Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

verfolgen. Das liefe dann unter dem Titel 
‚Lernen vom Fall Le Corbusiers’, nicht 
Lernen von Le Corbusier'. 
Pini: Man fing erst wieder vermehrt an, 
sich für ihn einzusetzen, als Corbu ange- 
griffen wurde. 
du Fresne: Ich erinnere mich da an eine 
furchtbare Auseinandersetzung mit Cu- 
lot, dem Krier-Compagnon, den ich nach 
seinem Vortrag beim Deutschen Werk- 
bund in Darmstadt angegriffen habe, als 
er behauptete, Corbu sei ein Verbrecher 
gewesen, weil er Bausysteme und Kon- 
struktionen versucht habe an Menschen, 
bevor er überhaupt wußte, ob sie funktio- 
nieren. Das dürfte ungefähr so alt sein wie 
die Postmoderne, etwa zehn Jahre. — In 
dem Moment, als wir die Anfechtungen 
gespürt haben, übrigens auch Anfechtun- 
gen durch Angestellte in unserem Büro, 
du kannst dich erinnern, da wurde es wie- 
der ein ,Zurück zu Le Corbusier', da gab 
es ein ,Halt, so natürlich nicht', es wurde 
zu einem ,Bestehen auf Le Corbusier’. 
Wir waren ja überzeugt, daß er uns auf den 
rechten Weg geführt hatte. Mit seinem 
Fundament, das er uns gegeben hatte, ha- 
ben wir ja ein Amthaus'? bauen kónnen, 
eine Mensa”, ein Museum", einen Vau- 
cher'?, eine Thalmatt 2'?, da muB man ein- 
fach an die Richtigkeit dieser Schule glau- 
ben. — Du hast doch nie bestritten, daß er 
für dich ein großartiger Lehrer war, nie be- 
hauptet, daß er dich auf eine falsche Fähr- 
te gelockt habe. 
Pini: Uns sind eigentlich die Angriffe auf 
Corbusier genau so vorgekommen wie die 
in den 40er Jahren. Ich sag, ‚Lernen vom 
Fall Le Corbusiers’, das wäre mal ein The- 
ma, wie er hochgejubelt wurde, niederge- 
macht und dann wieder hochgejubelt, von 
den gleichen Leuten. Wer sich wann zu 
ihm bekannte, wer sich wann von ihm los- 
sagte und dann wieder zu ihm bekannte, 
ein Schulbeispiel für das hysterische Ver- 
halten der Architekten. 
du Fresne: Und dann diese dramatischen 
Akte in Amerika, zusammen mit der 
Sprengung verslumter Wohnhäuser, die 
Erklärung, jetzt müsse eine neue Archi- 
tektur ihren Anfang haben... und hinten- 
dran dann gleich die Puderdose Johnsons, 
das ist natürlich Wahnsinn. 
Pini: Das fehlende Verständnis dafür, daß 
sich die Zeiten eben ändern, das hat mich 
schon erschreckt, nebenbei auch dieser 
Besuch in Firminy, und wenn Gerber er- 
zählt, in Nantes sei es noch schlimmer. 
Und wenn du die Reaktion der jüngeren 
Leute unter uns siehst, die Distanz neh- 
men... 
du Fresne: Aber gegenüber La Tourette 
gab es diese Distanz nicht. 
Pini: Nein gar nicht. Aber wenn ich weiß, 
warum man Firminy so gemacht hat, weil 
man total andere Perspektiven hatte, total 
andere Perspektiven, und heute rümpft 
man einfach die Nase. Nicht zu vergessen, 
wenn wir die Aufträge gehabt hätten, in 
den 50er Jahren, dann hätten wir doch ei- 
ne Unité nach der anderen gebaut. 
du Fresne: Gebus hat ja gesagt, wir hátten 
Schwein gehabt. 
Pini: Vielleicht wáre es in der Schweiz so- 
gar noch ein Erfolg geworden. 
du Fresne: Ich erinnere mich noch genau 
an Jonas Friedmann, der damals anläßlich 
seines Vortrages zum 50sten Geburtstag 
des Werkbund uns allen gesagt hat, auch 
wenn wir Wohnungen so schnell bauen 
wiirden wie Autos, es wiirde nie ausrei- 
chen, da hatten wir das Gefühl, wir müß- 
ten grad nach Hause gehen und so rasch 
wie möglich wieder etwas bauen. 
Pini: Dabei hatten wir kaum zu tun... 
Jetzt, im nachhinein, kann ich eigentlich 
nur mit gewisser Trauer reagieren, wie ei- 
ner lieben Person gegenüber, die nicht 
mehr da ist. Aber die Nase rümpfen sicher 
nicht. Man sah doch da dieses totale Enga- 
gement für eine neue Gesellschaft, wenn 
ich da an den Plan ‚Voisin’ denke, dann 
kam der Krieg dazwischen. Da gab es eine 
Vision, die sich in der Vor- und Nach- 
kriegszeit bestätigt hatte, mindestens teil- 
weise. Daß sich das jetzt, in unserer Zeit, 
nicht mehr erfüllte, diese Vision nicht 
mehr da ist ... die Geschichte der Welt ist 
noch nicht zu Ende geschrieben. 
du Fresne: Also wieder zurück zu uns, Sie 
wollen ja wissen, wie es bei uns genau war. 
Nochmal zu dieser Zeit der Anfechtung. 
Bei uns im Büro waren das doch ziemlich 
schlechte Zeiten. Und wir sind ja auch 
nicht aufgestanden und haben laut ge- 
schrien. 
Pini: Es war mehr ein ,Ach komm, laf 
doch den Corbu'. 
du Fresne: Uns hatte ja auch niemand 
nach einem Plädoyer gefragt, damals. 
Pini: Es gab einfach ein paar verbissene 
Freunde, die Fondation Le Corbusier. 
Wir haben uns sehr eingesetzt für die 
Clarté' in Genf. 
du Fresne: Zu berichten werden wir jetzt 
aufgerufen. Wann haben die Attacken auf 
Le Corbusier denn wirklich angefangen? 
Pini: So 1968/69 auf breiter Basis, und 
zwar nicht mal besonders nur gegen Cor- 
busier, sondern gegen die ganze Moderne. 
Eine Art veränderte Weltanschauung. 
Die 68er Jahre waren nun ja auch wirklich 
nicht die Jahre der Ästhetik, nicht die Jah- 
re der bildenden Kunst, das waren die Jah- 
re der Anfechtung, der sozialen Erneue- 
rung. Obwohl es da zwischen dem Werk 
Le Corbusiers und diesen Tendenzen 
durchaus Übereinstimmungen gegeben 
hátte. - Man muf allerdings auch sagen, 
daB die Rehabilitation Le Corbusiers rela- 
tiv früh wieder eingesetzt hat. Seine Spra- 
che wurde ja wieder aufgenommen, zum 
Beispiel durch Richard Meier, der mit sei- 
nen Arbeiten ein großes Echo gehabt hat. 
— Und dann vor sechs bis sieben Jahren 
diese Ausstellung über Corbusier in Luga- 
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no, die ja sehr schön war und mir auch per- 
sönlich wieder sehr viel Kraft gegeben hat. 
Eigentlich warer nur kurze Zeit begraben. 
du Fresne: Und die heutige Bewunde- 
rung? 
Pini: Sicher mal für den grofeen Künstler 
und dann eben dieses Gefühl, daB er dich 
auf die richtige Weise in den Beruf geführt 
hat. Sicher einer der Gründe, warum die 
Bindung noch da ist, wir haben ja dieses 
Sohn-Vater-Verhältnis nie bestritten, wie 
viele dies getan haben... Keine Verleug- 
nung, sondern ein langsames immer 
Selbständigerwerden. 
du Fresne: Und wenn mich jetzt heute ein 
junger Mann fragen würde „das überzeugt 
mich, was ihr da sagt, dieser Akademis- 
mus, der herrscht auch heute wieder an 
den Schulen, mir geht es wie euch, was soll 
ich jetzt machen?“ 
Pini: Brechbühler hat es ja gesagt, die 
Schule ist für die Unfähigen, vielleicht ein 
bißchen überheblich. Die, die unsere 
Schule tragen, mit Ausnahmen natürlich, 
haben die tatsächlich etwas zu sagen? 
Wenn ich die Leute nehme, die ich kenne 
... da wird in der totalen Desorientierung 
einfach herumgeschnüffelt und reagiert. 
du Fresne: Und wenn der Schüler sagt 
„richtig, aber ich finde kein Vorbild“? 
Pini: Sag hat dem Jungen, er sollsich einen 
Beruf suchen, in dem er ein Vorbild hat. 
Architekt muß man ums Verrecken sein 
wollen. 
Legende der Bauten Atelier 5 
\ Haus Alder, Rothrist/AG, 1957/58 
Siedlung Halen bei Bern, 1955/61 
Fabrik Müller, Thun/BE, 1956/59 
Mensa in Stuttgart-Vaihingen (BRD), 1970/76 
Haus Steinmann, Aarburg/AG, 1957/59 
Terrassenhäuser Flamatt 1, Flamatt/FR, 1957/58 
Terrassenhäuser Flamatt 2, Flamatt/FR, 1960/61 
Siedlung Park Hill Village, Croydon (GB), 
1966/70 
Haus Citron, Carona (TI), 1961/64 
‘Haus Brossi, Gerlafingen/SO, 1963/65 
Haus Móhl, Kerzers/FR, 1963/66 
Haus Roth, Oberhóchstadt/Frankfurt (BRD), 
1967/69 
Studentenwohnheime in Stuttgart-Vaihingen 
(BRD). 1966/72 . 
Siedlung Wertherberg (BRD), 1965/67 
Wettbewerb Karlsstadt, 1966 
Amthaus Bern, 1976/81 
Kunstmuseum Bern, 1976/83 
, Haus Vaucher bei Bern, 1980/83 
i9) Siedlung Thalmatt 2 bei Bern, 1981/85 
&) 
Abb. oben: Le Corbusier, Villa 
Carthage, 1928 
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