Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 62, 1906)

uXV — 
Der Umstand, daß die Sonnenstrahlung auf den Höhen morgens früher 
beginnt, abends später endigt, kommt — wenigstens für Spaichingen — 
nicht wesentlich in Betracht, denn die längere Dauer des Sonnenscheins 
beträgt im Winter auf dem Dreifaltigkeitsberg morgens unter 20, abends 
unter 30 Minuten. . 
Die oben aufgeführten Werte der Temperaturumkehr erscheinen 
aun im Vergleich mit den Angaben über Temperaturumkehr in der 
Literatur als außerordentlich hohe und dies mußte die Frage nahelegen, 
ob etwa die Gegend von Spaichingen dem Eintritt der Umkehr besonders 
günstig sei? Und da findet sich allerdings ein Umstand, der in dieser 
Richtung wirken dürfte. Bei Spaichingen erweitert sich nämlich das 
Primtal zu einem breiten verhältnismäßig flachen Kessel, in welchem 
die kalte, von den Berghängen abfließende Luft eine bedeutende Ver- 
langsamung ihrer Bewegung und damit eine Begünstigung der Stagnation 
erfahren muß. Außerdem kommt dann diese stagnierende Luft in dem 
breiten Kessel mit einer großen Bodenfläche in Berührung, durch deren 
nächtliche Wärmeausstrahlung sie sich noch weiter abkühlt. Trotzdem 
hat die kalte Luft noch eine energische Talabwärtsströmung, wie der 
regelmäßig z. Z, der „Temperaturumkehr“ wehende talabwärtsziehende 
Luftzug erweist. Demgemäß hat. Spaichingen auch im Winter keine 
extremen Kältegrade. 
Ferner sind die gefundenen Werte der „Temperaturumkehr“ wohl 
auch deshalb so große, weil die Beobachtungen an unmittelbar benach- 
barten Punkten gemacht sind, zwischen welchen der Berghang in un- 
unterbrochenem Gefälle ins Tal abstürzt, so daß sich dem Abfluß der 
kalten Luft ein Hindernis nicht in den Weg stellt, und warme und kalte 
Luftmassen sich wenig mischen. 
Selbstverständlich muß nun eine so häufig und so beträchtlich ein- 
tretende „Temperaturumkehr“ auch auf Klima und Vegetation einen sehr 
bedeutenden Einfluß ausüben. Der „Temperaturumkehr“ ist es zuzu- 
schreiben, wenn in Hausen o. V. Nußbäume in der Höhe von 800 m 
noch üppig gedeihen; wenn wir in der Polygala chamaebuxus, welche 
nach meinen Erkundigungen in der Spaichinger Gegend erstmals 1860 
beobachtet, jetzt mehr und mehr in großen Mengen die lichteren Wald- 
hänge bedeckt, wenn wir in der Polygala chamaebuxus an günstig ge- 
legenen Stellen einen regelmäßigen Winterblüher haben, welcher fast 
alljährlich an Weihnachten und Neujahr unsere Blumenvasen schmückt; 
wenn auch andere Pflanzen, vor allem stinkende Nießwurz, ferner auch 
Haselnuß , Sahlweide, Löwenzahn und manche andere — ihrer eigent- 
Jichen Blütezeit weit vorauseilend — ebenfalls nicht selten schon um 
Weihnachten und Neujahr blühen; wenn sich auch die Herbstflora in 
üppigem Maße bis weit in den November hinein fortsetzt. Auch wird 
der Pflanzengeograph unter den von mir ausgestellten, in Württemberg 
mehr oder weniger seltenen Pflanzen solche finden, welche ihr Vor- 
kommen in hiesiger Gegend der „Temperaturumkehr“ oder wenigstens 
teilweise der „Temperaturumkehr“ verdanken. 
Bekanntlich ist unsere Gegend aber nicht nur reich an seltenen 
Pflanzen, sondern auch an hervorragenden geologischen Aufschlüssen; 
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1906.
	        
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