Full text: ARCH+ : Zeitschrift für Architektur und Städtebau (1988, Jg. 20, H. [93], Jg. 21, H. 94-97)

Walter M. Kroner 
DIE INTELLIGENZ DER GEBAUDE 
EIN DEFINITIONSVERSUCH 
I ntelligent ist eine Architektur, die in keit zur Diagnose und Selbstanalyse sowie beitete wie ein intelligentes Gebäude. 
der Lage ist, Erscheinungen und Fak- automatische Reparaturen und Instand- Weitere Beispiele sind Efeu-bewachsene 
toren, die von Innen oder Außen auf Ge- haltungsarbeiten mit Hilfe von Robotern. Gebäude, Zeltbauten, die Iglus der Eski- 
bäude einwirken und den Baukörper, sei- Unabhängig davon, wie eine intelligente Mos oder das traditionelle japanische 
ne Bewohner und Benutzer beeinflussen, Architektur letztlich aussehen mag, wird Bauernhaus. 
mit Sensoren zu erfassen und darauf zu deutlich, daß eine solche holistisch-inte- Diese frühen Formen intelligenter Ge- 
reagieren: eine intelligente Architektur grative Architektur in dieser Form heute bäude weisen eine Anzahl interessanter 
verfügt darüber hinaus über die Mittelund noch nicht existiert. Außerdem wird deut- Eigenschaften auf: 1. Respekt und Har- 
Wege, die Leistung eines Gebäudes insge- lich, daß eine solche Architektursichnicht Mmonie in Bezug auf die Umwelt und den 
samt sowie seinen Ressourcenbedarf und auf der Grundlage von streng abgegrenz- Menschen; 2. eine vernünftige Form von 
-output zu steuern und auf diese Weise ten wissenschaftlichen Untersuchungen Intelligenz, die eine enge Beziehung zwi- 
Umweltbedingungen zu schaffen, die den intelligenter Technologien entwickeln Schen den Bewohnern fördert; 3. eine 
Erfordernissen sowohl der Ökologie als kann, sondern aus der Architektur selbst Wechselwirkung zwischen Haus und Be- 
auch der Bewohner und Benutzer Rech- hervorgehen muß. nutzer, die es dem Benutzer ermöglicht, 
nung tragen. Wir können uns eine Architektur und Konstruktiv auf das Haus zu reagieren; 
Entsprechend muß eine intelligente Ar- urbane Umwelt vorstellen, die als Arte- und 4. eine dynamische Flexibilität, die 
chitektur über folgende Fähigkeiten und fakt eine Reihe von menschlichen Fähig- auf sich ständig verändernde Bedingun- 
Eigenschaften verfügen: keiten und Eigenschaften beinhaltet. In gen reagiert. 
® Sie muß bestimmte Bedingungen wie diesem Sinne werden die menschlichen 
Wetter, Klima, Belegung, Systemausfälle Fähigkeiten erweitert und der Mensch A 
und Fehlfunktionen, Temperatur, Luft- schafft sich flexibel und sensibel reagie- 
feuchtigkeit, Beleuchtungsintensität, rende räumliche Strukturen. 
Auslastung bzw. Nutzungsgrad und zahl- Das eigentliche Ziel ist demnach eine 
reiche weitere Faktoren fühlen und mes- wahrhaft flexibel reagierende Architek- 
sen können, die für das Funktionierendes tur, dynamisch in Funktion und Form, und Pe 
Gebäudes und für die Gesundheitund das anpaßbar an den Ort mit dem Menschen , ; 
Wohlbefinden der Bewohner/Benutzer = 
wichtig sind. Ze 
® Sie muß in der Lage sein, Informatio- FRUHE BEISPIELE INTEL- 
nen, Instruktionen und frühere Nutzungs- LIGENTER ARCHITEKTUR ; 
formen und Reaktionen zu speichern, und 
entsprechend über eine Art von Gedächt- 
nis sowie über eine gewisse Lernfähigkeit F rühere Architekturen waren Aus- 
zu verfügen. druck einer Symbiose zwischen Häu- 
® Sie muß ihre physikalischen Charakte- sern und ihren Bewohnern: Die Bewoh- 
ristika und Eigenschaften modifizieren ner waren in der Lage, die Funktion des = 
können, um angemessen auf äußere Be- Gebäudes durch gezielte Entscheidungen 
dingungen, programmierte Instruktionen zu kontrollieren. Damit kam dem Bewoh- M it dem Beginn des 16. Jahrhunderts 
oder Anweisungen von seiten der Bewoh- ner eine entscheidende Rolle für den er- und während der gesamten Phase 
ner/Benutzer reagieren zu können. Dabei folgreichen und intelligenten Betrieb des der industriellen Revolution bis ins 20. 
müssen die Transparenz des Gebäudes, Gebäudes zu. Ohne den Bewohner konn- Jahrhundert verliehen andere Wertvor- 
die Wärmeleitfähigkeit, die Wärmespei- te das Haus weder funktionieren noch be- stellungen und Prioritäten unseren Ge- 
cherfähigkeit, die Richtungsorientierung, saß es ohne ihn eine eigene Intelligenz. bäuden das, was manche „Intelligenz“ 
die Farbgebung, die Oberflächenstruktur Ein anschauliches Beispiel dafür sind nennen würden. Diese Phase zeichnet sich 
und andere Eigenschaften entweder die bekannten Fensterläden: Sie sind eine durch eine Reihe einzigartiger Entwick- 
durch ein automatisches Steuerungssy- Kontrolle über die Akustik, die Beleuch- lungen aus: 1. Die zunehmende Entfrem- 
stem oder durch manuelle Eingabe von tung, die Temperatur und die Belüftung, dung des Menschen von der gebauten 
seiten der Bewohner/Benutzer veränder- schützen vor dem unerwünschten Ein- Form und das Ende der symbiotischen Be- 
bar sein. dringen von Mensch und Tier und bieten ziehung zwischen Objekt und Mensch. 
® Sie muß in der Lage sein, Informatio- einen Sichtschutz. Darüber hinaus vermit- Der Mensch war zunehmend der Notwen- 
nen über ihren Funktionszustand undihre teln sie mit ihrem Schmuck und ihrem digkeit enthoben, seiner Unterkunft zu 
Leistung an den Bewohner/Benutzer, den Charakter eine gewisse Identität gegen- dienen und sie zu erhalten und verlor im 
Hausbesitzer oder das Wartungspersonal über der Öffentlichkeit. Der Fensterladen gleichen Maße seine enge Beziehung mit 
weiterzuleiten. Dazu gehören die Fähig- ist also eine intelligente Erfindung und ar- der Natur, soweit es den Bauzusammen- 
62
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.