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Sitzung vom 9. April 1896,
Zu Eröffnung der Sitzung gedachte der Vorsitzende Prof. Dr. Leuze
des Todes des Kommerzienrats Carl Jobst, mit dessen Hinscheiden der
Verein den Verlust eines eifrigen Mitgliedes zu beklagen hat, welches
dem Verein seit seiner Gründung angehörte.
Das von Prof. Dr. Sussdorf behandelte Thema über Mehr-
zähnigkeit oder Pleiodontie wurde durch die Demonstration eines
Doggenschädels eingeleitet, welcher in seinem Oberkiefer statt der
üblichen 6 Schneidezähne deren 8 aufzuweisen hat; dieselben stehen
in zusammenhängender Reihe und der äusserste von ihnen entspricht
nach Form und Stellung durchaus den für den eckständigen Schneide-
zahn gültigen Normen; man hat es hiernach nicht mit einer atypischen
Missbildung, sondern mit einer typischen Pleiodontie zu thun, welche
als atavistische gedeutet, also auf die bei den Urahnen der Säuger und
auch noch bei den niedrigsten Säugetieren, den Beutlern, vorhandene
grössere Zahl (bis zu 10) zurückgeführt werden kann. Der Vortragende
bespricht gerade im Hinblick hierauf den Polyphyodontismus der Rep-
tilien, welcher in der unbeschränkten Produktion neuer Zähne als Er-
satz etwa zu Verlust gegangener Zähne besteht, und bringt mit diesem
den Diphyodontismus der Säuger in Zusammenhang, indem er das Vor-
kommen zweier Zahnserien, einer Milch- und einer Ersatzzahn-Serie,
über deren Bedeutung gerade in dem letzten Lustrum der lebhafteste
Streit geführt wird, als Erbstück von den reptilienähnlichen Vorfahren
der Säuger kennzeichnet. Nachdem Redner der in der Litteratur be-
kannt gegebenen Fälle gedacht hat, unter denen übrigens kein dem
vorliegenden ähnelnder sich findet, geht er auf die bei den höheren
Säugern vorkommenden Fälle von Mehrzähnigkeit ein. Die bei den
Placentaliern regelmässige Zahl der Schneidezähne, also die Zahl des
typischen Schneidezahngebisses, ist die 6-Zahl, wonach jederseits 3 Zähne
im Ober- und Unterkiefer stecken. Diese Zahl wird nur von den im
Unterkiefer der Wiederkäuer enthaltenen 8 Zähnen überschritten; man
hat nun Gründe, den jederseits eckständigen, also vierten Schneidezahn
durch ein Heranrücken und Umformung des sog. Hundszahnes oder
Caninus zu erklären; es bestehen aber auch Gegengründe gegen diese
Annahme und hierunter insbesondere der, dass bei Pferdeembryonen
im Zwischenkiefer thatsächlich 4 Schneidezähne rechts und links ver-
anlagt werden, von denen freilich der äusserste nicht zur weiteren
Entwickelung gelangt, sondern sich bald wieder zurückbildet. Bei dem
iraglichen Hunde kann der jederseits vierte obere Schneidezahn jeden-
falls nicht als Caninus gedeutet werden; denn in dem Gebiss dieses
Tieres sind ausser den 8 oberen Schneidezähnen schöne, wohlentwickelte
Canini vorhanden. Die embryologische Untersuchung wird darüber zu
entscheiden haben, ob die Anlage von 4 Schneidezähnen beim Hunde
ein gewöhnliches Vorkommen ist und wird dann event. die Rubrizierung
des interessanten Falles als atavistische Pleiodontie noch mehr zu
festigen vermögen.