Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1882, Bd. 1, H. 1/12)

Vor einiger Zeit kam seine Frau nieder. Er hatte dieselbe ver- 
geblich zu bestimmen gesucht, auch „wollen“ zu werden, da sie schon 
länger an einem Herzfehler und in Folge dessen an wassersüchtigen 
Erscheinungen litt. Die Frau hatte also einen wässrigen, zu Zerset- 
ungen und damit zu Duftentbindungen besonder3 disponirten Körper. 
Da dis Entbindung unerwartet geschah, so hatte ihr Mann, der sonst 
feine Geburtshelferpraxis treibt, die Sache selbst zu leiten und sich 
voll und ganz den Krankheitsdüften, die besonders massiv waren, aus- 
zusehen, und zwar als Hausgenosse nicht blo8 während des Vorgangs, 
sondern andauernd. Das sofort sich einstellende Unwohlsein steigerte 
sich nach einigen Tagen zu einem heftigen gastrischen Fieber mit starkem 
Phantasiren. 
Lekteres ist nun eine <arakteristische Erscheinung bei Wollenen 
wie bei allen kräftigen Naturen -- jeder Arzt weiß, daß die 
Krankheitserscheinungen um so heftiger sind, je kräftiger die Constitution 
des Satienten ist. =- Da ich verreist war, wurde ein anderer mit der 
Natur der Wollenen nicht vertrauter Arzt geholt, der -- vielleicht be- 
einflyßt durc< die Stimmen derjenigen, die mich mit sammt meinen 
Anhänzern für Narven halten =- den Patienten für irrsinnig und 
seine Verbringung in eine Anstalt für nothwendig erklärte. Zum Glück 
widersekte sich dem die in einem andern Haus wohnende Mutter des 
Patienten und ließ ihn in ihre Wohnung verbringen. Sofort, als 
derse!9e aus der verpesteten Atmosphäre in eine reine 
verse „t war, verschwand das Phantasiren. I< fand den 
Patienten drei Tage darnach no< schwach und sc<hlummersüchtig und 
zündete die Platinlampe bei ihm an. Diese wirkte sofort und führte 
den Kranken schlank in einer unbegreiflich kurzen Zeit zu völliger Ge- 
nesung, deren Fortschritt nicht einmal dadurch gestört wurde, daß die 
Frau -- augenscheinlich unter dem tiefen Eindru> der Nachricht, ihr 
Mann sei irrsinnig -- das Kindbettfieber bekam und starb. Daß dieser 
Vorfall von allen Wollgegnern Stuttgarts nach Möglichkeit ausgebeutet 
wurde und sich ein ungeheurer Klatsch breit machte, werden sich die 
Leser des Blattes selbst au8malen können, und noch jekt, nachdem der 
gewesene Patient schon seit Wochen stramm als ein „wandelndes Bild 
der Gesundheit“ wieder durch Stuttgarts Straßen schreitet, hört man 
steif und fest behaupten, er fei im Irrenhaus. So ist die Welt! Aber 
es nüßt sie doch nichts, es geht wie bei dem Kampf der Fuhrleute 
gegen die Eisenbahn. 
Die Selbstvergifkung. 
In dem in Desterreih erscheinenden illustrirten Journal „Die 
Heimath“ (Nro, 22 des Jahrgangs 1882) finde ich folgende Notiz: 
„Wie wir uns vergiften. Der große französische Toxikologe 
Claude Bernard machte eine Reihe von Experimenten, um zu be- 
BR
	        
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