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Eine weisse Schwalbe.
Im September 1892 bot sich uns hier in Neuffen ein über-
raschender Anblick: während der Giebel der mir gegenüberliegenden
Apotheke mit an dem Mörtel der Wand sich anklammernden
Schwalben (es waren Rauchschwalben) völlig bedeckt war und
Dutzende der Vögel auf dem sich schräg zwischen den beiden Häusern
hinziehenden Telegraphendraht sich niedergelassen hatten, kauerte
einsam eine milchweisse Schwalbe diesseits auf einem der
unmittelbar unter meinen Fenstern befindlichen Fensterläden des
unteren Stockwerks. Flog das weisse Tierchen auf und näherte sich
seinen Kameraden, so stob entsetzt der ganze Schwarm auseinander,
so dass das Tierchen verschüchtert immer wieder seinen Platz unter
meinem Fenster aufsuchte. Ich hatte somit Gelegenheit, das Tierchen
genau zu beobachten. Das ganze Gefieder war milchweiss, nur quer
über Rücken und Flügel zog sich eine 1—2 Finger breite verwaschene
schmutziggelbliche Binde; die Augen schienen mir schwarz zu sein.
Der Flug des Tierchens war sicher, wie der der übrigen. Zwei Tage
lang hielten sich die Schwalben hier auf und hatten jederzeit auf
der Strasse eine Anzahl Zuschauer, welche sich an der weissen
Schwalbe ergötzten. Dann war der ganze Schwarm und mit ihm
das weisse Exemplar verschwunden.
Nun wurde am 16. August dieses Jahres wieder eine (dieselbe ?)
weisse Schwalbe hier gesehen, leider nur wenige Stunden. Soviel
beobachtet werden konnte, war diesmal eine Abneigung der Schwalben
gegen ihren weissen Kameraden nicht vorhanden. Sollte dies dafür
sprechen, dass es unser alter Bekannter von 1892 gewesen wäre?
Dr. Bıyver, Neuffen.