Full text: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg : zugl. Jahrbuch d. Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart (Bd. 71, 1915)

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nante Merkmal zeigten, während die zwei anderen Drittel sich wieder 
spalten, ebenso wie in der vorigen Generation. 
Zieht man zwei Merkmalpaare in Betracht, so vererbt sich jedes 
der beiden Merkmalpaare nach dem obengenannten Schema, aber ganz 
unabhängig von dem andern Merkmalpaar. 
Man sieht bei dem MEnpDEL’schen Gesetz, daß in der Enkelgenera- 
tion eine Spaltung eintritt und die beiden Eigenschaften der Großeltern 
bei verschiedenen Exemplaren wieder auftreten. Wenn dies mit mehreren 
Merkmalpaaren sich so verhält, so bekommt jedes der Enkelkinder eine 
andere Mischung der Eigenschaften der Großeltern, wie dies schon 
oben bei der Chromosomen-Theorie gesagt worden war. 
Bei Pflanzen und Tieren kann man diese Vererbungsgesetze experi- 
mentell erweisen, beim Menschen sind sie schwieriger zu beobachten. 
Um die Vererbung der Eigenschaften durch mehrere Generationen zu 
verfolgen, muß man Stammbäume aufzeichnen und eine Familien- 
geschichte aufschreiben, in welcher die körperlichen und geistigen Eigen- 
tümlichkeiten der Ahnen vermerkt sind. 
Bedeutende Persönlichkeiten entstehen durch das Zusammen- 
treffen hervorragender Eigenschaften des Geistes und des Charakters 
aus der väterlichen und der mütterlichen Familie. Z. B. stammte Bis- 
marck väterlicherseits aus dem preußischen Militäradel, während seine 
Mutter die Tochter eines Diplomaten war, des bei Friedrich Wilhelm IV. 
tätigen Kabinettsrats Mencken, dessen Vater juristischer Professor in 
Leipzig gewesen war. Man darf also das diplomatische Talent und die 
hervorragende Rednergabe des großen Kanzlers als ein Krbteil von 
mütterlicher Seite ansehen, während sein Mut uud sein unbeugsamer 
Charakter von väterlicher Seite stammen dürften, 
Von diesem Gesichtspunkt aus verdienen die Stammbäume be- 
rühmter Württemberger besondere Beachtung, welche von Herrn Ober- 
medizinalrat Dr. v. SCHEURLEN unter Mitwirkung des Herrn K. ].OTTER für 
die Abteilung „Rassenhygiene“ der Ausstellung zusammengestellt wurden. 
Z. B. war der Vater des württ. Ministerpräsidenten v. Mittnacht Ober- 
finanzrat, seine Mutter die Tochter des Stabsmedicus Sulzbeck; sein 
Großvater väterlicherseits war Förster und Schultheiß in Biberach bei 
Heilbronn; die Urgroßeltern väterlicherseits waren Bauern. Es zeigt 
sich an diesem und an anderen Stammbäumen, wie ein allmähliches 
Aufsteigen in der sozialen Stufenfolge stattfindet und wie die oberen 
Stände sich aus dem Bauernstande und Handwerkerstande regenerieren. 
Da die Berufswahl nicht allein von zufälligen Umständen, sondern 
zum Teil auch von den Neigungen und Fähigkeiten abhängt, so gibt 
oft schon der Beruf der Vorfahren Anhaltspunkte für die Beobachtung 
der Vererbung geistiger Anlagen. 
Die Vorfahren der großen schwäbischen Philosophen sind großen- 
teils Pfarrer gewesen. Bei Schelling trifft dies für den Vater und väter- 
lichen Großvater zu, sowie für den Großvater und Urgroßvater mütter- 
licherseits. Bei Zeller war der Vater Rentamtmann, aber der Sohn 
eines Pfarrers und beiderseits der Enkel von Pfarrern, die Mutter die 
Tochter eines Pfarrers und beiderseits die Enkelin von Pfarrern. Aber
	        

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