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Linien, soweit dieselben im Deckgebirge Württembergs in Erscheinung
treten, tertiärer Entstehung sein dürften. Redner ‚besprach eingehend
die Bildung der varistischen Linien. Er zeigte, daß, wenn man von
Norden nach Süden wandert, dieses Streichen erstmals in einer breiten
„Bruchzone“, die sich zwischen Kaiserstuhl und Ries ausdehnt, deutlich
vor Augen tritt. In dieser Bruchzone finden wir einerseits zahlreiche
Verwerfungsspalten, welche z. T. auch als Gräben ausgebildet sind (so
der bisher unbekannte Binsdeorf—-Bickelsberger Graben), dann eine
Menge Wasserläufe (besonders Oberlauf von Neckar und Fils) und Ge-
birgszüge (Nordrand der Alb!), die scharf in NO-Richtung verlaufen.
Andererseits läßt sich in einer fast geraden Linie das Auftreten von
tertiären Vulkanen verfolgen und von Kohlensäure- und Mineralwasser-
ausströmungen, die mit den vulkanischen Erscheinungen in Zusammen-
hang zu bringen sind. Es sei hier angeführt der vulkanische Kaiser-
stuhl, der Basaltschlot des Oberhauensteins bei Hornberg, die Kohlen-
säurevorkommen im Neckar- und Eyachgebiet, die Vulkanembryonen
der Uracher Alb, die Mineralquellen von Ditzenbach und Überkingen,
die Vulkangebiete des Steinheimer Beckens und des Rieses. Diese
Bruchzone findet dadurch ihre Erklärung, daß entlang derselben eine
Abbiegung bezw. ein Abbruch der südlichen (Alb-) Scholle erfolgt ist.
Dies läßt sich daran erkennen, daß der durchschnittliche Einfall der
Schichten im mittleren Württemberg gegen SO. auf weite Erstreckung
nur bis höchstens ‘/2 °/o beträgt, während er südlich der Bruchzone
durchschnittlich ca. 2° erreicht. Auch die im Verlauf der Bruchzone
gern auftretenden seismischen Bewegungen und das in dieser Richtung
nachgewiesene Maximum der Ablenkung der Magnetnadel bei erd-
magnetischen Messungen spricht für in der Tiefe in dieser Richtung
vor sich gegangene Störungen. Diese Vorgänge im Grundgebirge haben
die Lagerung der darüber ausgebreiteten Sedimente recht verschieden
beeinflußt, zumal in ihnen weiche, mehr oder weniger plastische Ge-
steine, welche tektonische Verschiebungen des Untergrundes auszu-
gleichen vermögen, mit härteren wechseln. Deshalb bilden die Gräben,
Verwerfungen und Verbiegungen der oberflächlichen Schichten nur einen
matten Abglanz der tektonischen Vorgänge, die einst in der Tiefe sich
abspielten. Über den vielfach weichen Schichten des Schwarzen und
Braunen Juras erscheinen so fast alle Verwerfungen nach oben aus-
gekeilt, Nicht nur auf Württemberg ist die eben besprochene varistische
Linie beschränkt. Im Kaiserstuhl haben STEINMANN und GRABFF zwei
Eruptionszüge nachgewiesen, die südlich und nördlich einer eingeklemmten
Sedimentscholle sich hinziehen; die Sedimentscholle und die Eruptions-
züge verlaufen streng in der varistischen Streichrichtung. Die Ver-
längerung dieser Richtung nach Westen durch französisches Gebiet ist
schon seit langer Zeit von französischen Geologen nachgewiesen. Sie
reicht über die Burgundische Pforte an der Südspitze der Vogesen und
der Serre bei Döle vorbei bis zum französischen Zentralplateau, wo
sie letztmals bei Bert westlich der Loire zu verfolgen ist. Parallel
verlaufen Saöne und Doubs, ein Teil des Schweizer Juras und der Alpen
selbst, das obere Rhein- und Rhönetal. So dokumentiert sich die in
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1911.