Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 52, 1896)

— XLVI — 
grösser. Hat der Erdboden, durch den sich die Schwingungen fort- 
pflanzen, nach verschiedenen Richtungen hin verschiedene Elasticität, 
z. B. bei Schichtungen, so werden die Querschwingungen in zwei 
zu einander. senkrechte Systeme zerlegt mit im allgemeinen ver- 
schiedenen Fortpflanzungsgeschwindigkeiten, ähnlich wie die Licht- 
schwingungen im doppeltbrechenden Kalkspat*. Eine einzige Explosion 
kann also an einem Ort drei verschiedene Schwingungen erzeugen. 
Es kann vorkommen, dass an einem Ort immer Schwingungen der- 
selben Richtung entstehen, wo auch der Erdbebenherd liegen mag, 
dort verhält sich die Erdschwingung ähnlich wie die Lichtschwingung 
im Turmalinkrystall. — Tritt eine Schwingung von einem Gebiet 
in ein anderes von verschiedener Elasticität ein, so findet Reflexion 
und Brechung statt, es können daher an einem Ort die ver- 
schiedenartigsten Schwingungen entstehen, welche alle von einer 
einzigen Explosion herrühren. Unter Umständen tritt totale Re- 
flexion ein. Daher rührt es wahrscheinlich, dass man an der West- 
küste von Südamerika sogenannte Erdbebenbrücken antrifft, 
d. h. ruhige Landstriche inmitten von Erschütterungsgebieten %. 
Man nimmt an, dass die Erschütterung sich unter denselben fort- 
pflanzt. 
Stärker als die Erschütterungen von horizontalen Ebenen sind 
diejenigen von Abhängen und Steilrändern. 
Bedeutende Wirkungen kann ein Erdbeben auf das Wasser 
des Ozeans ausüben. Bis zu 30 m Höhe hat sich das Meerwasser 
infolge von Erdbeben schon erhoben. Bei dem Beben von Iquique 
kamen 1868 über 25000 Menschen meist durch Meeresüberflutung 
um. Bei einem Seebeben weicht zuerst das Wasser vom Lande 
zurück und kehrt als steile oder überstürzende Welle wieder. 
Von Einfluss auf die Höhe der Erdbebenwelle ist auch die 
Gestalt der Küste. Dringt z. B. die Welle in eine sich verengende 
Bucht ein, so nimmt ihre Höhe beträchtlich zu. 
Die Geschwindigkeit, mit der eine Erdbebenwelle sich durch 
die feste Erdkruste auf grosse Entfernung fortpflanzt, ist durchaus 
nicht, wie man schon anzunehmen geneigt war, eine annähernd 
konstante Grösse von etwa 2,2—3 km pro Sekunde, sie ist auch 
nicht bloss mit der Bodenbeschaffenheit und Felsart veränderlich, 
sondern sehr wahrscheinlich in der Tiefe viel grösser als an der 
* Vergl. A. SchmmprT, dies. Jahresh. 1890 S. 229; 1891 S. 240; 1892 S, 260 
u. Ber. üb. d. XXVII. Vers. d. Oberrhein. geol. Ver. 1894. 
* Transäct. of the Seism, Soc. of-Japan. Vol. XIV, p. 77, 1889.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.