Full text: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg (Bd. 138, 1983)

Evolution und Stammesgeschichte der Angiospermen 
Le 
im Holz offenbar mehrfach getrennt entstanden. Das typische tracheenführende Angio- 
spermenholz ist also keine Synapomorphie der ganzen Gruppe, sondern eine mehrfache 
Parallelevolution. Dafür spricht auch das Vorkommen von Tracheen bei verschiedenen 
Farnen. Es besteht aber darüber hinaus sogar die Möglichkeit, daß die Bildung primiti- 
ver Tracheen wieder verloren gegangen sein kann (Young 1981). 
Ein Angiospermen-Merkmal, das in der Regel als Synapomorphie angesehen wird, ist 
die Art der Ausdifferenzierung von Siebröhren und Geleitzellen aus den Siebröhren- 
mutterzellen. Bei den Austrobaileyaceae erfolgt die Bildung der Phloem-Leitelemente 
zumindest teilweise auf einem einfacheren Weg (BaıLer und SwAMmy 1949). Dies bedeu- 
tet. entweder, daß die Austrobaileyaceae die Schwestergruppe aller anderen Angiosper- 
men sind, oder aber, daß in Anpassung an eine spezielle (halbkletternde) Lebensweise 
sekundär eine Rückbildung der Phloemdifferenzierung erfolgte. Letzteres ist bei einer 
sehr alten Angiospermen-Gruppe denkbar. Man kann sich nämlich vorstellen, daß in 
einer frühen Phase der Angiospermen-Evolution das genetische Programm der Siebröh- 
ren-Differenzierung noch nicht so gut durch genetische Kohäsion fixiert war, so daß 
eine regressive Evolution noch eintreten konnte. Die Siebzellen-Bildung der Austrobai- 
leyaceae wäre dann eine Autapomorphie. Trifft diese Auffassung zu, so sind die Austro- 
baileyaceae aufgrund. ihrer sonstigen Charaktere (ENDRESSs 1980) eine isolierte Relikt- 
gruppe primitiver Angiospermen, aber nicht Schwestergruppe aller anderen Angiosper- 
men. In üblichen Darstellungen zur Systematik der Angiospermen werden diese beiden 
Argumentationsmöglichkeiten nicht sauber getrennt, und so sind auch die Angaben 
über die systematische Stellung der Austrobaileyaceae unklar. 
Aus praktischen Gründen wird man auf Bezeichnungen paraphyletischer 
Gruppen nicht verzichten können. So wird man in der Zoologie und Paläonto- 
logie weiterhin von Reptilien sprechen. Allerdings dürfen die Reptilien als 
Taxon nicht auftreten, sondern müssen als künstliche Kategorie gekennzeich- 
net werden. Auch in der Botanik sind derartige paraphyletische Gruppen gut 
bekannt, die als Organisationsstufen einen Namen tragen, aber keine Taxa 
sind: so z. B. die Flagellaten, die Phycomyceten, die Gymnospermen. Auch die 
Dicotylen (Magnoliatae) sind eine solche paraphyletische Gruppe. Für kurze 
typologische Beschreibungen sind alle diese Begriffe unverzichtbar; aber in 
einem System, das die Aufgabe hat, die Phylogenie möglichst genau wiederzu- 
geben, können sie nicht auftreten. 
Abb. 1: Blüte von Austrobaileya scandens. Die 
Staubblätter sind blattartig und tragen auf der 
Oberseite (ventral) die Pollensäcke. (Nach einer 
Fotografie von U. Kurt, Zeichnung: U. BÄcH- 
LE.) 
+ 
Jh. Ges. Naturkde. Württ. 158 (1983)
	        
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