Obwohl es da zwischen dem Werk
Le Corbusiers und diesen Tendenzen
durchaus Übereinstimmungen gegeben
hátte. - Man muf allerdings auch sagen,
daB die Rehabilitation Le Corbusiers rela-
tiv früh wieder eingesetzt hat. Seine Spra-
che wurde ja wieder aufgenommen, zum
Beispiel durch Richard Meier, der mit sei-
nen Arbeiten ein großes Echo gehabt hat.
— Und dann vor sechs bis sieben Jahren
diese Ausstellung über Corbusier in Luga-
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no, die ja sehr schön war und mir auch per-
sönlich wieder sehr viel Kraft gegeben hat.
Eigentlich warer nur kurze Zeit begraben.
du Fresne: Und die heutige Bewunde-
rung?
Pini: Sicher mal für den grofeen Künstler
und dann eben dieses Gefühl, daB er dich
auf die richtige Weise in den Beruf geführt
hat. Sicher einer der Gründe, warum die
Bindung noch da ist, wir haben ja dieses
Sohn-Vater-Verhältnis nie bestritten, wie
viele dies getan haben... Keine Verleug-
nung, sondern ein langsames immer
Selbständigerwerden.
du Fresne: Und wenn mich jetzt heute ein
junger Mann fragen würde „das überzeugt
mich, was ihr da sagt, dieser Akademis-
mus, der herrscht auch heute wieder an
den Schulen, mir geht es wie euch, was soll
ich jetzt machen?“
Pini: Brechbühler hat es ja gesagt, die
Schule ist für die Unfähigen, vielleicht ein
bißchen überheblich. Die, die unsere
Schule tragen, mit Ausnahmen natürlich,
haben die tatsächlich etwas zu sagen?
Wenn ich die Leute nehme, die ich kenne
... da wird in der totalen Desorientierung
einfach herumgeschnüffelt und reagiert.
du Fresne: Und wenn der Schüler sagt
„richtig, aber ich finde kein Vorbild“?
Pini: Sag hat dem Jungen, er sollsich einen
Beruf suchen, in dem er ein Vorbild hat.
Architekt muß man ums Verrecken sein
wollen.
Legende der Bauten Atelier 5
\ Haus Alder, Rothrist/AG, 1957/58
Siedlung Halen bei Bern, 1955/61
Fabrik Müller, Thun/BE, 1956/59
Mensa in Stuttgart-Vaihingen (BRD), 1970/76
Haus Steinmann, Aarburg/AG, 1957/59
Terrassenhäuser Flamatt 1, Flamatt/FR, 1957/58
Terrassenhäuser Flamatt 2, Flamatt/FR, 1960/61
Siedlung Park Hill Village, Croydon (GB),
1966/70
Haus Citron, Carona (TI), 1961/64
‘Haus Brossi, Gerlafingen/SO, 1963/65
Haus Móhl, Kerzers/FR, 1963/66
Haus Roth, Oberhóchstadt/Frankfurt (BRD),
1967/69
Studentenwohnheime in Stuttgart-Vaihingen
(BRD). 1966/72 .
Siedlung Wertherberg (BRD), 1965/67
Wettbewerb Karlsstadt, 1966
Amthaus Bern, 1976/81
Kunstmuseum Bern, 1976/83
, Haus Vaucher bei Bern, 1980/83
i9) Siedlung Thalmatt 2 bei Bern, 1981/85
&)
Abb. oben: Le Corbusier, Villa
Carthage, 1928
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