GERMAN J. KRIEGLSTEINER
noch ein großer Nachholbedarf. Jedoch hat sich die Mykologie als eigen-
ständige Disziplin emanzipiert und etwa ab 1955 einen ungeahnten Auf-
schwung zu verzeichnen, was allein schon an der Zahl der jährlichen Pu-
blikationen zu ersehen ist, die 1970 auf über 10 000 geschätzt wurde (M.
Moser 1973).
Die taxonomisch-nomenklatorische Bestandsaufnahme der Pilze, na-
mentlich der Makromyzeten (= auffällig fruktifizierende Ständer- und
Schlauchpilze) steckt noch weitgehend in den Anfängen, zumal der Art-
und Rassenbegriff bei Pilzen wesentlich schwieriger zu fassen ist als bei
den Gefäßpflanzen (vgl. Internationales Sympoium über das Art- und
Rassenproblem bei Pilzen, 1973), doch haben wir dank der Monographien
wenigstens in einigen Ordnungen (z.B. Boletales), Familien (z.B. Amani-
taceae), Gattungen (z.B. Lactarius) der Hutpilze größere Fortschritte zu
konstatieren. In erster Linie scheinen die Agaricales s.l. vergleichsweise
gut bearbeitet und aufgeschlüsselt: Die 4. Auflage der „Röhrlinge und
Blätterpilze‘“ (M. Moser 1978) weist für Mitteleuropa etwa 3150 Taxa
auf, und BREsInsKY und Haas (1976) listen für das Areal der Bundesrepu-
blik Deutschland etwas über 2100 Sippen von Röhrlingen und Blätterpil-
zen auf.
2. Zur allgemeinen Situation in der Pilzgeographie
Die Erforschung der geographischen Verbreitung der Großpilze und der
zugrundliegenden sozio-ökologischen Konditionen (Chorologie, Soziologie,
Ökologie der Makromyzeten) kamen als die jüngsten Zweige der Mykolo-
gie bis heute über vereinzelte lokale und regionale Darstellungen kaum
hinaus. Die größten Teile Europas, und dies gilt auch für die Bundesrepu-
blik Deutschland, sind pilzfloristisch unzureichend oder so gut wie gar
nicht erfaßt; dies rührt auch daher, daß die Kommunikation zwischen der
Hochschulmykologie, die sich weitgehend als Mikroskop- und Labormy-
kologie versteht, und der von autodidaktisch gebildeten Amateuren getra-
genen Pilzkunde, die sich meist in möglichst umfassender Artenkenntnis
erschöpft, ziemlich abgerissen ist. So kommt es, daß die Chorologie der
Großpilze der Pilzfloristik um schätzungsweise ein halbes Jahrhundert
hinterherhinkt. Seit etwa fünf Jahren versucht Verf. in und außerhalb der
Deutschen Gesellschaft für Pilzkunde/Mykologie (DGfM) mittels Ausstel-
lungen, Exkursionen, Kongressen, Kursen, Steigerung des Informations-
flusses und der Transparenz zwischen den „Mykologen‘“ und den „Myko-
philen‘““ eine gemeinsame Ebene für das nur gemeinsam zu lösende Projekt
„Pilzkartierung“ zu schaffen.
Um den Kenntnisstand in der Pilzgeographie zu erhöhen, gründete man
1960 zunächst ein internationales Komitee, welches die Pilzkartierung in
Europa organisieren sollte. Man wählte 100 auffällige, zum Teil leicht zu
erkennende bzw. zu bestimmende Großpilze aus und rief in den Publika-
tionsorganen ein „Europa-I-Programm“ aus. Für die Bundesrepublik
brachten BRESINSsKY und DicHTEL (1971) erstmals von 73 dieser 100 Arten
sogenannte „Grundfeld-Punktkarten“ (die Grundfelder werden von gan-
zen Längen- und halben Breitengraden begrenzt; in Nord- und Südeuro-
pa, wo die Meridiane kon- bzw. divergieren, muß entsprechend korrigiert
Jh. Ges. Naturkde. Württ. 134 (1979)
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