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lich entzieht. Wie augenfällig spielen dagegen die Halme der
Gräser in bewegter Luft, wie leicht schwingen die Zweige am
Baume, und welch’ ein Leben ergreift den Wald, wenn der
Sturm in die mächtigen Kronen fährt!
Neben dieser relativ grossen Dehnbarkeit des Pflanzen-
skelettes bleibt noch eine andere physikalische Eigenschaft zu
erwähnen übrig, welche dasselbe im Gegensatz zu den Metallen
kennzeichnet: es ist das geringe spezifische Gewicht der Substanz
(Cellulose), aus welcher das Skelett besteht. Diese Substanz
ist höchstens um die Hälfte schwerer als Wasser, während das
Eisen bekanntlich mehr als 7mal so schwer ist; die spezifischen
Gewichte verhalten sich also annährend wie 1 zu 5. Daraus
erklärt sich die ausserordentliche Schlankheit der pflanzlichen
Constructionsformen. Der leichteste schmiedeeiserne Pfeiler er-
scheint plump gegenüber dem schlank aufstrebenden Rohr der
Bambusen oder dem spitz-kegelförmigen Stamm der Nadelhölzer
und anderer Bäume. Wäre die Pflanze darauf angewiesen, ihr
Skelett aus einer Substanz vom spezifischen Gewicht des Eisens
herzustellen, so müsste sie ihre Längendimensionen verkürzen
und alle ihre Ausladungen mehr oder weniger zurückziehen,
wodurch die ganze äussere Erscheinung eine viel gedrungenere
würde.
Fragen wir endlich nach der Art und Weise, wie die festen
Theile der Gewächse unter sich verbunden sind, so mag es
genügen, die vorkommenden Verschiedenheiten durch einige Bei-
spiele anzudeuten. Es ist zunächst einleuchtend, dass die Con-
structionsform sich nach den mechanischen Anforderungen richten
muss, welche an die Pflanze gestellt werden. Aufrechte, frei-
stehende Organe, wie z. B. die Halme der Gräser, die Blüthen-
schäfte u. dgl., welche einer gewissen Biegungsfestigkeit bedürfen,
um Blüthen und Früchte tragen und dem Winde Widerstand
leisten zu können, sind voraussichtlich nach einem andern Plan
gebaut, als die auf Zug in Anspruch genommenen Wurzeln oder
als die schlingenden und die untergetauchten Stengelorgane.
In der That führt die mikroskopische Untersuchung der ver-
schiedenen Organe zu dem Ergebniss, dass die skelettbildenden