pius 1925 das erste Bauhausbuch mit Bei-
spielen aus der ganzen Welt dafür, wie aus
gleichgerichtetem Gestaltungswillen, in
Entsprechung zu den überall gleichen
technischen Kräften, eine neue Architek-
tur erwachse. 1927 publizierte Hilbersei-
mer eine Art Fortsetzung unter dem Titel
„Internationale Neue Baukunst“ und Phi-
lip Johnson und Henry-Russell Hitchcock
lieferten dann 1932 mit ihrer Publikation
„International Style“ endgültig das
Schlagwort, an dem bis heute die ganze
moderne Architektur leidet, denn letzlich
verengte sie sich dadurch auf einige forma-
le Elemente wie Flachdach, kubische Ge-
staltung oder Skelettkonstruktion.
E ür die Kritiker der Moderne war ins-
besondere diese angebliche Interna-
tionalität das schlagende Argument für
deren Geschichts- und Bindungslosigkeit.
Gegen die international gleiche Architek-
tur stellten die konservativen Kritiker die
Vielfalt des heimat- und traditionsgebun-
denen Bauens. Für die nationalistische
Rechte wurde Internationalismus zum
Synonym für Bolschewismus und Wurzel-
losigkeit des Judentums im Gegensatz zur
deutschen Blut- und Boden-Architektur.
Alexander von Senger, einer der wider-
wärtigsten NS-Propagandisten, diffamier-
te deshalb auch speziell Le Corbusier als
»Trojanisches Pferd des Bolschewismus“
und als ,Brandfackel Moskaus““; dafür
erhielt er im übrigen den Lehrstuhl für
Baugeschichte an der TH München. Inter-
nationale Beliebigkeit und Wurzellosig-
keit sind auch die Vorwürfe Paul Schmitt-
henners gegen Le Corbusier, den das Par-
teimitglied namentlich 1932 in seiner Pro-
pagandaschrift „Das deutsche Wohn-
haus“ angriff. Daß Schmitthenner 1952,
kurz nach seiner Entnazifizierung, wieder
ausgerechnet an Le Corbusiers Kirche in
Ronchamp eine Abrechnung mit der Mo-
derne betrieb, zeigt wo das konservative
Bauen der Nachkriegszeit wieder einsetz-
te. In direkter Parallele dazu steht der
Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, der in
den 30er Jahren das „Bodenlose“ der Mo-
derne verdammte und 1948 in seinem be-
rüchtigten Buch „Verlust der Mitte“ am
Beispiel der Architektur Le Corbusiers
das aus seiner Sicht aufbrechende Chaos
in einer bindungslosen Zeit diagnostizier-
te. Peinlichkeiten und Gesinnung entspre-
chen sich.
Die moderne Kunst hat es nicht nötig,
gegen derartige Angriffe verteidigt zu
werden, aber das Schlagwort Internatio-
nale Architektur, bzw. international style
verdeckt bis heute nicht nur die Vielfalt
der Auffassungen, sondern auch Positio-
nen wie die von Le Corbusier und Bruno
Taut, die einer internationalen Nivellie-
rung konträr entgegenstanden. Schon
Gropius grenzte für seine Ausstellung „In-
ternationale Architektur“ 1923 die organi-
sche Architekturrichtung mit Häring, Ra-
ding oder Scharoun aus und verengte den
Blick auf eine geometrisch-funktionale
Formensprache. Die organisch-funktio-
nale Form im Sinne Härings konnte in die-
ser, später durch Sigfried Giedion kanoni-
sierten Moderne nie Fuß fassen. Schon
Mies van der Rohe erkannte allerdings,
daß die organisch geschwungenen Kurven
Härings letztlich genauso formalistisch
sind wie geometrische Kuben. Er forderte
deshalb, Bauten elementar aus ihren kon-
struktiven Bedingungen heraus zu entwik-
keln: „Eine Landschaft oder ein Wald be-
steht auch nicht aus formal gleichen Gebil-
den und ein Wachholderstrauch steht sehr
gut zu einem Rosenstrauch. Wäre die Na-
tur formal so langweilig wie unsere archi-
tektonischen Gebilde, so wäre auch hier
längst eine Revolution ausgebrochen".*?
Diese Forderung von Mies nach architek-
tonischer Vielfalt mutet heute paradox an,
denn gerade seine Konzentration auf die
Konstruktion führte entscheidend zur in-
ternationalen Verengung der architekto-
nischen Formensprache.
Von den modernen Architekten in
Deutschland wandte sich besonders Bru-
no Taut gegen diese globale Vereinheitli-
chung der Architektur gegen den ,,0den
Schematismus des internationalen Schun-
des“ und gegen die formalen AuBerlich-
keiten, die sich wie ein , verdünnter Auf-
guf5 über die ganze Welt ergieBen.* Bauen
war für Taut ein Erzeugnis kollektiver und
sozialer Gesinnung, er bezog sich also auf
die Gesellschaft, deren Verschiedenartig-
keit in allen Lándern zum Ausdruck kom-
men sollte: „Ihre Zweckbestimmung wird
das nordrussische Haus nicht etwa einem
javanischen ähnlicher machen, sondern
im Gegenteil ... die Erde soll reicher wer-
den; denn in den Bauten, aus den Bauten
spricht ihr Geist". Diese Auffassung hätte
auch Le Corbusier geteilt, denn der von
ihm gesuchte Standard ging von der Ent-
wicklung einer Gesellschaft aus, er war die
Resulatante aller ihrer Wirkkráfte. Hier
liegt der entscheidende Unterschied zu
den Funktionalisten aller Colours, von
Gropius bis Häring und von Hannes Mey-
er bis Mendelsohn, die nach einer optima-
len Form für einen von Geschichte, Tradi-
tion oder Nationalität abstrahierten Funk-
tionsablauf suchten.
Ein Grund zu Verwirrung und Mißver-
ständnissen liegt nun darin, daß Le Corbu-
sier aber mit seinen städtebaulichen Ideen
und Projekten weitgehend die Ziele einer
internationalen Architektur verfolgte.
Besonders in den 30er und 40er Jahren
wandte er die rigide Geometrie seiner ville
radieuse golbal an, von Buenos Aires bis
Moskau und von Bogota bis Algier. Im
Kreis der CIAM-Architekten erschien Le
Corbusier dadurch als der führende Kopf
und ein Andersdenkender wie Hugo Hä-
ring wurde schon 1928, im Gründungsjahr
von CIAM, praktisch nach Hause ge-
schickt.“ Häring, der schon 1925 gegen
die ,,lebenserschôpfende““ und tôtende
Geometrie von Le Corbusiers Städtebau
geschrieben hatte, verfaßte darauf bissige
Artikel gegen den „überlebten Le Corbu-
sier“*, der die Menschen in seinen Hoch-
háusern wie Heringe aufeinanderpresse,
um große Grünflächen zwischen den Häu-
sern zu bekommen. Auch Bruno Taut sah
bezeichnenderweise keinen Platz für sich
im CIAM-Kreis, deren städtebaulichen
Internationalismus er verachtete: „Nach
Meinung der maßgeblichen Verfasser ...
soll die parallele Linierung von Norden
nach Süden der Erdoberfläche ohne
Rücksicht auf Berg und Tal, Fluß und
Wald, Moos und Fels aufgepreßt wer-
den.“ CIAM war für ihn deshalb „der
Hofeines Königs, dessen Name Le Corbu-
sier ist.“ Taut erkannte allerdings auch die
Sonderstellung Le Corbusiers: „Sein For-
malismus hat jedoch, da er aus der franzö-
sischen Eleganz geboren ist, nicht viel mit
Zeilenbau zu tun und gar nichts mit der
Schulmeisterei, zu der eben der Formalis-
mus in Deutschland werden muß.“
Die Sonderstellung Le Corbusiers zeigt
sich aber nicht so sehr im Städtebau, son-
dern bei seinen Entwürfen. Seine Suche
nach einem Standard umfaßte nicht nur
wie bei Taut die jeweilige Bautradition ei-
nes Landes oder einer Region, sondern
auch deren Geschichte. Wie kein anderer
moderner Architekt im 20. Jahrhundert
griff Le Corbusier auf die Architekturge-
schichte zurück und integrierte oder trans-
formierte charakteristische „Standard“-
Lösungen in seine Entwürfe. So sind z.B.
in Ronchamp die Grundformeln des
christlichen Kirchenbaus, oder in La Tou-
rette die Struktur der Ziesterzienserklö-
ster ins 20. Jahrhundert übersetzt; im Par-
lament von Chandigarh verschmilzt die
technische Form eines Kühlturms mit der
indischen Form des Jantar Mantar Obser-
vatoriums zu einer neuen komplexen
Symbolik für indische Demokratie.“ Die
gesamte Nachkriegsarchitektur Le Cor-
busiers könnte als Suche nach neuen Stan-
dards für alle Bauaufgaben beschrieben
werden, im größten Gegensatz zu Mies,
der von der Kirche bis zum Museum und
von der Hochschule bis zum Bürogebäude
denselben Bautyp verwendete.
D iese Integration von Geschichte und
Region sowie die symbolische
Überhöhung der Architektur führte schon
Ende der 20er Jahre zu dem sog. Funktio-
nalismus-Streit, bei dem letztlich wieder
Le Corbusiers Auffassung vom Standard
gegen die Konzeption des Typs, sei er nun
aus der Funktion oder der Konstruktion
entwickelt, stand. Schon an Le Corbusiers
Stuttgarter Bauten hatte Hans Schmidt
kritisiert, daß deren ästhetischer Genuß
zu teuer erkauft sei. Diese Spannung ver-
schärft sich, als Le Corbusier auf den
CIAM-Treffen besonders gegenüber den
deutschsprachigen Vertretern, die enor-
me Bauvolumen und Bauerfahrung vor-
weisen konnten, ins Hintertreffen ge-
riet.^ Le Corbusier fühlte sich doppelt
miBverstanden, denn einerseits hielten
ihm seine Avantgarde-Kollegen sein eige-
nes Schlagwort von der Wohnmaschine
vor, andererseits verstanden sie nicht sei-
ne Forderungen nach künstlerischer Ge-
staltungsfreiheit. Schon 1928 kam es zu
Reibereien und Le Corbusier begann ge-
gen die ,,Slawen und Deutschen'?? zu po-
lemisieren, aber erst sein Mundaneum-
Entwurf führte zu offenem Streit. Der
m.