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Die Naturverschiedenheiten sind auch der Stein des Anstoßes für
die arzneiliche Behandlung Kranker : eine Arznei, die in zehn
Fällen sich bewährt, kann im elften möglicherweise nicht blo3 nichts
nüßen, sondern positiv schaden. Wie viele Menschen sind 3. B. deß-
halb shon durch Arzneien vergiftet worden! Dieß hat denn auch die
arzneil:%2 Bohandlung, insSbesondere die mit großen sogenannten all9-
pathiyh-1 Daseon, nicht blos beim Publikum , sondern auch bei den
Aerzten se'bt jo in Mißkredit gebracht, daß unsere modernen Allopa-
then nur schr ungern überhaupt noch Arzneien geben. Diese Arznei-
krankheiten haben denn auch zur Homöopathie, d. h. den kleinen
Gaben derselben geführt, weil hiemit die Gefahr, durch ein falsch ge-
wähltes Mittel zu schaden, bedeutend vermindert wurde. Allein auch
für den Homöopathen bilden die „Naturverschiedenheiten“ der Patienten,
die nicht einmal bei einem und demselben Menschen länger gleich blei-
ben, sondern je nach Disposition, Genius epidemicus u. s. f. wechseln,
die Hauptschwierigkeit: wenn er ein individuell falsches Mittel wählt,
so heilt er eben nicht.
Gehen wir nun zu den Farben, so ist schon die bei der Wahl
der Kleiderfarbe unbewußt ausgeübte Mannigfaltigkeit des „Geschmacks“
ein hinreichender Fingerzeig, daß nicht alle Farben auf alle Menschen
gleich wirken. Allerdings, weil unsere Gelehrten nicht mehr wissen,
was Justinkt und Gefühl ist, glaubt man, hiebei sei nur das Auge
betheiligt. Daß dem aber nicht so ist, beweist schon das Mißbehagen,
oder wenigstens verminderte Wohlbehagen, das die meisten Menschen
in schwarzen Kleidern befällt, und dann die namentlich seit Gebrauch
der Anilinfarben stet8 von Zeit zu Zeit auftauchenden Fälle von hef-
tigen Vergiftungen durch die Farbe von Kleidungsstüken , deren einen
ich in Nr. 11 pag. 174 mitgetheilt habe.
Daß mir ein weiteres Licht in der Sache aufgehen mußte , ver-
danke ich theils meiner Entdeckung der Neuralanalyse, theils aber dem
Wollregime, und zwar deßhalb :
Wenn zwischen der ja ganz allgemein gefärbten Oberkleidung
ein ungefärbtes Weißhemd getragen wird, so ist die Farbstoffwirkung
nur aus dem Oberkleid möglich und dann natürlich nie so stark, als
wenn die Unterkleidung gefärbt ist, wie dies bei den Wollhemden,
wollenen Unterleibchen u. s. f. ganz allgemein geschieht. Hiezu kommt
nun, daß beim „Reinwollenen“ die Haut eine viel gesteigertere Thätigkeit
entfaltet, namentlich viel wärmer ist, als bei dem Weißhemdträger.
Dadurch werden die im Wollhemd sitzenden Farbstoffe lebendig gemacht
und kommen jetzt zur Geltung.
I< gebe nun im Folgenden einige der schlagendsten Fälle, die
mir bekannt geworden, und zwar von zwei bisher für ganz harmlos
gehaltenen Farbstoffen, nämlich Blauholzs<warz und Cohenille.
. 4) Eine Dame im Großherzogthum Baden schreibt am 19./40:
„Voriges Jahr (September) habe ich Jhr Wollregime versucht =>
habe mich jedoch dabei nicht wohl gefühlt. J< empfand eine Schwäche und