Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1987, Jg. 20, H. 88-92)

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tage gibt es sehr viele moderne Vorrichtungen, die dem Architek- 
turvokabular dieser Gebiete hinzugefügt wurden, wie zum Beispiel 
Sonnenbrecher oder brise-soleils. So lange die Menschen in den 
feucht-tropischen Gebieten ihre Hütten aus Gras und Bambus bau- 
ten, ermöglichten diese Materialien, daß Luft durch die Wände zie- 
hen konnte; und das steile Satteldach war eine sinnvolle Erfindung. 
Als die Bewohner begannen, höher entwickelte Materialien zu be- 
nutzen - Zementblócke für die Wand und Wellblech für das Dach - 
wurden die Häuser unerträglich heiß und stickig. Denn das Well- 
blechdach verhinderte die Lüftung genau an der Stelle, wo sie am 
nötigsten wäre; und die massiven Wände verhinderten den Luft- 
zug. Ein anderes Beispiel ist die mit der Niederschlagsmenge ab- 
nehmende Dachneigung. In Nordeuropa und in den meisten Ge- 
bieten, in denen man mit schwerem Schneefall zu tun hat, sind die 
Giebeldächer steil. Dagegen sinkt in sonnigen Gegenden im Süden 
die Dachneigung immer weiter. In den heißen Regionen an der 
nordafrikanischen Küste werden die Dächer ziemlich flach. In einigen 
sehr heißen Gebieten sind die Dächer bequeme Schlafplätze. Je- 
doch weiter südlich, in den tropischen Regengebieten, sind die Dä- 
cher wieder steil, um vor den sintflutartigen Regenfällen Schutz zu 
bieten. 
Das traditionelle Flachdach und die modernen brise-soleils heu- 
tiger tropischer Architektur beeinflußten mit ihrer modernen Aus- 
strahlung die Phantasie der Architekten aus kälteren Gebieten, die 
ständig auf der Suche sind nach etwas Besonderem und Exoti- 
schem. So gibt es in einigen nordeuropäischen Städten eine völlig 
unpassende Architektur, die in ein fremdes Klima gehört. Die Ar- 
chitekten schafften es, ihre eigene, traditionelle Bebauung altmo- 
disch aussehen zu lassen, ohne auf die Bedürfnisse der Menschen in 
einem bestimmten Klima einzugehen. Dieses Verlangen, das den 
Architekten überfällt, um ein up-to-date-Design zu schaffen, hin- 
dert ihn daran, das wichtigste Ziel von Architektur zu erreichen: 
funktional zu sein. Der Architekt vergißt die Umwelt, in die er seine 
neuen Gebäude hineinpflanzt, da er zu sehr versessen ist auf modi- 
sche Innovationen, Tricks und Kniffe. Er ist nichtin der Lage zu rea- 
lisieren, daB Form nur eine Bedeutung hat im Kontext ihrer jeweili- 
gen Umgebung. 
UMWELT 
Die Technik, die dem Architekten heutzutage verfügbar ist, befreit 
ihn von fast allen Materialzwängen; er kann Entwürfe nach allen 
Stilen der Jahrhunderte und von allen Kontinenten der Erde aus- 
wählen. Aber der Architekt muß sich daran erinnern, daß er nicht in 
einem Vakuum baut und Häuser nicht in den leeren Raum setzt als 
bloße Pläne auf einem blanken Stück Papier. Vielmehr fügt er ein 
neues Element in eine Umgebung ein, die für sehr lange Zeit im 
Gleichgewicht war. Der Architekt ist verantwortlich dem gegen- 
über, was sein Grundstück umgibt; wenn er seiner Umwelt Gewalt 
antut, indem er ohne Bezug zu ihr baut, begeht der Architekt ein 
Verbrechen an der Architektur und der Menschheit. 
Was aber konstituiert die Umwelt eines Gebäudes? Kurz gesagt, 
es ist alles, was das Grundstück auf einem besonderen Gebiet der 
Erde umgibt - einschließlich der Landschaft, sei es Wüste, Tal, 
Berg, Wald, Küste oder Flußufer - und was oberhalb der Erdober- 
fläche ist - die Atmosphäre, die auch das menschliche Leben beein- 
flußt; diese Zone reicht bis zu einer durchschnittlichen Höhe von 
10, in den Tropen bis 20 Kilometer. Sie enthält die Feuchtigkeit, auf 
die Menschen, Tiere und das pflanzliche Leben angewiesen sind. In 
den sechs Schichten über der Atmosphäre sind Oxygen, Ozon und 
Hydrogen in unterschiedlichen Konzentrationen vorhanden - sie 
beeinflussen die kosmische Strahlung, die die Erdoberfläche er- 
reicht. In der natürlichen, in der Umwelt vorherrschenden Ordnung 
hat es immer einen anhaltenden Fluß kosmischer Strahlung gege- 
ben, durch den alle lebenden Organismen und sogar Mineralien ge- 
schaffen und entwickelt wurden. Einige Materialien sind durchläs- 
sig, andere nicht für die unterschiedlichen Bestandteile der kosmi- 
schen Strahlung. Man sollte aufpassen, das natürliche, elektro- 
magnetische Gleichgewicht nicht durch eine falsche Baustoffwahl 
zu zerstören. So ist Holz Stahlbeton in der Umgebung des Men- 
schen vorzuziehen. Auch ästhetisch scheinen die Menschen Holz in 
ihrer náheren Umgebung zu bevorzugen, in Form von Móbeln und 
Baumaterialien. Holz wird oft als warm empfunden im Gegensatz 
zu Stahl und anderen Metallen. Dieser psychologische Effekt kann 
erklárt werden - zum Teil wissenschaftlich - durch die physikali- 
schen Eigenschaften beider Materialien, ihre Wármeleitfáhigkeit 
und ihre Isolierungseigenschaften. 
Diese Einzelheiten zeigen, daB der Architekt eine moralische 
Verantwortung hat bezüglich dem, was die Wirkung eines Gebäu- 
des betrifft und gegenüber dem Wohlbefinden der Menschen, die 
in ihm leben. Neben den mefibaren Teilen der Umwelt existieren 
in ihr nicht faBbare Elemente, die aber durch unzureichende For- 
schung nicht für die Stadtplanung und Architekturentwürfe genutzt 
werden können. Daher ist die Diskussion reduziert auf die meBba- 
ren Teile der Umwelt - hauptsächlich das Klima. Die Wichtigkeit 
des Klimas ist offensichtlich. Alle Lebewesen sind in großem Maße 
abhängig vom Klima, um zu existieren; und sie richten sich selbst 
nach diesem Umwelteinfluß. Pflanzen, die in den Tropen wachsen, 
können nicht in der Arktis gedeihen; dagegen können Planzen der 
Arktis nicht in den Tropen leben, es sei denn aufgrund besonderer 
örtlicher Bedingungen - dem Mikroklima beispielsweise eines ho- 
hen äquatorialen Bergs. Die meisten Lebewesen sind de facto ein- 
geschränkt auf einen bestimmten klimatischen Standort. 
HAUS-MIKROKLIMA 
Bis jetzt sind nicht alle Lebewesen näher eingegrenzt. Viele Tiere 
können ihre eigene, innere Körpertemperatur regulieren und sie so 
auf einem gleichmäßigen Niveau halten, selbst bei großen äußeren 
Temperaturschwankungen. Der Mensch hat einen sehr hoch ent- 
wickelten und sensiblen Mechanismus, mit dem er durch Schweiß- 
abgabe oder stärkerer Blutzirkulation seine Körpertemperatur auf 
37°C reguliert. Im allgemeinen halten Warmblüter größere Tempe- 
raturschwankungen aus als Kaltblüter. Manche Arten können ihre 
Umgebung beeinflussen, um so ein angenehmes Mikroklima zu er- 
zeugen: die Schildkröte macht das während ihres Winterschlafes. 
Der Mensch handelt auf unterschiedliche Art und Weise auch so: er 
kann sein Mikroklima verändern, indem er seine Kleidung wech- 
selt, ein Haus baut, Benzin verbrennt, Bäume pflanzt, künstliche 
Seen gräbt und Maschinen benutzt, die wármen., kühlen, die Luft 
befeuchten oder trocknen. 
Eine grundlegende Aufgabe eines Gebäudes ist die Veränderung 
des Mikroklimas. Der prähistorische Mensch baute seine Häuser, 
um die Naturkräfte abzuhalten - Regen, Wind, Sonne und Schnee. 
Die Aufgabe der Häuser war es, eine Umgebung zu schaffen, die für 
Komfort und selbst für das Überleben wichtig war. Das Mikroklima 
jedes Grundstücks wird durch den Hausbau in mehrere, unter- 
schiedliche Mikroklimate verändert: das Mikroklima, das an der 
Südwand herrscht, ist sehr verschieden von dem der Nord-, der 
West- und der Ostwand. Innerhalb des Gebäudes besitzt jeder 
Raum sein eigenes Mikroklima, das jeweils mehr oder weniger eine 
Veränderung des äußeren Klimas ist. Vor der industriellen Revolu- 
tion war der Mensch angewiesen auf natürliche Energiequellen und 
örtlich verfügbare Materialien um seine, physiologisch einwand- 
freie Behausung zu schaffen. Über viele Jahrhunderte, so scheint 
es, lernten die Menschen überall, auf ihr Klima zu reagieren. Das 
Klima bestimmte den Lebensrhythmus, ihre Häuser und ihre Klei- 
dung. Daher bauten sie Häuser mit mehr oder weniger befriedigen- 
den Mikroklimaten. In den warm-schwülen Gebieten in Ost-Asien 
leben die Einwohner in Hütten mit locker gewebten Wänden, die es 
erlauben, daß die leichteste Brise durchwehen kann. Die Men- 
schen, die unter der grellen Wüstensonne leben, bauen ihre Häuser 
mit dicken Wänden, um sich vor der Hitze zu schützen, und mit sehr 
kleinen Öffnungen, um die heiße Luft und die Helligkeit der Sonne 
abzuhalten. 
Diese erfolgreichen Lösungen von Klimaproblemen entstanden 
nicht mit wissenschaftlichen Begründungen; sie entwickelten sich 
aus unzähligen Experimenten, Zufällen und der Erfahrung von 
Handwerkergenerationen. Sie setzen fort, was funktionierte und 
lehnten ab. was nicht funktionierte. Diese Lösungen wurden wei-
	        
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