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CHRISTIAN RÖHN
1. Einleitung
Nachdem die beiden mitteleuropäischen Quelljungfernarten jahrelang in der
Literatur wenig Beachtung fanden, standen sie in den letzten Jahren im Mittel-
punkt einer Reihe von Arbeiten, die unsere Kenntnis ihrer Biologie und Oko-
logie beträchtlich erweiterten (BLANKE 1984, BUCHWALD 1986 und 1988, Dom-
BROWSKI 1989, DONATH 1987 und 1989, FRÄNZEL 1985, GERKEN 1982, OrTT 1988,
SALOWSKY 1989).
Einige Hinweise zu Gebieten mit syntopen Vorkommen beider Arten fin-
den sich erstmals bei FRÄNzEL (1985) und BucHwALD (1986 und 1988). PATRE-
ZICH (1990) gibt eine kurze Beschreibung von vier syntopen Vorkommen in
Waldquellbächen des Lahn-Dill-Gebiets. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit
wurden im Verlauf des Jahres 1990 drei südwestdeutsche Gewässer untersucht,
in denen sowohl Larven von Cordulegaster boltoni als auch von C. bidentatus
zu finden waren. Hierbei standen insbesondere Fragen zur Einnischung beider
Arten, zu den für ihr Vorkommen maßgeblichen Biotopstrukturen sowie zum
Aufbau der Larvenkolonie im Vordergrund.
2. Verbreitung von Cordulegaster boltoni und C. bidentatus in Baden-
Württemberg
Nach BucHwaLD et al. (1990) sind in Baden-Württemberg bisher 272 Fund-
punkte von C. boltoni sowie 79 von C. bidentatus bekannt. Hierbei ist aller-
dings zu berücksichtigen, daß bei diesem Kartierungsprogramm schon eine Be-
obachtung von zwei Imagines zu einem Eintrag auf den Verbreitungskarten
führt. Es ist somit durchaus möglich, daß die Arten nicht an allen angegebenen
Fundpunkten auch tatsächlich bodenständig sind. Die Schwerpunkte der bis-
her bekannten Vorkommen liegen für beide Arten zum einen im Schwarzwald
und dessen westlicher Vorbergzone, zum anderen im Bodenseegebiet und im
südlichen Oberschwaben, für C. boltoni außerdem noch im Oberrheingraben.
Neben sieben Funden von C. boltoni im Bereich Welzheimer Wald/Löwen-
steiner Berge und drei Nachweisen von C. bidentatus im Raum Tübingen — He-
chingen existiert für beide Arten je ein isolierter Fundpunkt in der Umgebung
von Geislingen (Steige).
Schon im Juli 1989 wurde ein totes Männchen von C. boltoni bei Weilheim
südwestlich von Tübingen gefunden (WıesMATH, mdl. Mitt.). Im Verlauf der
vorliegenden Untersuchungen konnte nun im Waldgebiet des Rammert süd-
westlich von Tübingen ein Larvalbiotop dieser Art entdeckt werden. Die näch-
sten bekannten Fundpunkte liegen 40-50 km entfernt im Nordschwarzwald,
östlich von Stuttgart und bei Geislingen (Steige). Nach Süden hin findet sich
die Art erst wieder jenseits der Schwäbischen Alb.
Im Rahmen von Vorarbeiten wurden im Raum Tübingen sechs Waldquell-
bäche auf Larven von C. bidentatus untersucht. Fünf dieser Bäche befinden sich
im Rammert, der sechste nahe dem Tübinger Stadtteil Hagelloch am Südrand
des Schönbuchs. Alle sechs Bäche erwiesen sich als besiedelt, z.'T. mit recht
großen. Larvenkolonien. Aufgrund dieser Befunde erscheint die Vermutung
nicht abwegig, daß C. bidentatus noch in vielen Quellbächen der Laub- und
Jh. Ges. Naturkde. Württ. 147 (1992)