Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 67, 1911)

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im Altwasser herrscht Stagnation, im Fluß Bewegung, zwei 
Gegensätze, die zu entgegengesetzten Resultaten führen. 
Ein Flußarm, der vom Strombett abgeschnitten wurde, ist 
als Flußteil dem Tode preisgegeben, wie jedes von einem Organismus 
abgetrennte Glied. Er wird um den Pulsschlag gesunden Lebens 
gebracht. Die Pflanzenwelt gelangt zur Alleinherrschaft und ver- 
wandelt sie in eine Gewaltherrschaft. Das Licht wird abgehalten, 
der Grund füllt sich mit Humus an, das Wasser wird von der Humus- 
säure durchsetzt, die Fauna verkommt und stirbt endlich aus. Unsere 
Mollusken folgen den Fischen. Die völlige Verlandung beendet den 
Prozeß mit einem zuletzt auch für die Wasserflora ungünstigen 
Ausgang. 
Im Flusse verhindert die Strömung jede Störung des Gleich- 
gewichts. Sie spielt allen gleich vorteilhaft oder gleich übel mit. 
Keinenfalls aber werden im Fluß die lebenschaffenden Kräfte unter- 
bunden. Im Gegenteil zwingt die Bewegung die Mollusken zu steter 
Gegenwehr, zum Kampf, zur Anpassung. Sie schafft Leben, sie tötet 
nicht wie der Stillstand. Auch wenn das Hochwasser verwüstend 
das Bett durchwühlt, die Wohnplätze zerstört, die Bewohner ent- 
führt, aussetzt und teilweise dem Verderben preisgibt, so erfüllt sich 
doch dabei das Dichterwort: „Das Alte stürzt, es ändert sich die 
Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ 
Im Flusse ist die Bewegung des Wassers abhängig vom Ge- 
fäll. Nach dem Grade desselben ändert sich der Charakter des 
Flusses. Es ist in der Quellregion gewöhnlich am stärksten und 
mäßigt sich nach der Mündung. Unser Neckar liebt es zwar auch 
in seiner Jugend nicht, große Sprünge zu machen, und ich glaube, 
das Gefäll an sich würde es den Mollusken gestatten, den Fluß bis 
in seine Quelle zu besiedeln. Allein seine Zuflüsse, zumal die der 
Albseite, führen ihm große Mengen groben Gerölles zu, das sein 
Bett erfüllt und erbreitert, und das in seiner Unbeständigkeit und 
Rücksichtslosigkeit die Ansiedelung erschwert. Im Oberlauf bildet 
sein gestrecktes Bett schon im Muschelkalk, noch mehr aber im 
Keuper, wenige Schlingen mit ruhigen, zur Besiedelung einladenden 
Wirbeln und Buchten (s. dagegen die obere Donau). So kommt es, 
daß wir den Neckar mit Rücksicht auf seine Molluskenfauna in zwei 
Hälften scheiden können: den Oberlauf mit stärkerem Gefäll 
und grobem Gerölle, dem Mangel an Buchten und stillen Wirbeln 
und einer armen Molluskenbevölkerung, und den Unterlauf mit 
schwachem Gefäll, kleinerem Gerölle, zahlreichen Schlingen und 
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