Full text: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg (Bd. 138, 1983)

ULRICH KuLL 
daher aus krautigen Formen erneut verholzte Arten entstehen, kommt es zu 
einem andersartigen Dickenwachstum. Dies zeigen Palmen, Dracaend, Bam- 
busgräser, holzige Compositen, Lobelien, Phytolaccaceen und Chenopodia- 
caen. Dagegen ist der Übergang von der biennen zur annuellen Lebensform 
ohne weiteres reversibel. Viele Einjährige können bei Verhinderung der Blü- 
tenbildung mehrere Jahre alt werden, und bei manchen zweijährigen Arten 
beobachtet man unter Streß eine annuelle Entwicklung (z.B. Verbascum: 
NAGLSCHMI et al. 1982). 
Möglichkeiten und Verfahren der phylogenetisch orientierten Systematik 
Die systematische Gliederung einer Organismengruppe soll deren Phyloge- 
nie möglichst genau wiedergeben. Dies ist das Grundprinzip jeder „natürli- 
chen“ Systematik. Dennoch gibt es heute drei verschiedene „Schulen“ der 
Systematik- und somit Phylogenie-Forschung: die phänetische, die evolutionä- 
re (oder evolutionsbiologische) und die cladistische (oder konsequent-phyloge- 
netische) Systematik. 
Phänetische Systematik: Die Klassifizierung erfolgt aufgrund der 
Summe aller untersuchten Ähnlichkeiten zwischen den Arten. Ob diese Ähn- 
lichkeiten durch Evolution zustande gekommen sind, spielt dabei zunächst 
keine Rolle. Die phänetische Systematik ist daher „theoriefrei“; es erfolgt keine 
Gewichtung von Merkmalen und keine phylogenetische Vorüberlegung geht 
in diese Klassifikation ein. Um phylogenetisch relevante Ergebnisse zu erhal- 
ten, müssen aber sehr viele Merkmale verglichen werden (im nicht erreichba- 
ren Idealfall alle!). Ein plausibler Stammbaum ist nämlich nur zu gewinnen, 
wenn Konvergenzen nicht ins Gewicht fallen. Die phänetische Systematik 
kann sehr gut mit numerischen Methoden arbeiten; tatsächlich gelangt die 
sogenannte numerische Taxonomie zu phänetischen Gliederungen. Für die 
Großgliederung höherer Pflanzen hat das Verfahren nie Bedeutung erlangt. 
Eine phänetische Gliederung der Dicotylen haben Young und WATson (1970) 
vorgelegt: sie ist ohne Wirkung geblieben. 
Evolutionäre Systematik: Eine zusammenfassende Übersicht über 
die Methoden findet man bei Mayr (1981) sowie in den evolutionsbiologischen 
Standardwerken (z.B. MAyr 1967). Es sind dies die klassischen Verfahren, die 
zur Aufstellung und fortlaufenden Verbesserung des natürlichen Systems 
geführt haben. Die evolutionäre Systematik geht von der Voraussetzung aus, 
daß Phylogenie stattgefunden hat. Diese soll durch Homologieforschung unter 
Wertung der Merkmale rekonstruiert werden. Zunächst müssen daher Kon- 
vergenzen und Ergebnisse einer Parallelevolution erkannt werden, so daß sie 
für die weiteren Überlegungen außer Betracht bleiben können. Alle festgestell- 
ten apomorphen Merkmale werden zur Beschreibung der phylogenetischen 
Verwandtschaft herangezogen und auch quantitativ gewertet. Dadurch wird 
das Ausmaß der evolutiven Veränderung in den einzelnen Entwicklungslinien 
(die Zahl der Autapomorphien) mit in die Überlegungen einbezogen. Außer- 
dem werden auch plesiomorphe Merkmale zur Charakterisierung von Taxa 
Ih. Ges. Naturkde. Württ. 138 (1983)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.