Full text: Professor Dr. G. Jägers Monatsblatt : Zeitschrift für Gesundheitspflege u. Lebenslehre (Jg. 1884, Bd. 3, H. 1/12)

Beilage zu Prof. hr. G. Jägers Monafsblaff Ar. 3 1684. 
Seele und Geist im Sprac<gebrauch. 
Nac<h Prof. Dr. G. Jäger. 
Geist und Seele werden vom deutschen Sprachgebrauch fast 
durc<weg scharf unterschieden. Man probire es einmal und vertaushe 
in irgend einer anerkannt gebräuchlichen Redensart das Wort „Seele“ 
mit dem Wort „Geist“ oder umgekehrt, und man wird finden, daß 
sich entweder ein Unsinn oder ein völlig anderer Sinn ergibt. Dieser 
scharfe Unterschied. den der deutsche Sprachgebrauch zwischen Seele 
und Geist mach. ist um so merkwürdiger, weil er kaum ein Verdienst 
der „Psychologi-“ ist, welche im Gegentheil sih um die Confusion 
der Begriffe Seole und Geist verdient gemacht hat; denn sie redet 
;. * von dem Denken als von einem „Seelenvermögen“ und fündigt 
87 * onfusionsräthin an schon durch ihren Namen „Bsy<ologie“ 
d. „eelenl“hre (wahrscheinlih um uns glauben zu machen, sie wisse, 
was Zeele i*), während sie vorherrschend strenggenommen eine Phä- 
nom: ?gie des Geistes ist, und ohne zu bedenken, daß schon. in der 
mytbvwgischen Zusammenstellung von Psyche und Amor klar zu Tage 
trit? jBsyche bedeute nicht das denkende Prinzip, sondern das füh- 
lenv 
Halten wir eine Umschau auf dem Gebiet des deutschen Sprach- 
sc<haß-3, um obige Behauptung zu erhärten. 
“ 3 mag ehrlich zugestanden werden: es gibt Punkte, wo die 
Begri: Zeele und Geist in einander übergehen. Der Begriff Seele 
in eu. * seiner mannigfachen Nuancen ist synonym mit dem Begriff 
Gemü;y ",. €. „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer 
Seele und von ganzem Gemüth“). Der Begriff Seele hinwiederum 
berührt sich mit dem Begriff Go jsinnung (Gesinnungsart, Denkart), 
womit wiederum der Begriff Geist in einer seiner Nuancen identisch 
iwf -2.. 7 wenn gesagt wird: „erneuert euch im Geist eures Ge- 
müths", v. ". in der Gesinnungsart eures Gemüths, eures Herzens; 
oder wenn die Denkart, Gesinnungsart eines Geschlechts als „Geist 
ver Zeit“ bezeichnet wird. Eine Person von gemeiner niedriger Ge- 
sinnu.:g8art kann man eine Dr . .. seele bezeichnen hören. An diesem 
Wo? - 3 man aber zugleich völlig deutlich, daß die Begriffe Seele 
und -«, auch wo sie sich berühren, sich doch keineSwegs deen; 
denn . denkt man bei „Seele“ in diesem Fall ohne Weiteres an ein 
Ondiwawuum, bei Geist dagegen an die Gesinnungsart entweder eines 
Individuums oder einer Gesammtheit. 2. Unter Dr .. „seele versteht 
man einen von niedrigen Leidenschaften beherrs<ten Mensch und diese 
Leidenschaften sind 'seelis< und nicht geistig. Daß die gemeine 
Gesinnung, der aufs Niedrige gerichtete Geist des Gemüths einen 
Menschen zur Dr... seele stempelt, ihn uns seelisch widerlich macht, 
darf uns so wenig wundern, als daß dieser Geist sich auch in ge- 
meinen Gesichtzzügen, also auf dem Gebiet des wieder, seelischen“ Bil-
	        

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