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meiner Gattin nachzugeben und einen Versuch zu machen, wenn nur
die. Anschaffung nicht gar zu theuer gewesen wäre. Meine Natur
hat große Zähigkeit und Reactionskraft, und hätte ich ein ganz ge-
sunder Mensch sein können, wenn nicht ein vom Herbst 1847 her
datirendes <ronisches Kehlkopfleiden durch die von jeder kleinen Er-
kältung herbeigeführten akuten ParoxiSmen mich diese langen Jahre
hindurch immer in einem krankhaften Zustand erhalten hätte. Jn
jedem Winter hatte ih 5-6 solc<e Anfälle, die jedeSmal 10--14 Tage
mich verhinderten, das Haus zu verlassen und mich oft 4--5 Tage
an das Bett fesselten, wodurch ich in der AuSübung meiner ärztlichen
Praxis ungemein gestört wurde. J< hatte alle Hilfsmittel, die die
Wissenschaft bietet, angewandt, ich hatte auf jede mögliche Art ver-
jucht mich ahbzuhärten, aber alles war vergebens; ich mochte thun,
was ich wollte; ich erkältete mich bei jeder Gelegenheit und als selbst
der b*unt angenehme Sommer dieses Jahrs keine Aenderung brachte,
da 6: | h endlich, wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm, in
mein“ *. orzweiflung zu der verhaßten Wollkleidung und danke Gott,
daß 1.1 es gethan habe: denn ich bin jezt, wie alle meine hiesigen
Freunde und Bekannte wahrgenommen, ein ganz anderer Mensc<h wie
früher und traue mir jeßt zu, noch ca. 45 Jährchen in dieser irdischen
Welt verbleiben zu können.
Cin großes Hinderniß stand noc< im Wege, nämlich der hohe
Preis der ersten Anschaffungen, aber da traten gute Freunde in's
Mittel, indem sie mich in den Stand setzten, die bedeutende Ausgabe
zu machen und so nehme ich diese Gelegenheit wahr, allen den be-
kannten und unbekannten Freunden, die dazu beigesteuert haben,
meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen ; möge ihnen das Bewußtsein,
mein körperlicyes und geistiges Wohl gefördert und mir eine Aussicht
auf ein längeres Leben geschaffen zu haben als Lohn dienen.
Hier in Leipzig ist Herr Peter Fournell Neumarkt 8 der von
Herrn Prof. Jäger concessionirte Schneider, der alle zur Normal-
kleidung gehörenden Stoffe und Unterkleider führt, und so faßte ich
all meinen Muth zusammen, begab mich zu diesem und ließ mir einen
Normalanzug anmessen, hatte aber offen „standen, wenig Hoffnung,
daß ich ihn tragen könnte, da ich niemals Wolle an meinem Körper
hatte vertragen können, ja ich hatte vollständig Angst davor. Der
Anzug wurde aber sehr schnell fertig gestellt, und da ich niemals
etwas halb thue, so wurde auch sofort alles angeschafft, was nöthig
war und des Nachts auch das dicht am Kopfende meines Bettes be-
findliche Fenster geöffnet, wie es Prof. Jäger vorschreibt. Da ich
gerade eine bedeutende Erkältung mit Fieber hatte, so dachte ich, es
wäre wohl die geeignetste Zeit, mit der Wolle zu beginnen, da es
ja dann nichts ausmachen würde, wenn ich die sogenannte Wollkrise
mit Fieber bekommen würde, das ginge dann in einem hin. Es
war der Tte August und die Temperatur schwankte zwischen 48 und