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Außerdem durchziehen noch zahlreiche kleine Verwerfungen von
wenigen Dezimetern bis Metern Sprunghöhe das Gebirge, doch ist
es in der Regel nicht möglich, sie zu kartieren, weil sie nur an den
günstigsten Aufschlüssen sicher zu beobachten sind. Durch massen-
hafte Scharung bewirken sie oft eine auffällige Abbigung der Schichten-
tafel, wie.z. B. an. der Dornhalde' zwischen Degerloch und Kaltental
an der Höhenlage der untersten Angulatenbank (Muschelbreccie mit
Thalassites depressus) leicht zu beobachten ist.
Es herrscht schon lange die Anschauung, daß das Stuttgarter
Talbecken seine Gestalt einem tektonischen Einbruch verdanke. Wenn
sich zwischen Gähkopf und Gänsheide keine tektonische Störung
befinden würde, wäre die Lettenkohle als Untergrund der Stutt-
garter Altstadt zu erwarten. Tatsächlich aber fand man beim Neu-
bau des Rathauses! in 5-—6 m Tiefe die Corbula-Bank des Gips-
mergels, eine Schicht, die 25—30 m über dem Grenzdolomit der
Lettenkohle sich befindet; eine Bohrung bei der Wulle’schen
Brauerei‘ zeigte den Cannstatter Kreidemergel (Schwieberdinger
Schichten, oberster Nodosus-Kalk) mit seinen charakteristischen
Fossilien in einer Tiefe von 63-—65 m, also auch hier etwa
30 m tiefer als zu erwarten war. Auch bei alten Bohrungen bei
der Zuckerfabrik hatte man dasselbe Ergebnis?. Im Gebiet der
Königl. Anlagen zeigen die Diluvialsedimente eine Übertiefung des
Tals, die nicht durch die Erosion des Nesenbachs zustande ge-
kommen sein kann. Daran kann kein Zweifel mehr sein, daß tat-
sächlich Teile des Stuttgarter Talbodens über 30 m tief eingesunken
sind, aber die genaue Umgrenzung des Einbruchsgebiets läßt sich
infolge der Überdeckung durch mächtige Diluvial- und Alluvial-
massen nicht feststellen. Wir wissen auch nicht, ob die Einsenkung
muldenartig ausgebildet oder durch zwei Randspalten oder durch
Scharen von Treppenbrüchen begrenzt ist. Diese Verhältnisse werden
in dem überbauten Gelände wohl nie mehr geklärt werden können.
Die Verwerfungslinien auf der alten geognostischen Karte sind
größtenteils willkürlich eingezeichnet; z. B. ist von den beiden
Verwerfungen auf dem Sattel hinter dem Kriegsberg in der Natur
nichts zu sehen außer dem steilen südöstlichen Einfallen der Schichten
* Beide Mitteilungen verdanke ich der Freundlichkeit von Herrn Professor
Dr. E. Fraas,
* Siehe Bräuhäuser, Beiträge zur Stratigraphie des Cannstatter Di-
luviums (Mitteil, d. geolog. Abt, d. K. Statist. Landesamts No. 6), S. 19. Dort
ist die hierhergehörige Literatur angegeben, z. T. mit ausführlichen Auszügen.