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Tone die „nordischen Geschiebe‘‘, also Gesteine, deren Heimat jenseits
der Ostsee zu suchen ist. Eine rote Linie zeigt auf den geologischen
Karten die Südgrenze des Verbreitungsgebiets dieser nordischen Ge-
schiebe: Sie zieht über die Vorhöhen der mitteldeutschen Gebirge und
so empfängt der nach Norden reisende Geologe den ersten Gruß aus
Skandinavien, wenn der Schnellzug aus den Thüringer Bergen ins
norddeutsche Tiefland hinabeilt.
Der preußische Aufnahmsgeologe, der in seinem Arbeitsgebiete
in der Moräne fossilführenden schwedischen Silurkalk oder prächtige, aus
Skandinavien gekommene Granite und Gneiße findet und der bei Be-
wertung der Böden vom Kaligehalt solcher kristallinen Geschiebe redet,
wird mit regem Interesse vom Nordland sprechen.
Aber auch der in Süddeutschland arbeitende Geologe muß staunen,
welche Fülle von Anregung und Belehrung ihm eine Wanderung durch
Skandinavien bringt. Mit Verwunderung wird er in Schweden geo-
logische und landschaftliche Verhältnisse finden, welche in auffälliger
Weise mit denen der eigenen Heimat übereinstimmen. Die Berge
Dalekarliens oder das Gebiet bei Mon und Ed-Station (westlich vom
Wenersee) zeigen Landschaftsbilder, bei deren Anblick man sich plötz-
lich in den württembergischen Schwarzwald, etwa in die Alpirsbach-
Reinerzauer Gegend, versetzt glauben möchte. Und in Westermanland
gleicht das schwedische Diluvialgebiet dem oberschwäbischen Gelände
stellenweise so sehr, daß das Auge oft unwillkürlich im Süden die
schneebedeckte Alpenkette sucht und der Schwabe fast betroffen ist,
statt eines Oberländer Bauernhofes eine kleine malerische Gruppe der
eigenartigen rotgestrichenen, schwedischen Holzhäuschen oder im
Schatten mächtiger alter Eichen den ruhig-vornehmen Herrensitz eines
skandinavischen Rittergutes zu erblicken.
Es würde zu weit führen, wollte hier eingehender die Rede sein
von der geologisch so interessanten Umgebung der Stadt Stockholm.
Hier fanden zu Beginn des Kongresses kleinere Exkursionen im Kontakt-
gebiet des Gneißes mit dem Granit statt. In Stockholm selbst ist,
wie in keiner andern Großstadt, Gelegenheit, den geologischen Bau des
Untergrundes zu beobachten, denn oft genug tritt, selbst in nahezu
ausgebauten Stadtteilen, der Felsgrund zutage. Die Inseln im Hafen
zeigen, gegenüber dem Königsschloß und Reichstagsgebäude, von Inland-
eis geglättete Granitkuppen und im Stadtteil Södermalm kann man
gelegentlich zwischen modernen großen Geschäftshäusern eine mehrere
Meter hohe Felswand neben der Straße sehen, die erst weggesprengt
werden muß, um dem Neubau eines Nachbarhauses auf diesem „Bau-
platz‘ Raum zu schaffen. Im Stadtteil Norrmalm wurde eben in den
Tagen des Kongresses eine neue Straße angelegt, deren stadtbauplan-
mäßig ebener Verlauf die Durchschneidung eines flachen Rückens im Ge-
lände erforderte. Die Sprengarbeiten ergaben, daß hier ein in viel-
fache Mulden und Falten gedrückter, nachträglich von granitischen
Apophysen durchsetzter Gneiß anstand. In naher Nachbarschaft folgte
Granit, und wer einen guten Hammer besaß, schlug sich hier ein tüch-
tiges Stück des eigenartigen Stockholmer Kugelgranits,