Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1883, Bd. 2, H. 1/15)

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ein kleines viereckiges, sogenanntes „Arba Komsos,“ wörtlich Viere>en, 
welches die Juden gewöhnlich zwischen Hemd und Weste tragen, vor- 
geschrieben; ja sogar erlaubt, daß dieses im Nothfalle auch aus Leinen 
jein darf. Diese Auffassung ist bei der ängstlichen Gewissenhaftigkeit, 
mit der bei Auslegung unserer Geseze von den orthodoxen Rabbinen 
sonst verfahren wird, geradezu staunenswerth und erklärt sich nur dadurch, 
daß das Schaufädengeset als ein rein religiöses betrachtet wird, und daß 
die Bedeutung des Schaatnesgesees schon in sehr früher Zeit, man 
sagt zu Salomos Zeiten, nicht mehr bekannt gewesen ist. Ja, es soll 
dieses das einzige Geset sein, von dem unsere Gelehrten keine feste 
Erklärung wissen. Es ist aber mit Sicherheit anzunehmen, daß die 
damals üblichen Kleider, die jedenfalls nicht wie heute dem Modenwechsel 
unterlagen, nur vier E>en gehabt haben. Ein langes viereckiges Stück 
Zeug, in dessen Mitte die runde Kopföffnung, nach hinten und vorn 
gleichlang herabhangend und in der Taille mit einem Gürtel zusammen- 
gehalten,*) bildet die Grundlage der damaligen Röcke. Hosen trug man 
nicht ; dieses und die Vorschrift der leinen Hosen und des leinen-Priester- 
anzuges für den heiligsten Dienst am Versöhnungstage, welche beiden 
aber gerade meine obige Erklärung des profanen Wollkleides mit be- 
weisen, hier heranzuziehen würde den Artikel für das Monatsblatt zu 
sehr ausdehnen.“ Soweit Herr Samuel! 
Nehmen wir all das zusammen, so scheint zweifellos, daß im Alter- 
thum bei Egyptern, Juden, Griechen und Römern die allgemeine und 
vorschriftsmäßige Profankleidung reine Wolle war und daß 
die Leinengewänder wohl zuerst von den wegen ihrer Verweichlichung 
verspotteten und verachteten Asiaten (Perser, Meder 2c.) als Profankleid- 
ung, von den obgenannten wollenen Völkern dagegen nur zu Kultus- 
zwecken, d. h. als Priestergewand, Leichengewand, (die egyptischen 
Mumien sind stets in Leinwand gewickelt), und zur Einwicklung hei- 
liger Dinge verwendet wurden, und beim Priestergewand ist höchst 
bezeichnend, daß dasselbe stet8 frisch gewaschen sein mußte. Die Frage 
ist jeht nur, ob in dem hygienischen von mir klar erkannten Gegensaß 
zwischen Wolle und Linnen eine Erklärung für diesen gegensäßlichen 
Gebrauch derselben gefunden werden kann. I< behaupte, daß das 
der Fall ist und zwar so: 
Da bei den genannten Völkern Wolle die ursprüngliche Kleidung 
war, so mußten leinene Gewänder, mit denen sie später bekannt wurden, 
beim Anlegen einen ähnlichen Eindru> auf sie machen, wie wenn wir 
Wollene jezt wieder ein Leinenhemd anziehen. Jeder Wollene nun, 
der dieses Experiment macht, wird sich überzeugen, daß es ihm angst und 
bange, unheimlich zu Muthe wird; es ist ihm, als werde er von einer 
unsichtbaren, fremden, geheimen, unwiderstehlihen, überwältigenden 
Macht gefaßt und niedergedrückt, und das mußte jenen Naturmenschen 
als der Ausfluß von etwas Ueberirdishem, Göttlichem er- 
*) Also genau wie mein Wettermantel! G. Jäger.
	        
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