Ehe wir die Hauptergebnisse der Versuche aufzählen, mögen
ein paar Worte dem sinnreichen und feinfühligen Apparate gewidmet
sein. Der Apparat besteht aus zwei Teilen, 1. dem Horizontalpendel
selbst mit seinem Stativ und einem doppelten Spiegel, einem beweg-
lichen und einem festen, 2. aus einem Beleuchtungs- und Registrier-
apparat, der das Licht einer Benzinlampe nach den Spiegeln sendet
und die reflektierten Strahlen auf einem photographisch präparierten
Papier auffängt, das durch ein Uhrwerk mit Walze als fortlaufendes
Band vorbeigeführt wird, bei dem in Strassburg benützten Apparat
jede Stunde um 11 mm. Das Horizontalpendel selbst, wenn auch
von dreieckiger Form, lässt sich einem kleinen Thürflügelchen ver-
gleichen, dessen Angeln aus den feinsten Achatschalen auf Stahlspitzen
gebildet sind. Eine ganz schwache Neigung der Drehachse, z. B. gegen
Ost, lässt den kleinen Flügel sich in westöstlicher Ebene einstellen,
eine Richtung, die sich bei den kleinsten Neigungsänderungen des
Bodens und bei Bewegungen des Bodens um so stärker verändert,
je weniger die Drehachse von der senkrechten Richtung abweicht.
Bei genau senkrechter Richtung würde das Pendel des bestimmten
Standes entbehren und unbrauchbar sein. Mit dem Pendel dreht
sich der eine Spiegel und verzeichnet dabei auf dem photographischen
Papier eine in der Ruhe gerade Linie, in der That aber meist eine
schiefe, vielfach gestörte, auf die mannigfaltigsten zusammenwirkenden
Wellenbewegungen des Bodens hindeutende krumme Linie. Das
solide Stativ des Pendels steht im tiefsten Raum der Strassburger
Sternwarte auf der Konsole eines 5 m tief fundierten Pfeilers, das
Pendel ist aber so empfindlich, dass es schon beim Druck mit der
Hand auf den Stein deutlichen Ausschlag giebt. Die Wellen, die Ver-
biegungen und Erbreiterungen der Kurve wurden von REBEUR einer
sorgfältigen mathematischen Analyse unterworfen. Für solche wechsel-
volle Naturerscheinungen, wie sie sich z. B. auch in den Bewegungen
der Gezeiten des Meeres darstellen, hat sich eine besondere mathe-
matische Disciplin ausgebildet, die sogen. harmonische Analyse, ein
Rechnungsverfahren, das in der Wissenschaft dasselbe leistet, was
im Gebiet der Sinneswahrnehmungen unser Ohr zu leisten im stande
ist. So, wie das letztere das Gewirr der Luftschwingungen, etwa
bei einem Konzert, zu analysieren versteht, um die einzelnen Instru-
mente und einzelnen Töne zu unterscheiden, so zerlegt die harmo-
nische Analyse die Biegungen, Wellen und Störungen der Horizontal-
pendelkurve in verschiedene periodische und gesetzmässige und in
ihre unperiodischuen, zufälligen Bestandteile. REBEUR-PASCHWITZ unter-
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